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Norbert Kluge Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Braucht die EU Mindeststandards für die Mitbestimmung?

Ausgabe 04/2020

Ja - sagt Norbert Kluge, Gründungsdirektor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Nein - sagt Renate Hornung-Draus, Leiterin der Abteilung Europäische Union und Internationale Sozialpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Norbert Kluge, Gründungsdirektor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Ja. Denn Renditeinteressen dürfen nicht länger der Kompass für Unternehmensführung sein. Europas Unternehmen müssen zeigen, dass sie sozial verantwortlich, demokratisch und grün sind – und gerade deshalb besonders leistungs- und wettbewerbsfähig. Nur so können die großen Politikprogramme Europas für mehr Nachhaltigkeit und die Bewältigung der Corona-Krise zu zivilgesellschaftlichen Errungenschaften werden.

Ein besserer Rechtsrahmen mit Mindestbedingungen für Arbeitnehmerrechte zur Unterrichtung, Anhörung und Partizipation auf Unternehmensebene würde das EU-Gesellschaftsrecht sinnvoll komplettieren. Das würde einer nachhaltigen Unternehmensführung den richtigen Rahmen geben. Europa muss der Entwicklung, dass nationale Standards unterlaufen und abgestreift werden, einen Riegel vorschieben. Die Anzeichen dafür mehren sich, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Debatte dazu anstoßen will. Das ist im gemeinsamen Interesse.

Die Europäisierung der Interessenvertretung hat längst schon Fahrt aufgenommen: in Europäischen Betriebsräten, in den Aufsichts- und Verwaltungsräten Europäischer Aktiengesellschaften oder auf den europäischen Plattformen ihrer Gewerkschaften. Die Arbeitnehmer sind bereit, mehr Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Bessere Beteiligungsrechte sind dafür die Voraussetzung.

Renate Hornung-Draus, Leiterin der Abteilung Europäische Union und Internationale Sozialpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): Nein. In den EU-Staaten gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Formen und Traditionen für die Mitwirkung der Arbeitnehmer in den Unternehmen. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsorganen der Unternehmen ist eine wenig verbreitete Form der Mitwirkung, bei der Deutschland eine Sonderstellung einnimmt.

In rund der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten gibt es für nationale Rechtsformen überhaupt keine Unternehmensmitbestimmung. In den Ländern mit Mitbestimmungsregeln unterscheiden sich diese erheblich vom deutschen Modell und gehen in der Regel nicht über eine Drittelbeteiligung an Aufsichtsorganen hinaus.

Auf EU-Ebene gibt es bereits umfassende Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung für grenzüberschreitende Sachverhalte, unter anderem für die Europäische Aktiengesellschaft, für grenzüberschreitende Fusionen und für die Sitzverlagerung. Wesentliches Merkmal dieser Regelungen ist, dass sie auf einer Vereinbarungslösung beruhen.

Dieses Prinzip entspricht auch dem Ansatz der Richtlinien über Europäische Betriebsräte und über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer im nationalen Kontext. Weiter gehende EU-Mindeststandards sind weder erforderlich noch sinnvoll.

  • Renate Hornung-Draus

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