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Wenckenbach Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Gewerkschaftliche Zugangsrechte sichern Mitbestimmung

Ausgabe 06/2021

Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, über digitale Kommunikationskanäle.

Die Digitalisierung ist eine Herausforderung für die Gewerkschaften. Nicht nur, weil sie den Anspruch haben, neue Arbeitsformen und Rahmenbedingungen im Sinne der Beschäftigte zu gestalten. Die Arbeitswelt ist durch den technischen Fortschritt erheblichen Veränderungen unterworfen, die durch die Coronakrise beschleunigt wurden. Diese Veränderungen betreffen aber auch das Herz der Gewerkschaftsarbeit selbst: Der Kontakt mit und die Gewinnung von Mitgliedern müssen unter neuen Rahmenbedingungen gelingen. Zum Beispiel in Betrieben mit großen Teilen der Belegschaft im Homeoffice oder mit überwiegend mobiler Arbeit. Oder in Betrieben, wo es gar keinen Betrieb als gemeinsamen Ort gibt und die Beschäftigten sich nur noch online begegnen, wie etwa in der Plattformökonomie.

Auch die betriebliche Mitbestimmung hat bisher für demokratische Prozesse auf direkte Begegnung gesetzt: auf Sprechstunden des Betriebsrats, Betriebsversammlungen, Schwarze Bretter. All dies bleibt weiterhin wichtig. Doch auch ein digitaler Zugang von Interessenvertretungen zu den Beschäftigten muss gelingen, mehr als zuvor. Das gehört zu den Voraussetzungen dafür, dass die Erosion der Tarifbindung gestoppt werden kann. Denn ohne Mitbestimmung und ohne gewerkschaftliche Macht im Betrieb – durch starke Betriebsräte und aktive Gewerkschaftsmitglieder – gibt es keine Tarifbewegung.

Die Pandemie hat gezeigt, welche technischen Möglichkeiten bestehen, wie kreativ die Interessenvertretungen sind, auch wenn sie ins kalte Wasser geworfen werden. Viele neue Möglichkeiten des digitalen Zugangs, der Kommunikation kamen in sehr kurzer Zeit zum Einsatz; Gewerkschaften und Betriebsräte nutzen sie selbstverständlich für ihre Kernaufgaben. Aber dass auch den Gewerkschaften und Betriebsräten digitale Kommunikationskanäle geöffnet werden, ist leider nicht für alle Arbeitgeber selbstverständlich. Ihre Mitwirkung ist aber technisch erforderlich. Gerade da, wo es betriebliche Konflikte gibt, wo Arbeitgeber Gewerkschaften und Betriebsräte bekämpfen, braucht es klare Rechtsansprüche für digitalen Zugang.

Die geltende Gesetzeslage räumt „digitale Zugangsrechte“ für Interessenvertretungen bereits ein. Das erklärt ein neues Rechtsgutachten des renommierten Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler für das Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung ausführlich und praxisnah. Däubler kommt zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmervertreter auch im digitalen Betrieb Anspruch auf Informationsaustausch und Präsenz haben, also zum Beispiel dienstliche E-Mail-Adressen oder das Intranet nutzen dürfen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen zu gestalten und beispielsweise festzuschreiben, dass die Anfahrt aus dem Homeoffice für einen Besuch der Betriebsratssprechstunde als Arbeitszeit gilt.

Die IG BCE hat kürzlich eine ­Sozial­­part­nervereinbarung zum Thema abgeschlossen. Die Rechtsanwendung ist aber alles andere als eindeutig, und manche Unternehmen nutzen die bestehenden Unklarheiten in ihrem Sinne. Das zeigt der Rechtsstreit, den die IG BCE derzeit mit Adidas führt. Deshalb ist es gut, dass die zukünftigen Regierungsparteien sich im Koalitionsvertrag für ein zeitgemäßes digitales Zugangsrecht entsprechend der analogen Rechte von Gewerkschaften ausgesprochen haben. Bei dieser rechtspolitischen Klarstellung geht es letztlich um die Sicherung der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit, die ohne eine Verbindung zwischen Belegschaft und Gewerkschaft ins Leere liefe. Nun kommt es auf die Umsetzung an.

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