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Katja Rietzler, Referentin für Steuer- u. Finanzpolitik am IMK (l.); Désirée I. Christofzik, Professorin für Finanzwissenschaft an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Brauchen wir bei der Schuldenbremse Ausnahmen für Investitionen?

Ausgabe 01/2024

Ja, sagt Katja Rietzler, Expertin für Steuer- und Finanzpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Nein, entgegnet Désireé I. Christofzik, Professorin für Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

JA. 

Deutschland müsste für die Modernisierung der Infrastruktur und die Transformation jährlich einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich ausgeben. Das würde staatliche Investitionen und die Förderung privater Investitionen auf allen staatlichen Ebenen – insbesondere beim Bund – betreffen. Die Spielräume bei der Schuldenbremse reichen dafür nicht aus. Allein durch Haushaltsumschichtungen sind die notwendigen Mittel nicht sinnvoll aufzubringen. Da die Investitionen auch zukünftigen Generationen nützen, ist es ökonomisch gerechtfertigt, sie zu einem nennenswerten Teil über Kredite zu finanzieren. Zukünftigen Generationen ist nicht gedient, wenn wir wichtige Investitionen unterlassen und so den Standort schwächen, während maßgebliche Konkurrenten auf dem Weltmarkt wie China und die USA massiv in Infrastruktur und Transformation investieren.

Studien zeigen, dass öffentliche Investitionen private Investitionen anregen. Eine „goldene Regel“, die Investitionen bei der Schuldenbremse (und auch bei den europäischen Regeln) ausnimmt, würde durch eine langfristig gesicherte  Finanzierung auch Planungssicherheit schaffen. Es gäbe zudem mehr Transparenz, weil man dann auf Umgehungsstrategien verzichten könnte. Angesichts der im internationalen Vergleich niedrigen Schuldenstandsquote und einer immer noch niedrigen Zinsbelastung werden die Risiken der Staatsverschuldung überbewertet.

KATJA RIETZLER arbeitet am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung im
Referat Steuer- und Finanzpolitik.


NEIN.

Der Vorschlag erscheint zunächst sinnvoll. Wird kreditfinanziert öffentliches Vermögen geschaffen, müssen künftige Generationen zwar den Schuldendienst leisten, sie können aber zugleich auf den Vermögenswert zugreifen, was eine Beteiligung an der Finanzierung rechtfertigt. Für Vermögenszuwächse oder andere Ausgaben, die künftig Erträge generieren, wäre also eine Neuverschuldung prinzipiell gut begründbar. Eine solche Regel besteht aber den Praxistest nicht. Investitionen müssten so abgegrenzt werden, dass sie künftigen Generationen tatsächlich einen entsprechenden Nutzen stiften. Das lässt sich kaum bewerkstelligen.

Die Regel vor Einführung der Schuldenbremse ließ bereits Kreditaufnahmen für Investitionen zu und hat sich nicht bewährt. Das lag unter anderem daran, dass der Investitionsbegriff sehr weit gefasst war und Wertverluste nicht berücksichtigte. Aktuelle Vorschläge sehen das zwar zum Teil vor, aber Abschreibungen werden beim Bund und den meisten Ländern gar nicht erfasst, und die Schätzungen in anderen Statistiken sind für diesen Zweck gänzlich ungeeignet. Damit bestehen die Umsetzungsprobleme fort und damit auch das Risiko, dass durch Fehlanreize Ausgaben zurückgestellt werden, nur weil sie nicht als Investitionen klassifiziert werden. Die öffentliche Hand könnte versucht sein, die vorhandene Infrastruktur zu vernachlässigen und stattdessen schuldfinanzierten Neuinvestitionen den Vorzug zu geben.

DÉSIRÉE I. CHRISTOFZIK ist Professorin für Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.


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