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Magazin Mitbestimmung

: Das Schlimmste überstehen

Ausgabe 12/2011

ITALIEN Die neue italienische Regierung nimmt die Lösung der Schuldenkrise in Angriff. Die Gewerkschaften wollen den Sozialabbau begrenzen, finden aber keine gemeinsame Strategie. Was sie eint, ist der feste Wille, Europäer zu bleiben. Von Michaela Namuth

MICHAELA NAMUTH ist Journalistin in Rom/Foto: Namuth

Als Silvio Berlusconi am Abend seines Rücktritts aus dem Quirinal trat, stimmte die Menschenmenge das Halleluja von Händel an. Der Chor vor dem Palast des Staatspräsidenten, wo die Amtsniederlegung stattfand, sang so perfekt, als habe er seit Langem für diese Gelegenheit geprobt. An diesem Abend hat sich Italien von einem Albtraum befreit. Das dachten in diesem Moment alle, die auf der Piazza zusammenstanden. Gleichzeitig stieg die Hoffnung der Italiener, ihr Land vor dem Bankrott retten zu können.

Zum Jubilieren haben sie allerdings wenig Grund. Das von der Eurokrise und dem Gespann Merkel-Sarkozy diktierte Anti-Krisen-Paket stellt die viel gerühmte Überlebenskunst der südlichen Nachbarn auf eine harte Probe. Der neue Ministerpräsident Mario Monti ist ein Mann der Finanzbranche, seine Minister zum großen Teil brave und fest zum Sparen entschlossene Professorinnen und Professoren. Monti will so lange regieren, bis das Land nach den Verwüstungen durch Berlusconi und seinem Gefolge wieder eine wirtschaftliche Stabilität erreicht hat. Italien sitzt auf einem Schuldenberg so hoch wie 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das totale Desinteresse der Ex-Regierung für Industrie- und Wachstumspolitik hat die Unternehmen, die zu 90 Prozent weniger als fünf Beschäftigte haben, vollkommen schutzlos einer kaum zu bewältigenden Investitions- und Exportkrise ausgesetzt. Deshalb, so Monti, müsse sein Kabinett mindestens bis 2013 Zeit zum Aufräumen haben. „Ich lasse mir keine Frist diktieren“, erklärte der neue Regierungschef.

DEMOKRATIE IN GEFAHR_ Für Susanna Camusso, seit einem Jahr Chefin der linksorientierten CGIL, ist diese Situation problematisch. Zwar gibt es ihrer Meinung nach keine Alternative zu einer Übergangsregierung. „Aber wenn der Notfall behoben ist, muss sofort gewählt werden. Eine technische, nicht durch Wahlen legitimierte Regierung ist eine Niederlage für das Land“, so Camusso. Auf der Tagung „Uscire dal tunnel“ („Raus aus dem Tunnel“), die die CGIL, das Forschungsinstitut IRES, die Stiftung Bruno Trentin und die Friedrich-Ebert-Stiftung im November an der Universität Florenz organisiert haben, warnte sie vor einer Aushöhlung der demokratischen Strukturen. „Die Bedingungen und Programme für Griechenland werden nicht von einer gewählten Regierung, sondern in Brüssel entschieden. Das gilt jetzt auch für uns“, sagte sie.

Der Kern ihrer Kritik richtet sich gegen die aktuelle EU-Strategie, die Krise allein mit finanzpolitischen Instrumenten lösen zu wollen. „Im Konzept der EZB ist der Wohlfahrtsstaat ein Kostenfaktor. In Wirklichkeit ist er das Modell der europäischen Demokratien“, so die Gewerkschaftschefin. Um erst mal das Schlimmste zu überstehen, plädiert sie angesichts der schwierigen Situation in Italien für eine „Politik der Verantwortlichkeit“.

Viele italienische Beschäftigte stehen derzeit vor den Ruinen ihrer Arbeitsplätze. Der Fiat-Konzern hat bereits eine Niederlassung in Sizilien geschlossen und 1600 Beschäftigte vor die Tür gesetzt. Doch auch ohne die Arbeitslosen von Fiat spitzt sich die Lage dramatisch zu. Die Beschäftigungsquote ist auf 57 Prozent gesunken. Nach dem letzten OECD-Bericht lag die Jugendarbeitslosigkeit 2010 bei 27,9 Prozent – weit über dem OECD-Durchschnitt von 16,7 Prozent. Fast die Hälfte der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren, die arbeiten, hat prekäre, zeitlich begrenzte Verträge. Die Berlusconi-Regierung hat die Investitionen in das staatliche Bildungssystem drastisch gekürzt und die Mittel für private, meist konfessionelle Schulen aufgestockt. Die Gehälter im öffentlichen Dienst, die durchschnittlich ohnehin nur bei rund 1400 Euro netto liegen, wurden eingefroren.

MONTI UND DIE GEWERKSCHAFTEN_ Die drei großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL haben das Versprechen Montis positiv aufgenommen, dass er die von der EU diktierten Sparmaßnahmen mit ihnen diskutieren werde. Auf eine gemeinsame Strategie können sich die drei Richtungsgewerkschaften allerdings auch angesichts der drängenden Krise nicht einigen. Susanna Camusso hat bereits angekündigt, dass ihre Organisation keinen Blankoscheck unterzeichnen werde. Die CGIL fordert eine Vermögenssteuer und lehnt drastische Rentenkürzungen, die Einführung einer neuen Eigenheimsteuer – die über zwei Drittel der Bevölkerung trifft – und einen Eingriff in das Kündigungsschutzgesetz ab. Eine ihrer Hauptforderungen ist die soziale Absicherung der prekären Jugendbeschäftigung. Die CGIL ist die einzige Gewerkschaft, die heute noch in der Lage ist, Massendemonstrationen zu organisieren, und die auch einen Dialog mit den sozialen Protestbewegungen gefunden hat.

Raffaele Bonanni, Generalsekretär der traditionell christdemokratisch ausgerichteten CISL, hingegen plädiert für eine konzertierte Aktion: einen Sozialpakt zwischen Regierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. „Nur ein runder Tisch, an dem alle sitzen, die wirkliche Vertretungskompetenz haben, kann dieser Regierung Stabilität geben“, so Bonanni. Der Gewerkschaftsführer, der auch zu Berlusconis Arbeitsminister Maurizio Sacconi einen guten Draht hatte, war als Kandidat für Montis Kabinett gehandelt worden. Er macht keinen Hehl daraus, dass er für eine katholisch-christdemokratische Sammlungsbewegung arbeitet, welche das Zweiparteiensystem aus Berlusconis rechtspopulistischem Partito della Libertà und dem sozialdemokratischen Partito Democratico überwinden will. Für dieses Projekt wollte Bonanni auch Luigi Angeletti, Chef der liberalen UIL, gewinnen. Doch die UIL mit ihrer laizistischen Tradition ist für das Revival der Christdemokraten kaum zu gewinnen. Angeletti fordert von der neuen Regierung hingegen die Senkung der hohen Sozialsteuern, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Montis Vorschläge zur Umsetzung des Anti-Krisen-Pakets enthalten unter anderem eine Kontrollbehörde für die Staatsausgaben, eine Anhebung der Mehrwertsteuer, ein flexibles Renteneintrittsalter von 63 bis 67 Jahren sowie eine schrittweise Verlagerung der Verhandlungskompetenzen vom Flächentarif- zum Firmenvertrag. Was fehlt, sind überzeugende Maßnahmen gegen die Schattenwirtschaft und die Geschäfte der Mafia. Die deutsche Bundeskanzlerin findet die Vorschläge „beeindruckend“. In Italien stoßen sie auf weniger Begeisterung. „Aber alle küssen den Frosch Monti, auch ich“, gestand der Soziologe Marco Revelli in der linken Tageszeitung „Il manifesto“. Denn aus Eurolandia will keiner ausgestoßen werden. Der Druck des Euros hat dazu beigetragen, Berlusconi vom Thron zu stoßen. Jetzt ist der Euro zu einer Art Garantie gegen seine Rückkehr geworden. Susanna Camusso warnt aber: „Wenn wir den Euro wollen, brauchen wir auch ein neues politisches Konzept für Europa.“

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