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Thomas Klebe, 69, ist Jurist und leitet zusammen mit Marlene Schmidt das Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Bis Ende 2013 war er Justiziar der IG Metall. Er war Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, so bei Daimler, Opel, Saarstahl und Hewlett-Packard. Magazin Mitbestimmung

Die Fragen stellte MARGARETE HASEL.: "Betriebsräte sollen fair bezahlt werden"

Ausgabe 03/2018

Interview Thomas Klebe, Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, wirbt für eine Modernisierung der Regeln, nach denen freigestellte Betriebsräte vergütet werden.

Die Fragen stellte MARGARETE HASEL.

Warum brauchen wir eine Reform der Betriebsratsvergütung?

Weil die aktuelle Interpretation der Gesetzeslage durch das Bundesarbeitsgericht die Betriebsratsmitglieder benachteiligt. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1920 sagte: Betriebsrat ist ein Ehrenamt, die Betriebsratsmitglieder sollen durch ihre Tätigkeit keine Vor- und keine Nachteile haben. Auch 1952 wurde das so gesehen. Seit 1972 der gesetzliche Anspruch auf Freistellung eingeführt wurde, sagt der einschlägige Paragraf 37, dass das Entgelt nicht geringer sein soll als das vergleichbarer Arbeitnehmer, unterstellt wurde eine betriebsübliche Entwicklung. Bis dahin gab es Freistellungen nur auf der Grundlage betrieblicher Vereinbarungen. Der Hinweis auf vergleichbare Arbeitnehmer soll vor Benachteiligung schützen, es sollte ein Schutz nach unten sein. Tatsächlich wirkt die Regelung aber heute vor allem als eine Begrenzung nach oben.

Über welchen Personenkreis reden wir?

Im Organisationsbereich der IG Metall beispielsweise sind 5,5 Prozent der Betriebsratsmitglieder, rund 4000 der 74 000 Kolleginnen und Kollegen, ganz oder teilweise freigestellt. Das Gros ist also nicht freigestellt. Ihr Problem ist ein anderes: Ihnen machen der Arbeitgeber und Vorgesetzte oft Schwierigkeiten, wenn sie ihre Aufgabe als Betriebsrat erfüllen und von ihrer alltäglichen Arbeit freigestellt werden wollen.

Wer wird tendenziell benachteiligt?

Die Rechtsprechung hat die Regel so ausgelegt, dass nur Weiterbildungsmaßnahmen und denkbare berufliche Entwicklungen im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Job berücksichtigt werden. Völlig unberücksichtigt bleibt, was eine Person als Betriebsrat an Fähigkeiten und Qualifikationen erworben hat. Bei jedem anderen werden die gestiegenen Anforderungen an die Arbeit, die wahrgenommene Verantwortung bei der Vergütung – genauer: bei der Eingruppierung – berücksichtigt. Bei Betriebsräten nicht. Das ist eine Benachteiligung. Und da reden wir noch nicht darüber, dass sich die Welt seit 1972 und erst recht seit 1920 radikal verändert hat. Digitalisierung und Globalisierung spielen heute auch in mittleren und kleineren Betrieben eine immer wichtigere Rolle.

Es hapert bei der Anpassung der Betriebsratsvergütung an die moderne Arbeitswelt und an das Gehaltsgefüge eines modernen Unternehmens?

Beschäftigte werden in der Regel nach ihrer Tätigkeit eingruppiert, eben danach, was sie können, was sie leisten, welche Verantwortung sie tatsächlich tragen. Bei Betriebsräten ist das nicht so. Hinzu kommen praktische Probleme: Wenn jemand mehrere Jahre freigestellt ist, gibt es möglicherweise die Abteilung oder die Kollegen, mit denen er verglichen werden soll, gar nicht mehr. Eine Benachteiligung gegenüber anderen Beschäftigten resultiert vielfach auch daraus, dass ein Betriebsrat, der aus der Fertigung kommt, maximal mit einem Meister verglichen werden kann – mit einer Vergütung, die je nach Metalltarifgebiet bei rund 5000 Euro im Monat liegt. Während er tatsächlich Tätigkeiten ausübt und Verantwortung trägt, die mindestens der dritten oder vierten Führungsebene des Konzerns entsprechen.

Wie müsste eine gerechtere „Lohnformel“ für Betriebsräte ausschauen, die vor allem auch ihren gewachsenen Aufgaben Rechnung trägt?

Eine Kommission der IG Metall aus Betriebsräten und Kollegen aus den Verwaltungsstellen hat das 2015 als Ergänzung des Paragrafen 37 so zusammengefasst: „Bei der Bemessung des Arbeitsentgeltes und der allgemeinen Zuwendungen sind außerdem die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen wie auch die auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen.“

Trotzdem hält der Vorschlag am Ehrenamt Betriebsrat fest. Warum?

Ich glaube, man muss den Begriff Ehrenamt so verstehen: keine Vor- und keine Nachteile durch die Betriebsratstätigkeit. Aber wenn sich das Betriebsratsmitglied qualifiziert, wenn es wichtige Aufgaben mit Verantwortung übernimmt, dann muss es wie jeder Beschäftigte im Betrieb entsprechend eingruppiert werden. Das sieht das Bundesarbeitsgericht aber anders: Die spezifische Qualifizierung und Verantwortung des Betriebsrats, das zählt alles nichts. Das ist nicht fair, das ist eine Benachteiligung.

Ein Betriebsratsmitglied, das sich ungerecht vergütet fühlt, könnte vor Gericht ziehen.

Das ist extrem schwierig. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Betriebsrat mit einer Klage gegen den Arbeitgeber wegen der Vergütung Erfolg gehabt hätte. Um selbst befördert zu werden, müsste er nachweisen, dass die Vergleichspersonen, mit denen er mal auf einer Stufe stand, mehrheitlich befördert worden sind. Dieser Bezugspunkt ist einfach schief. Ein Betriebsratsvorsitzender hat sehr wahrscheinlich durch sein Engagement und seine Fähigkeiten im Amt ganz andere Qualifikationen erworben. Das ist einfach eine ziemliche Fehlkonstruktion geworden.

Braucht es auch eine Obergrenze?

Das ist sehr schwierig, weil die Betriebe sehr unterschiedlich sind. Da ist noch nicht mal die Größe so sehr das Kriterium. Eine Eingruppierung nach vergleichbaren Tätigkeiten scheint mir passgenauer.

Welche Optionen gibt es gegen Exzesse?

Zunächst: Die Debatte hat in meinen Augen eine ziemliche Schieflage. Exzesse finden wir doch in allererster Linie im Management, wie aktuell wieder bei der Deutschen Bank. Unabhängig davon bin ich der Meinung, dass man die Strukturen der Betriebsratsvergütung offenlegen sollte. Aber das ist umstritten, auch in den Gewerkschaften. Bei der BASF sind Betriebsräte diesen Weg gegangen und auch bei Daimler. Die Transparenz schützt vor Verdächtigungen. Und es ist auch eine Form der Selbstkontrolle für die Betriebsratsmitglieder.

Im vorigen Juni hat ein Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums den IG-Metall-Vorschlag für eine neue Vergütungsregelung aufgegriffen. Aber die Koalition hat ihn nicht mehr verabschiedet. CDU-Mittelstandsvertreter liefen Sturm.

In den Betrieben ohne Freistellung, also mit weniger als 200 Beschäftigten, ändert sich gar nichts. In den Betrieben mit gestaffelter Freistellung – entsprechend den Beschäftigtenzahlen – ist das beherrschbar. Die Höhe legt sowieso der Arbeitgeber fest. Er hätte dann Kriterien an der Hand, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten sollten.

Hat der Vorschlag noch Chancen?

Die Verdächtigungen und teilweise strafrechtlichen Ermittlungen sind ein unwürdiger Zustand – für die Arbeitgeber wie für die Betriebsräte. Die Sozialpartner und die Parteien sollten deshalb die Vorschläge noch mal neu aufgreifen. Betriebsräte haben eine extrem wichtige Rolle, auch für die Gesellschaft, etwa beim Arbeitsschutz, und sind bei der Transformation in eine digitalisierte Arbeitswelt unverzichtbar. Deshalb muss die Betriebsratstätigkeit auch finanziell und als Karriereweg attraktiv sein und nicht Gegenstand von unzumutbaren Verdächtigungen.

 

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Thomas Klebe, 69, ist Jurist und leitet zusammen mit Marlene Schmidt das Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Bis Ende 2013 war er Justiziar der IG Metall. Er war Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, so bei Daimler, Opel, Saarstahl und Hewlett-Packard.

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