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Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden und die Kandidatin für den Posten der Vizepräsidentin, Kamala Harris Magazin Mitbestimmung

Internationales : Auch Europa hat eine Wahl

Ausgabe 05/2020

Die wachsende Rivalität zwischen den USA und China trifft auch die Unternehmen und Beschäftigten Europas. Die Situation erfordert ein handlungsfähiges Europa. Von Josef Braml

Amerikas geoökonomische Machtprojektion und das Denken in Einflusssphären zerstören das von US-Verantwortlichen ehedem gepredigte Marktideal des freien Handels und die von den USA geschaffene, regelbasierte Weltordnung. Die unsichtbare Hand des Marktes produziert weltweit Gewinner, aber auch Verlierer, nicht zuletzt in den USA. Der sozioökonomisch bedingte Ausschluss vieler Amerikaner vom gesellschaftlichen und politischen Leben beschädigt das Fundament der amerikanischen Demokratie, namentlich das Vertrauen der Bürger in die etablierte Politik.

Vor allem die Ideologie freier Märkte hat Gegenbewegungen in Kraft gesetzt, die (ökonomischen) Nationalismus zur Folge haben. Die Unzufriedenheit vieler Amerikanerinnen und Amerikaner mit dem politischen und wirtschaftlichen Establishment wurde im Wahlkampf 2016 auf beiden Seiten des politischen Spektrums offensichtlich, verhalf dem Außenseiter Donald Trump zum Wahlsieg – und könnte auch seine Wiederwahl befördern. Sein Herausforderer im aktuellen Wahlkampf, der Demokrat Joe Biden, kann die Wahl auch nur um den Preis eines protektionistischen Auftretens gewinnen und würde mit massiveren Forderungen zur Lastenteilung die Euphorie hierzulande schnell dämpfen.

Bereits in seiner Amtsantrittsrede enttäuschte Trump die Hoffnungen jener Beobachter, die erwartet hatten, dass der populistische Milliardär als Präsident dann doch präsidentieller regieren würde, vor allem auch, weil die traditionell freihandelsorientierte Partei der Republikaner ihn schon noch zur wirtschaftlichen Vernunft bringen würde. Das Washingtoner Establishment habe es versäumt, so Trump in einer Kampfansage an die Anwesenden beider Parteien, die Interessen der Amerikaner zu schützen – vor den „Verwüstungen, die andere Länder in den USA anrichten“, indem sie amerikanische „Firmen stehlen“ und „Arbeitsplätze vernichten“. Gemäß seinem Credo „America first“ verkündete Trump in seiner düsteren Inaugurationsrede zwei einfache Regeln, um Amerika wieder zu Wohlstand und alter Stärke zu führen: „Kauft amerikanische Waren, stellt amerikanische Arbeiter ein!“

Das Recht des Stärkeren

Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, versucht US-Präsident Trump mit wirtschaftlicher und militärischer Macht, die amerikanische Wirtschaft zu schützen und vor allem den weiteren Aufstieg Chinas zu verhindern. Indem er die bereits angeschlagene liberale Weltordnung zerstört, will Trump Wettbewerbern ihre Erfolgsgrundlagen nehmen. Denn in Trumps merkantilistischem Denken hilft die von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene regelbasierte Weltwirtschaftsordnung mittlerweile nur noch seinen „Feinden“: China und Europa.

In der sozialdarwinistisch anmutenden Weltsicht Trumps, in der maximale militärische Macht das Recht des Stärkeren und somit die transaktionale Führung der USA begründet, sind multilaterale Organisationen und internationale Regeln ein Hindernis. Wenn die regelbasierte Ordnung, die internationale „Rule of Law“, insbesondere die Welthandelsorganisation (WTO) und das multilaterale Welthandelssystem, geschwächt sind, dann gilt das Recht des Stärkeren, nämlich der nach wie vor größten Militärmacht USA.

Deutsche Firmen im Fadenkreuz

Amerikas Militärmacht kann genutzt werden, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen: Die „unsichtbare Hand“ des Marktes funktioniert besser mit der oft schon leicht sichtbaren Faust in der Tasche. Wegen ihrer durch die Pandemie verschärften wirtschaftlichen Notlage und enormen Verschuldung werden die USA – auch unter einer möglichen Regierung des Demokraten Joe Biden – umso mehr versuchen, aus der ökonomischen und insbesondere militärischen Abhängigkeit ihrer Verbündeten in Europa und Asien Kapital zu schlagen. Wer sich selbst kein einsatzfähiges Militär leistet, muss wohl oder übel Tribut für die Leistungen der Schutzmacht zollen – oder in der Währungs- oder Handelspolitik dafür zahlen. Als Gegenleistung für militärischen Schutz dürfen Amerikas Protektorate etwa „Freiheitsgas“ zu höheren Preisen erwerben, amerikanische Rüstungsgüter wie Kampfflugzeuge kaufen, damit technologisch abhängig bleiben und zudem das Handelsdefizit der USA verringern helfen.

Von diesem transaktionalen Nullsummen-Denken sind nicht nur die im Energie- und Militärsektor tätigen europäischen Unternehmen betroffen. International agierende deutsche Unternehmen sind insbesondere in das Fadenkreuz geoökonomischer Strategien der Großmächte USA und China geraten. Denn Deutschland ist eine der international am stärksten verflochtenen und somit am meisten verwundbaren Volkswirtschaften der Welt.

Es ist höchste Zeit, dass Europa seine Rhetorik (Stichwort geopolitische Kommission) in Taten umsetzt, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern. Denn nur dieser supranationale Rahmen gewährt den europäischen Staaten die nötige Souveränität, um in der neuen Weltordnung selbstbestimmt wirtschaften und leben zu können.

Über den Autor

Josef Braml leitet das Amerika-Programm bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist Autor des soeben neu aufgelegten Buches „Trumps Amerika. Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com

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