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Magazin Mitbestimmung

: Aufsichtsratsmitglieder mit gleichem Maß messen

Ausgabe 05/2004

Wann müssen sich Aufsichtsratsmitglieder der Stimme enthalten, weil sie als Sachwalter verschiedener Interessen in innere konflikte geraten? Historisch hat sich eine zurückhaltende Interpretation der Kollisionsregeln durchgesetzt.

Von Peter Hanau und Ulrich Wackerbarth
Prof. Dr. Peter Hanau leitete bis 2000 das Forschungsinstitut für Deutsches und Europäisches Sozialrecht an der Universität zu Köln und ist heute dort als Emeritus tätig. Prof. Dr. Ulrich Wackerbarth hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Fernuniversität Hagen.

Wie sind die Interessenkonflikte zu beurteilen, die sich durch eine Doppelfunktion von Gewerkschaftsvertretern einerseits im Aufsichtsrat und andererseits bei Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen im selben Unternehmen ergeben könnten? Wir meinen: Hier verlangt die historische Entwicklung eine zurückhaltende Handhabung von Kollisionsregeln. Der allgemeine Interessengegensatz zwischen den Koalitionen der Arbeitnehmer und den Unternehmen als ihren sozialen Partnern und Gegenspielern kann keinesfalls ausreichen, um die Betätigungsfreiheit der Koalitionen und ihrer Vertreter in Tarifautonomie und Mitbestimmung auszuschließen. Nur wo anerkannte Grundsätze einer Unvereinbarkeit von Doppelfunktionen und Interessenkollisionen greifen, kann eine spezielle Konfliktlösung gerechtfertigt und erforderlich sein, die aber von den Fachgerichten vorzunehmen ist. Dabei bilden einerseits der vom Gesetzgeber gewollte Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten aller Aufsichtsratsmitglieder und andererseits die Tarifautonomie die entscheidenden Prüfsteine.

Die derzeitige, auf die Interessenkonflikte der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat zugespitzte Diskussion ist in die allgemeine Diskussion über Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmitgliedern einzubetten. Dabei ergibt sich für die verschiedenen Fallgruppen ein differenziertes Bild.

Zum einen können dauernde Interessenkonflikte Problemlagen schaffen. Hier ist der Diskussionsstand für die Vertreter der Anteilseignerseite eindeutig: Mehrfachmandate sind zulässig. Dadurch sind Interessenkonflikte zwar vorprogrammiert, sie werden aber vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, da die Aufsichtsratstätigkeit nur Nebenberuf ist. Ein Verbot, Aufsichtsratsmandate in konkurrierenden Unternehmen wahrzunehmen, existiert von Gesetzes wegen nicht, allenfalls gibt es Wünsche und Vorschläge, an dieser Situation für die Zukunft etwas zu ändern.

Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex tastet sich mit im Ergebnis nicht verbindlichen Empfehlungen nur vorsichtig vor. Diese Veränderung haben jedoch gerade die Gewerkschaften für sich in den "Grundsätzen ordnungsgemäßer Aufsichtsratstätigkeit” 2003 bereits anerkannt beziehungsweise vorweggenommen.

Punktuelle Interessenkonflikte sind offen zu legen

Bei den punktuellen Interessenkonflikten ist der Diskussionsstand vielschichtiger. Hier ergeben sich die unterschiedlichsten Fallkonstellationen, und man muss daher eine Vielzahl an Reaktionen und Sanktionen bei Interessenkonflikten in Betracht ziehen, ohne dass sich eindeutige oder gar von der Rechtsprechung bestätigte Verhaltensregeln herausgebildet hätten. Es lassen sich aber folgende Tendenzen ausmachen.
Punktuelle Interessenkonflikte soll das Aufsichtsratsmitglied offen legen und hat sich bei Abstimmungen - soweit sie ein Geschäft mit ihm oder einem Unternehmen, dessen Organmitglied er ist, betreffen - der Stimme zu enthalten. Soweit die konkrete Gefahr besteht, dass entgegen der Verschwiegenheitspflicht aller Aufsichtsratsmitglieder die im Aufsichtsrat verfügbaren Informationen zum Nachteil der beaufsichtigten Gesellschaft verwendet werden, besteht unter Umständen ein Teilnahmeverbot an der Sitzung. Darüber hinaus soll sich das Aufsichtsratsmitglied bemühen, seine verschiedenen Rollen voneinander zu trennen. Nur in schweren Ausnahmefällen kommt eine Amtsniederlegung oder eine Abberufung aus wichtigem Grund in Betracht.

Schließt das Aufsichtsratsmitglied Verträge beziehungsweise Rechtsgeschäfte mit dem Unternehmen, hat es sich einer Einflussnahme auf den Vorstand zu enthalten. Davon abgesehen darf das Aufsichtsratsmitglied jedoch seine Interessen gegenüber der Gesellschaft beziehungsweise dem Unternehmen vertreten. Bei Geschäften mit Dritten oder Maßnahmen gegenüber Dritten besteht allenfalls ein Willkürverbot, wenn sich diese auf die beaufsichtigte Gesellschaft auswirken.

Für Interessenkonflikte von Bankenvertretern, insbesondere, aber nicht nur bei Übernahmen, finden sich einige Stimmen, die weitgehende Konfliktvermeidungsstrategien verlangen. Die herrschende Meinung hält jedoch die meisten Konflikte für vom Gesetzgeber in Kauf genommen und schränkt allenfalls die Amtsausübung des einzelnen Bankenvertreters durch Stimmverbote ein, nicht aber dessen Recht zur Ausübung seines Hauptberufs oder gar die Tätigkeit der Bank, auch soweit sich beides zum Nachteil der Gesellschaft auswirkt. Schadensersatzansprüche werden hier kaum diskutiert.

Soweit die Sensibilität für Interessenkonflikte in Unternehmensorganen steigt, hat dies trotz freiwilliger Verhaltenskodizes noch nicht zu einer Ausweitung der Vorkehrungen gegen Interessenkonflikte geführt.

Anders als für die Vertreter der Anteilseigner werden für die Ausübung der Tarifautonomie und des Streikrechts durch Gewerkschaftsvertreter in der Fachliteratur und Öffentlichkeit vielfach deutliche Einschränkungen gefordert. Insbesondere wird ein Verbot aktiver Streikteilnahme verlangt oder ein Ruhen des Aufsichtsratsmandats während eines Streiks. Dabei werden auch Sanktionen wie Schadensersatzpflichten oder Abberufung des betreffenden Mitglieds deutlich angesprochen.

Hingegen verneint die überwiegende Auffassung ein Verbot aktiver Streikbeteiligung, will dafür aber die Informations- und Stimmrechte der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beschneiden, soweit dort über Streik und Tarifvertrag verhandelt wird. Diese zweite Auffassung entspricht der Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder, während sich erstere Auffassung dem Verdacht aussetzt, den Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten aller Aufsichtsratsmitglieder nicht folgerichtig durchzuführen.

Folglich muss man annehmen, dass die Tätigkeit des ver.di-Vorsitzenden Bsirske im Hauptberuf und damit auch seine führende Beteiligung an einem Streik gegen den Flughafen Frankfurt nicht durch seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Lufthansa AG eingeschränkt war. Die Tatsache, dass der Streik zu Einnahmeausfällen bei der Lufthansa AG führte, ist mit der oben unter Punkt 3 beschriebenen Fallgruppe gleich zu behandeln, in der Aufsichtsratsmitglieder im Hauptberuf Maßnahmen gegenüber Dritten vornehmen, die sich mittelbar auf die beaufsichtigte Gesellschaft auswirken und insoweit allenfalls einem Willkürverbot unterliegen. Allerdings hätte sich bei Sitzungen des Aufsichtsrats der Lufthansa AG im Einzelfall ein Teilnahme- und Stimmverbot ergeben, wenn dort konkret über Maßnahmen zur Abwehr von Streikfolgen beraten worden wäre.

Es darf keine Sonderregeln für eine Seite geben

Die Studie zeigt: Die Verhaltensmaßstäbe, die für die Vertreter der Anteilseigner gelten, können auf die Vertreter der Arbeitnehmer und insbesondere auf die von der Gewerkschaft zur Wahl Vorgeschlagenen übertragen werden. Ein isoliertes Vorpreschen zulasten der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wäre deshalb nicht gerechtfertigt. Sollte die Entwicklung allerdings dahin gehen, dass vergleichbare Interessenkollisionen auf Anteilseignerseite - wie sie insbesondere durch Wettbewerbssituationen, Lieferbeziehungen und im Bankenbereich entstehen können - missbilligt werden, müssten auch die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten entsprechende Konsequenzen ziehen. Da sich eine solche Entwicklung abzeichnet, sind die Arbeitnehmer wie die Anteilseignervertreter gut beraten, die persönliche Beteiligung an zugespitzten Konfrontationen mit dem Unternehmen zu vermeiden. Alleingänge einer Seite sind aber weder erwünscht noch zumutbar.

Ende

Hintergrund

Ein zentrales Argument in der Kampagne gegen Unternehmensmitbestimmung ist der angebliche Interessen-Gegensatz zwischen den Aufsichtsratsmandaten der Gewerkschaftsvertreter und ihrer Tätigkeit als hauptamtliche Gewerkschafter. So sei es im "Fall Bsirske” - der ver.di-Vorsitzende ist im Aufsichtsrat der Lufthansa AG - zu einem Interessenkonflikt gekommen, weil der Frankfurter Flughafen von ver.di bestreikt wurde und dadurch die Lufthansa mittelbar einen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe.

Doch sind die Angriffe gegen Frank Bsirske wegen eines möglichen Interessenkonfliktes ungerechtfertigt. Zu diesem Schluss kommen der Arbeitsrechtler Prof. Peter Hanau und der Gesellschaftsrechtler Prof. Ulrich Wackerbarth in einer Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Generell sprechen sich die Experten für eine "zurückhaltende Handhabung” von Kollisionsregeln aus, was Gewerkschafter im Aufsichtsrat angeht. Ein allgemeiner Interessengegensatz zwischen Vertretern der Anteilseigner und Vertretern der Arbeitnehmer kann ihrer Auffassung nach keinesfalls ausreichen, Koalitions- oder Mitbestimmungsrechte einzuschränken.

Bei punktuellen Interessenkonflikten sei, so die Professoren, jedoch strikt auf die Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder zu achten. Das heißt, Frank Bsirske sei genau so zu behandeln wie etwa ein Bankenvertreter, der im Aufsichtsrat über Unternehmensfusionen mitentscheidet. Für diesen Fall existiert keine generelle Unvereinbarkeit von Hauptberuf und Nebentätigkeit. Wäre allerdings in einer Sitzung des Lufthansa-Aufsichtsrates über konkrete Maßnahmen zur Abwehr der Streikfolgen beraten worden, hätte sich für Bsirske, so die beiden Gutachter, "im Einzelfall ein Teilnahme- oder Stimmverbot ergeben.” Im Folgenden resümieren die Professoren Peter Hanau und Ulrich Wackerbarth zentrale Ergebnisse ihrer Studie.

Die Studie
Peter Hanau, Ulrich Wackerbarth: Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit. Baden-Baden, Nomos-Verlag, Mai 2004. 22 Euro

Publikation
Grundsätze ordnungsmäßiger Aufsichtsratstätigkeit. Arbeitshilfen für Aufsichtsräte 10 der Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2003. Kostenlos über Setzkasten, Bestellnummer 25010, Fax: 02 11/408 00 90 40.

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