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Gedenkveranstaltung: „Deutschland braucht Mitbestimmung in seinen Unternehmen“

Ausgabe 05/2013

Bundespräsident Joachim Gauck verband das Gedenken an die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 mit einem Appell, die Betriebsratswahlen im kommenden Jahr aktiv zu nutzen. Von Margarete Hasel

Bundespräsident Gauck verfügt über eine ganz besondere Art, rhetorisch die großen Linien der Geschichte mit den vermeintlich kleinen Schicksalen Einzelner zu verbinden – und er verfügt über einen Stab von klugen Redenschreibern, die komplexe Sachverhalte in einfachen Sätzen zu Papier bringen, denen der Theologe Gauck eine glaubwürdige Stimme zu geben versteht. „Anpassung bis zur Unterwerfung ist politischer Selbstmord und beraubt den Menschen zusätzlich seiner Selbstachtung“, war eine dieser Botschaften zum 80. Jahrestag der schrecklichen Ereignisse rund um den 2. Mai 1933, an dem die Nazis die Gewerkschaftshäuser besetzten und das Ende der Weimarer Republik besiegelten. Adressiert war sie an die rund 600 Gäste der zentralen Gedenkveranstaltung – darunter viel Berliner Politikprominenz und zahlreiche Vorstandsmitglieder aus den Gewerkschaften –, zu der der DGB und die Hans-Böckler-Stiftung am 2. Mai 2013 in das Deutsche Historische Museum in Berlin geladen hatten.

„Ich kann und will hier nicht der Frage nachgehen, ob es eine Alternative zur gewerkschaftlichen ‚Politik des kühlen Blutes‘ gegeben hätte, beispielsweise einen Generalstreik“, sagte Gauck – siehe Redeauszug – und zollte jenen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern Respekt, die auch nach der Zerschlagung ihrer Organisationen Widerstand leisteten. Stellvertretend für sie erinnerte Gauck an den ermordeten Wilhelm Leuschner sowie an Jakob Kaiser und Otto Suhr, die die Attacken der Gestapo überlebten und nach dem Krieg für den Wiederaufbau der Demokratie arbeiteten. Mit der Krankenpflegerin Else Niewiera und dem Dreher Lorenz Breunig verwies Gauck auch auf das Schicksal weniger bekannter Gewerkschafter im Widerstand. Mit einer bewegenden Geste bat er die Versammelten, sich zu einem Moment des stillen Gedenkens zu erheben: „Lassen Sie uns in großer Dankbarkeit gemeinsam an diese Menschen erinnern.“

„Schafft die Einheit!“

Mit nachdenklichen Worten hatte zuvor der DGB-Vorsitzende Michael Sommer an die Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten erinnert und dabei die Augen auch vor den opportunistisch angepassten Facetten der Gewerkschaftsgeschichte nicht verschlossen: „Wer von uns kann für sich in Anspruch nehmen, er oder sie hätte anders gehandelt, wäre mutiger gewesen, hätte mehr riskiert?“ Umso wichtiger seien die Lehren aus dem Versagen der Organisationen. „Zentrales Vermächtnis derer, die aus Zersplitterung und Streit in der Weimarer Republik gelernt haben, ist die Gewerkschaftseinheit“, sagte Sommer. „Sie war der wichtigste Auftrag, den uns die Häftlinge der Konzentrationslager und Nazi-Gefängnisse auf den Weg gaben: Schafft die Einheit!“

Auch Bundespräsident Gauck würdigte die Bedeutung der Gewerkschaften für die heutige Demokratie. Nur wo es freie Gewerkschaften und freie Arbeitnehmervertretungen gebe, seien Demokratie und Teilhabe sozial gelebte Wirklichkeit – und er erinnerte, an Michael Sommer als Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes gewandt, an die schwierigen Bedingungen, unter denen Gewerkschafter in anderen Ländern immer noch arbeiten müssen: „Im Jahr 2011 kamen mindestens 76 Menschen infolge ihrer Gewerkschaftsarbeit ums Leben, viele davon in Lateinamerika. Zu viele Arbeitnehmer auf der ganzen Welt sind immer noch ohne jeden Schutz, ohne jede Vertretung: Gerade wurden fast 400 Arbeiterinnen und Arbeiter unter einem baufälligen Gebäude in Bangladesch begraben.“

Den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands führte Gauck unmissverständlich auf den mitbestimmten Alltag der sozialen Marktwirtschaft zurück, „aus der heute die bewährte Sozialpartnerschaft, das konstruktive Miteinander von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einfach nicht hinweggedacht werden können“. Im Osten Deutschlands leide die gewerkschaftliche Arbeit jedoch bis heute unter der Erfahrung einer zweiten, Jahrzehnte dauernden Diktatur, in der die Gewerkschaften nicht autonom waren.

Deutschland brauche weiter eine mit Leben erfüllte Interessenvertretung der Arbeitnehmer, sagte Gauck und erhob die betriebliche Demokratie – siehe Redeauszug – quasi in Verfassungsrang: „Sie ist fast so wichtig wie die gelebte und sich entwickelnde Demokratie unseres politischen Raums. Ich danke jeder und jedem Einzelnen, der sich diesem Ziel verpflichtet fühlt, sei es haupt- oder ehrenamtlich, seit Jahrzehnten oder im entscheidenden Augenblick.“

Sonderwettbewerb der „Gelben Hand“

Die Gedenkfeier war zugleich der würdige Rahmen für die Verleihung von zwei Sonderpreisen, die der DGB für den diesjährigen Wettbewerb der Initiative gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, „Die Gelbe Hand“, gestiftet hat. Ausgezeichnet wurden zwei Projekte, die sich mit dem Thema „Verwischte Spuren – Würde und Widerstand im Alltag“ auseinandergesetzt haben. Mit dem ersten Preis für ihr gemeinsames Projekt über den Arbeiterwiderstand in Herne und Wanne-Eickel wurden die Schülerinitiative „Kohlengräberland“ der Erich-Fried-Gesamtschule Herne, die ver.di-Jugendgruppe und die Jugend- und Auszubildendenvertretung der Stadtverwaltung sowie die DGB-Geschichtswerkstatt Herne ausgezeichnet. Der zweite Preis ging an das Projekt „2. Mai 1933 – Tatort Duisburg“ der DGB-Jugend Duisburg-Niederrhein, das an vier Duisburger Gewerkschafter erinnert, die am 2. Mai grausam ermordet wurden. 

Mehr Informationen

Gaucks Rede in voller Länge auf der Internetseite des Bundespräsidenten

Eine ausführliche Dokumentation der Verantstaltung bietet der DGB. Dort ist auch Sommers Rede in voller Länge zu finden.

Einen interessanten Einblick in die Vergangenheit eröffnet der virtuelle gewerkschaftshistorische Stadtführer durch Berlin, der im Rahmen des Berliner Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ vom DGB angeregt wurde 

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