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Magazin Mitbestimmung

: Größte Gefahr für unsere Wirtschaftsordnung?

Ausgabe 03/2006

Millionenschwere Kampagnen, Druck auf die Parteien, das Bundesverfassungsgericht - die Arbeitgeber unter Führung von Hanns-Martin Schleyer sparten kein Mittel aus, die Unternehmensmitbestimmung zu verhindern.


Von Tillmann Bendikowski
Der Autor ist promovierter Historiker und arbeitet als freier Journalist in Hamburg.

"Hermann Josef Abs plädiert für die Mitbestimmung" war am 3. Mai 1965 in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen. Worauf der Vorstandssprecher der Deutschen Bank reichlich Post erhielt, auch wenn Abs - bekannt für seine zahlreichen Aufsichtsratsmandate - lediglich bei der Hauptversammlung der Dortmund-Hörder Hüttenunion auf auch positive Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung hingewiesen hatte.

"Gerade jetzt müsse man sich doch auf einen harten Kampf mit den Gewerkschaften einstellen", schrieb ihm etwa Ernst von Siemens, Vorstandvorsitzender von Siemens & Halske, und "es erschwert unseren Standpunkt, wenn uns dauernd vorgehalten wird, dass ein auf diesem Gebiet so erfahrener Mann wie Sie die Mitbestimmung - und sei es auch mit Einschränkungen - bejahe".

Zugleich bekam Hermann Josef Abs aber auch Post von der SPD. Ihr Bundestagsabgeordneter und späterer Bundesfinanzminister Alex Möller fragte beim Bankier nach, ob "der Bericht den Tatsachen entspricht. Sie werden verstehen, dass Ihr Standpunkt für meine politischen Freunde und für mich von erhöhtem Interesse ist."

Für oder gegen Mitbestimmung? Für eine freiheitliche Gesellschaft oder eine sozialistische Wirtschaftsordnung? Von Arbeitgeberseite wurde ein Szenario entworfen, als habe die Bundesrepublik in den 60er Jahren an einem Scheideweg gestanden. Sollten sich die Gewerkschaften damit durchsetzen, die Unternehmensmitbestimmung - nach dem Vorbild der Montanindustrie - auf die ganze Wirtschaft auszudehnen - wären mit einem Schlag alle ökonomischen Errungenschaften in Frage gestellt.

"Die größte Gefahr für die Existenz unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung geht von den gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen aus", hieß es 1965 im Jahresbericht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die geforderte "Neuordnung der Unternehmensverfassung" würde "die privatwirtschaftliche Struktur unserer Unternehmen und damit auch unserer Wirtschaft schlechthin beseitigen". 

"Überflüssige Mitbestimmungsideologien"

Bereits im Oktober 1964 hatte die BDA einen "Arbeitskreis Mitbestimmung" gegründet, der die publizistische Gegenoffensive organisieren sollte - unter Beteiligung von Spitzenvertretern des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) und weiterer Unternehmerverbände.

Den Vorsitz dieses Arbeitskreises übernahm Hanns-Martin Schleyer, zu diesem Zeitpunkt Personalvorstand von Daimler-Benz und Vorsitzender des Verbandes der Württembergisch-Badischen Metallindustriellen. Schleyer sollte einer der zentralen Akteure im politisch-publizistischen Kampf gegen die Mitbestimmung werden - lange vor seiner Wahl zum Arbeitgeberpräsidenten im Dezember 1973.

Die Arbeitgeber griffen die Legitimität der Gewerkschaften und ihrer Forderungen an: Sprachen diese wirklich für die Masse der Arbeitnehmer? Oder ging es ihnen mit der Forderung nach gleichberechtigter Präsenz im Aufsichtsrat (die Norm jenseits der Montanindustrie war Drittelbeteiligung) im Grunde nur um Verankerung ihrer Macht in den Unternehmensführungen?

"Wenn die Gewerkschaften von Mitbestimmung reden, meinen sie nicht die Mitbestimmung der Belegschaften, wie sie seit Jahren erfolgreich praktiziert wird. Sie wollen vor allem ihre Vertreter in die Betriebe entsenden, sie wollen mehr Einfluss … auf die ganze Wirtschaft. Die Belegschaften werden dabei kaum gefragt", hieß es in der Arbeitgeberbroschüre "Mündige brauchen keinen Vormund".

Diese These untermauerten die Arbeitgeber mit einer repräsentativen Befragung des EMNID-Instituts, die die "Wirksamkeit der erweiterten Mitbestimmung auf die Arbeitnehmer" erkunden sollte. Die Ergebnisse der - umstrittenen - Studie waren ganz nach Wunsch der Auftraggeber. So sei etwa das Betriebsklima dort besser, wo für die Arbeitnehmer nur das Betriebsverfassungsgesetz gelte - im Gegensatz zur Montanindustrie (die gerade im heftigsten Strukturwandel steckte). Deshalb, so der freundliche Rat an die Gewerkschaften, sollten die lieber das Betriebsverfassungsgesetz (und damit die bescheidene Drittelbeteiligung in den Aufsichtsräten) akzeptieren, "anstatt falschen und überflüssigen Mitbestimmungsideologien nachzujagen".

"Mächtiges Propaganda-Kartell"

Anfang 1968 startet der DGB während der Großen Koalition eine Mitbestimmungsoffensive mit vielen Kundgebungen und großformatigen Zeitungsanzeigen. Nun rüsten die Unternehmerverbände massiv auf: "Um den Vorstoß abzuwehren, haben sich die Mächtigen aus Industrie und CDU/ CSU zu einem gewalti-gen Propaganda-Kartell zusammengeschlossen", schreibt der Spiegel im Oktober 1968 in einer Titelgeschichte "Mitbestimmung - Ende der Marktwirtschaft?"

Und weiter: "Anfang September gründete der Wirtschaftsrat der CDU, dem 2000 Parteifinanziers aus Industrie und Handel angehören, in Bonn die Aktionsgemeinschaft Sicherheit durch Fortschritt. Einziger Zweck dieses Vereins, in dessen Vorstand der ultrakonservative Daimler-Benz-Direktor Hanns-Martin Schleyer einrückte, ist der politische Kampf gegen die Mitbestimmung … Binnen weniger Wochen sammelten die Christunternehmer rund zwei Millionen Mark für ihre Propaganda-Fonds.

Sie schickten mehr als 60 000 Exemplare ihrer Anti-Mitbestimmungs-Broschüre ‚Mündige brauchen keinen Vormund‘ über Land, setzten Anzeigen in 30 deutsche Zeitungen und Zeitschriften ein und ließen Versammlungsredner ausschwärmen … Kaum eine Hauptversammlung dieses Jahres ging vorüber, ohne daß Deutschlands führende Industriemanager das Ende der Marktwirtschaft für den Fall voraussagten, daß Arbeitnehmer die Aufsichtsräte paritätisch besetzen würden."

Die CDU war gespalten zwischen ihrem Wirtschaftsflügel und den Sozialausschüssen; die einen wollten gar kein Mitbestimmungsgesetz, die anderen die volle Parität. Irgendwo in der Mitte konnte man den Bericht des damaligen Rektors der Bochumer Universität, Prof. Kurt Biedenkopf (ab 1973 war er CDU-Generalsekretär), ansiedeln.

Auf dessen Gutachten, das die Montanmitbestimmung auf den Boden der Tatsachen holte und dadurch entideologisierte, reagierten die Arbeitgeber weniger inhaltlich, als dass sie den methodischen Ansatz kritisierten. Die Kommission habe "anerkannte Grundsätze empirischer Sozialforschung außer acht gelassen", hielt der "Arbeitskreis Mitbestimmung" der Arbeitgeberverbände den neun Professoren der Biedenkopf-Kommission vor.

Die These von der Syndikalisierung der Wirtschaft war gleichzeitig auch in den Auseinandersetzungen um die Vermögensbildung präsent. Dazu kamen warnende Hinweise, ein zu großer Einfluss der Gewerkschaften in den Unternehmensleitungen würde die Gegnerfreiheit im System der Tarifautonomie beschädigen. "Paritätisch mitbestimmte Unternehmen können keine unabhängigen Partner mehr sein", hieß es in einem Mitte der 70er verbreiteten BDA-Flugblatt. Schließlich wären dann in den Verhandlungskommissionen der Arbeitgeberverbände auch Vorstandsmitglieder vertreten, die von den Gewerkschaften entsandt wurden - die Gewerkschaften säßen in einem solchen Falle also an beiden Seiten des Verhandlungstisches.

Immer wieder warnten - in jenen Zeiten des Kalten Krieges - die Arbeitgeberverbände vor einer weit reichenden Mitbestimmung: Sie mache den Weg frei für eine sozialistische Wirtschaftsform und würde den "Umsturz dieses Systems" provozieren und "die Schwelle zu sozialistischen Ordnungsformen überschreiten". In ihren öffentlichen Auftritten inszenierten sich die Arbeitgeber als die Retter vor dem Gewerkschaftsstaat.

Diese Argumente fielen zu Beginn des Jahres 1974 auf fruchtbaren Boden: Es herrschte Krisenstimmung, die Ölkrise hatte den Deutschen das ungewohnte Bild leerer Autobahnen beschert. In dieser Situation schien ÖTV-Chef Klunckers Forderung nach 15 Prozent Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst die Szenarien vom drohenden Gewerkschaftsstaat zu bestätigen, zumal dafür 1974 über 300 000 Beschäftigte in den Streik traten.

Massiv gegen den Mitbestimmungskompromiss

"In Deutschland ist der Sinn für die Realität abhanden gekommen", beklagte im Januar 1974 Hanns-Martin Schleyer vor niedersächsischen Arbeitgebern; deshalb sei "dieser Staat auf Vernunft und Standfestigkeit der Unternehmer heute in besonderem Maße angewiesen". Ohnehin waren Arbeitgeberverbände mit Beginn des Jahres 1974 erneut in die publizistische Offensive gegangen. Massiv griffen sie den Mitbestimmungskompromiss der sozialliberalen Bundesregierung an.

Als der am 22. Januar 1974 auf dem Tisch lag, erklärten BDA und BDI postwendend "das kategorische Nein der Wirtschaft zu den Koalitionsbeschlüssen". In das Zentrum ihrer Kritik stellten sie die geplante paritätische Zusammensetzung des Aufsichtsrates, die damit drohenden Pattsituationen, die die Unternehmen auf lange Sicht handlungsunfähig machen würden.

Und wieder war es Hanns-Martin Schleyer, der bei einer Großkundgebung der Arbeitgeberverbände im März 1974 in Köln vor 3000 Unternehmern erklärte, die Pläne der Koalition für ein Mitbestimmungsgesetz seien geeignet, "der gewerkschaftlichen Machtergreifung" Tür und Tor zu öffnen. Die Mitbestimmung sei ein "Aufmarschglacis" für die Gewerkschaften; vor denen letztlich auch die staatliche Autorität kapitulieren müsse, so Schleyer in der "Welt". 

Ein "Ermächtigungsgesetz für Fremdbestimmung" hatte gar der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats, der MdB Philipp von Bismarck, den sozialliberalen Regierungsentwurf genannt. Eine Wortwahl, für die er sich nicht nur vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner ("eine Beleidigung dieser Seite des Hohen Hauses"), sondern auch vom Wirtschaftsexperten der FDP, Otto Graf Lambsdorff, eine Rüge einhandelte.

Sichtbar verstärkten die Arbeitgeberverbände den Druck auf den kleineren Koalitionspartner, indem sie etwa die Wirtschaftspresse gegen die FDP mobilisierten. Vor allem Otto Graf Lambsdorff, wirtschaftspolitischer Sprecher und zugleich Speerspitze der Wirtschaftsfraktion in der FDP-Fraktion, drängte seine Partei schließlich zu Neuverhandlungen. Mit Erfolg: Die folgenden Gesetzentwürfe und Koalitionskompromisse trugen ein ums andere Mal mehr die Handschrift der Wirtschaftsliberalen.

Aber das Unternehmerlager machte noch eine weitere Frontlinie auf: Im Frühjahr 1974 kündigte BDA-Geschäftsführer Rolf Thüsing an, gegebenenfalls beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde einzulegen. Das geschah dann auch, selbst nachdem ein unterparitätisches Gesetz am 18. März 1976 vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet worden war.

Am 1. März 1979 erging das Urteil: Die Karlsruher Richter folgten den zentralen Einwänden der Arbeitgeber nicht, wonach mit dem Gesetz in die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie eingegriffen und die Eigentumsgarantie verletzt worden sei. Mehr noch: Das BVG stellte klar, dass das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral ist. Arbeitgeber-Präsident Otto Esser räumte 1979 ein, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinter den Erwartungen der Arbeitgeber zurückgeblieben sei.

Das Verfassungsgericht zog aber auch in der Frage der Parität enge Grenzen. Das - wie auch der erfolglose Gang der Arbeitgeber nach Karlsruhe - trug dazu bei, dass der DGB sich mehr und mehr mit dem ungeliebten Gesetz zu identifizieren begann. Von dem zunächst angekündigten Kampf für eine weitere Ausdehnung der Mitbestimmung war bald keine Rede mehr. Kanzler Schmidt wurde 1982 gestürzt, die FDP wollte mit der CDU regieren.

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