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Magazin Mitbestimmung

Von BERND KUPILAS: Das Sparkonto der Kleinrentner

Ausgabe 04/2017

Thema Lange gearbeitet, mäßig verdient, nicht viel auf der hohen Kante: Viele Menschen haben am Ende ihres Erwerbslebens wenig Vermögen angehäuft. Bis auf ihre Rentenansprüche. Wissenschaftler des DIW fordern deshalb, die gesetzliche Rente zu stärken.

Von BERND KUPILAS

Übliche Berechnungen über die Verteilung von Vermögen gehen so: Wissenschaftler schauen sich an, welche Werte die Menschen angehäuft haben, wie dick das Konto bei der Bank ist oder wie groß das Häuschen oder die Villa, die sie ihr Eigentum nennen. Experten sprechen hier von Geld- und Sachvermögen. Am Ende kommt ein Befund heraus, der wenig verwundert: Das Vermögen in Deutschland ist sehr ungleich verteilt. Die oberen zehn Prozent in der Vermögensverteilung besitzen rund 60 Prozent des Vermögens. Und in dieser Zahl fehlen noch die Multimillionäre und Milliardäre.

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind nun einen neuen Weg gegangen: In einer Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde, haben sie den Begriff des Vermögens erweitert – und betrachten Anwartschaften auf Bezüge im Alter ebenfalls als Vermögen. Das sei legitim, erklärt Markus Grabka, einer der Leiter des Forschungsprojekts, schließlich seien Rentenanwartschaften mit Geld- und Sachwerten zu vergleichen – wenn auch mit Einschränkungen. Dazu später mehr.

WAS IST DAS RENTENVERMÖGEN?

Aus Gründen der Verständlichkeit wird in diesem Text der Begriff des Rentenvermögens benutzt, auch wenn es streng wissenschaftlich heißen müsste: Vermögen aus Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme. Rentenvermögen im engeren Sinne beinhaltet noch die pri­vate Vorsorge; sie findet sich in den vorliegenden Zahlen aber im Geld- und Sachvermögen wieder. Dem Lesefluss zuliebe verwenden wir dennoch den Begriff Rentenvermögen und bitten, ihn wie erläutert auszulegen. Ähnliches gilt für Begriffe wie Rentenanwartschaften oder Rentenansprüche. Auch sie benutzen wir aus Gründen der Lesbarkeit. Wo nicht anders vermerkt, sind damit alle Arten von Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme gemeint, also zum Beispiel auch Pensionen etc.

Die Wissenschaftler betrachten also herkömmliche Vermögen und Rentenvermögen. Sie nutzten für ihre Untersuchung Daten aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP), einer Art Mini-Volkszählung. Die Berechnung ist die erste ihrer Art für Deutschland.

„Das Ergebnis hat uns erstaunt“, erklärt Sozial­wissenschaftler Grabka. Rechnet man Rentenvermögen mit ein, dann „verdoppelt sich das Vermögen im Durchschnitt“, erläutert er. Demnach besitzt ein Bundesbürger im Schnitt rund 85.000 Euro an Geld- und Sachvermögen. Hinzu kommen im Durchschnitt noch einmal gut 91.000 Euro an Ansprüchen auf Bezüge im Alter. Die DIW-Fachleute haben dabei alle Arten von Rentenanwartschaften einberechnet: sowohl die gesetzliche Rente als auch Beamtenpensionen oder die betriebliche Altersvorsorge und die berufsständische Altersvorsorge für Selbstständige.

Die mit Abstand größte Bedeutung kommt dabei der gesetzlichen Rentenversicherung zu, erklärt Markus Grabka. 90 Prozent aller Menschen ab 65 Jahren sind gesetzlich rentenversichert. In der erwerbsfähigen Bevölkerung sind es rund 80 Prozent. Auch zeigt ein Blick auf die Zahlen, wie knapp die gesetzliche Rente im Vergleich zu den Bezügen in anderen Alterssicherungssystemen ausfällt: Im Schnitt erhält ein gesetzlicher Rentner knapp 900 Euro. Ein Beamter bekommt gut 2700 Euro, ein Selbstständiger erhält rund 2100 Euro von seinem Versorgungswerk. Eine betriebliche Altersvorsorge als zusätzliche Stütze der Altersvorsorge bleibt weiterhin einer Minderheit von Beschäftigten vorbehalten.

Die gesetzliche Rente und der Gini-Koeffizient

Wie wichtig die Rentenansprüche gerade für weniger vermögende Menschen sind, zeigt sich bei einem tieferen Blick in die Zahlen. Die Wissenschaftler schauten dazu auf den sogenannten Medianwert. Das ist jener Wert, der genau in der Mitte der Vermögensverteilung liegt.Das heißt: Die untere Hälfte der Bevölkerung besitzt weniger als diesen Wert, die andere Hälfte besitzt mehr. Er beträgt 18.000 Euro beim Geld- und Sachvermögen und 59.000 bei den Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme. Das heißt: Ein Mensch aus der Mitte der Vermögensverteilung besitzt dreimal so viel Rentenvermögen wie Geld- und Sachvermögen. Die relative Bedeutung der Rente als Vermögensfaktor ist also deutlich höher als im oberen Bereich der Vermögensverteilung. All diese Berechnungen sind auf einzelne Personen bezogen, nicht auf Haushalte.

Ein noch tieferer Blick in die Zahlen zeigt: Je weiter unten man sich in der Vermögensverteilung bewegt, desto bedeutsamer wird die Rente als Vermögenskomponente. Für die unteren 40 Prozent macht das Rentenvermögen rund 90 Prozent des Gesamtvermögens aus.

Die Studie lässt sich deshalb auch so lesen: Ärmere Menschen können wenig bis nichts ihr Eigen nennen – mit Ausnahme ihrer Rentenansprüche. Das heißt aber auch: Kürzt man Klein- oder Normalverdienern die Rente, nimmt man ihnen Vermögen weg. Die Schlussfolgerung des Wissenschaftlers: „Es ist wichtig, die gesetzliche Rente zu stützen“, sagt Markus Grabka, „wenn nicht sogar, sie auszubauen.“ Denn: „Eine weitere Senkung würde gerade die untere Vermögenshälfte der Bevölkerung treffen.“

In der Betrachtung der DIW-Studie macht die Rente die Welt ein bisschen gerechter. Die Wissenschaftler haben dazu eine in der Volkswirtschaft gängige Kennziffer für Ungleichheit zu Hilfe genommen: den Gini-Koeffizienten. Er zeigt das Ausmaß der Ungleichverteilung an und hat einen Wert zwischen null und eins. Null besagt totale Gleichverteilung, ein Wert von eins totale Ungleichverteilung. Der Gini-Koeffizient für Geld- und Sachvermögen liegt in Deutschland bei einem Wert von knapp 0,8. Bezieht man das Rentenvermögen in die Berechnung mit ein, verändert sich der Koeffizient auf einen deutlich gerechteren Wert von 0,6 Prozent, haben die DIW-Experten ausgerechnet.

Verteilungspolitischer Anstoß

Zugleich warnen die Wissenschaftler davor, ihre Ergebnisse falsch zu interpretieren. Wissenschaftler Grabka betont: Keinesfalls gehe es darum, den Schluss zu ziehen, „bei der Vermögensverteilung ist alles halb so schlimm – schließlich haben wir die gesetzliche Rente“. Vielmehr gehe es darum, zu zeigen, was verteilungspolitisch passiert, wenn die gesetzliche Rente weiter unter Druck gerät. Zumal das deutsche Rentensystem mit seinem strengen Äquivalenzprinzip – man bekommt heraus, was man eingezahlt hat – wenig tut für eine Umverteilung hin zu den weniger Betuchten.

Auch wenn die DIW-Wissenschaftler Rentenansprüche und gewöhnliches Vermögen zu einem Gesamtvermögen zusammengezogen haben, am Ende ist beides nicht ein- und dasselbe. Vermögen aus Rentenansprüchen seien „kein perfekter Ersatz“ für finanzielle Vermögen und Sachwerte, für das beruhigend gefüllte Bankkonto oder das abbezahlte Haus am See. Schließlich kann man über Rentenanwartschaften nicht frei verfügen, man kann sie nicht verkaufen und auch nicht beleihen. Und vererben kann man sie auch nicht, sieht man von der Witwenrente ab.

Gleichwohl wirft das DIW mit seiner Studie interessante Befunde in die renten- wie in die verteilungspolitische Debatte. In nahezu allen OECD-Staaten gebe es Diskussionen um das Rentensystem, heißt es in der Studie; gerade vor diesem Hintergrund sei es wichtig, Rentenansprüche in die Betrachtung der Vermögensverteilung einzubeziehen. Damit Rentenreformen die Vermögensverteilung nicht noch ungerechter machen.

Foto: Dietmar Gust

 

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