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Magazin Mitbestimmung

: 'Da muss ein Personalrat eben kämpfen'

Ausgabe 11/2009

LANDESVERWALTUNG NRW Hier haben 80 Prozent der Beschäftigten studiert, hier setzt sich Michael Shraer für Landesbeschäftigte ein, wenn sie aufs Abstellgleis geschoben werden sollen. Von Uwe Schmidt

Uwe Schmitt ist Redakteur in der Hans-Böckler-Stiftung/Foto: Karsten Schöne

Als Michael Shraer seine bislang letzte Beförderung erhalten soll, bekommt er eine mündliche Einladung wie 30 andere Kollegen. Es gibt einen kleinen Empfang, der Staatssekretär des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen spricht ein paar Worte, schüttelt viele Hände und verteilt die Urkunden. Shraer steht Schlange, bis er an der Reihe ist. Ein Händedruck, die Urkunde, dann trennen sich die Wege des Staatsekretärs und des Vorsitzenden des Hauptpersonalrates wieder. An ein persönliches Wort zwischen Chef und oberstem Arbeitnehmervertreter erinnert sich Shraer nicht.

Kein schlimmer Vorfall, gewiss. Michael Shraer ist ein 53-jähriger, ein Rheinländer vom Naturell her, dem man ohne Weiteres abnimmt, dass ihm wenig an einer Vorzugsbehandlung liegt. Von dem sprachlosen Treffen berichtet er trotzdem, weil es ein Symptom für das Klima in den Landesbehörden ist: "Wir vom Hauptpersonalrat haben mit der politischen Führung des Hauses so gut wie gar keinen Austausch, obwohl wir den Kontakt lange Zeit immer wieder gesucht haben. Aber wir müssen feststellen, dass wir für die schlicht unwichtig sind." CDU-Ministerpräsident Rüttgers bezeichnet sich in der Öffentlichkeit zwar gern als Arbeiterführer, in den Behörden aber, das haben die Personalräte inzwischen erfahren, pflegt seine Landesregierung ein demonstratives Desinteresse an der Mitbestimmung der Beschäftigten. Für das FDP-geführte Innenministerium gilt das besonders.

ARBEITGEBER BESTIMMT DIE REGELN_ Es ist derzeit kein einfaches Geschäft, die Beschäftigten des Landes NRW zu vertreten. Shraer verweist zwar darauf, dass er mit den Fachbeamten im Ministerium gut zusammenarbeitet, die meisten Probleme würden ja auf dieser Ebene gelöst. Doch die offen zur Schau gestellte Geringschätzung und die freudlose Pflicht zu Einsparungen und zu Stellenabbau machen den Personalräten das Leben schwer. Am stärksten aber wirkt sich eine Besonderheit in der Welt der Mitbestimmung aus: Im öffentlichen Dienst können die Arbeitgeber die Regeln der Interessenvertretung selbst modellieren. Sie sind Teilnehmer am Spiel und zugleich Schiedsrichter. Die schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag hat das nach dem Machtwechsel 2005 ausgenutzt und zentrale Mitbestimmungsrechte im Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG) beschnitten.

Michael Shraer sitzt in seinem Büro im ersten Stock des Düsseldorfer Innenministeriums, vor dem Fenster rauscht der Verkehr, und je länger Shraer von seiner Aufgabe spricht, umso deutlicher wird: Er ist trotz aller Widrigkeiten ausgesprochen gerne Personalrat. Seit fast 20 Jahren kümmert er sich um die Belange von Beamten und Staatsangestellten. Der Wind ist rauer geworden, aber das scheint ihm nicht den Elan zu nehmen. Der ehemalige Schülersprecher kam schon bald nach seinem Einstieg in den Staatsdienst in den Personalrat der Bezirksregierung Köln. Das passte gut: Zum einen ist Shraer nach einem FH-Studium juristisch versiert und kann gut reden, zum anderen hatte er Lust auf ein neues politisches Betätigungsfeld - die Klüngeleien der Kölner SPD zu Beginn der 1980er Jahre hatten ihn von einem größeren Engagement in der Parteipolitik abgehalten. Shraer, der sich im linken Spektrum verortet, schließt sich der ÖTV an. Mehr zufällig gelangt er 2000 an die Spitze des Hauptpersonalrats des Innenministeriums in Düsseldorf: "Die Stelle wurde sehr plötzlich frei, und wir brauchten rasch einen Kandidaten. Ich wäre lieber im Personalrat der Bezirksregierung geblieben. Doch von heute aus gesehen muss ich sagen, dass es eine glückliche Fügung war, denn das ist einfach eine tolle Aufgabe."

Shraer vertritt die Interessen von rund 8500 Beschäftigten, vom Mitarbeiter der Poststelle bis zum Karrierejuristen, vom Teutoburger Wald bis Aachen. Und er führt die Geschäfte des informellen Treffs der Vorsitzenden aller Hauptpersonalräte in NRW - das sind die gewählten Vertreter von mehr als 140000 Beschäftigten. Allein das Innenministerium ist so etwas wie ein Konzern, eine Behörde mit vielen Abteilungen - für Polizei, Verfassungsschutz, Gefahrenabwehr, die Organisation der gesamten Landesverwaltung - und noch mehr Filialen: fünf Bezirksregierungen, eine Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, ein Institut der Feuerwehr, die Deutsche Hochschule der Polizei, das ehemalige Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, das heute IT NRW heißt. Alle diese "Filialen" haben einen eigenen Personalrat, sodass es für den gesamten Geschäftsbereich zwei Hauptpersonalräte gibt: einen für die Polizei, einen für die allgemeine Verwaltung. In dieses Gremium wurde Shraer nun schon zum dritten Mal über die ver.di-Liste gewählt.

Die DGB-Gewerkschafter stellen in den Düsseldorfer Ministerien rund zwei von drei Personalräten. Viele Polizisten sind in der GdP, viele Lehrer in der GEW, und in den Behörden wächst der Anteil der Tarifbeschäftigten. Darum sagt Shraer: "Der Beamtenbund wird zwar in der Öffentlichkeit als der geborene Sprecher der Beamten angesehen, aber das empfinde ich überhaupt nicht so." Dem Hauptpersonalrat liegt viel an einem möglichst hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Behörden, denn auch hier stärkt das die Schlagkraft der Mitbestimmungsakteure. Allerdings lassen sich Menschen, die in einem lebenslangen Dienstverhältnis stehen, schwerer mobilisieren als Industriearbeiter. Das hohe Bildungsniveau mag zusätzlich für eine gewisse Reserviertheit sorgen - in der Landesverwaltung versammeln sich Hochqualifizierte wie in kaum einer anderen Branche. Mehr als 80 Prozent der Belegschaft hat studiert - der gehobene Dienst an Fachhochschulen des Landes, der höhere an der Universität.

Die Uni-Absolventen suchen indes kaum Hilfe beim Personalrat, und sie kandidieren nur noch selten: "Das hat sich in den vergangenen 15 Jahren spürbar verändert", berichtet Shraer, "von daher sind solche Karrieren seltener geworden wie die einer Kollegin, die Personalrätin war und heute Polizeipräsidentin ist." Den Beamten aus dem höheren Dienst begegnet Michael Shraer, der Mann aus dem gehobenen Dienst, vornehmlich auf der anderen Seite des Verhandlungstisches.

Hinter Shraer und den drei anderen freigestellten Hauptpersonalräten des Innenministeriums liegen harte Jahre. Nach der Landtagswahl 2005 sollte aus Mitbestimmung Mitsprache werden: CDU/FDP hatten es eilig, das Landespersonalvertretungsgesetz zu novellieren, damit die Landesregierung Entscheidungen auch gegen den Widerstand der Beschäftigten und ihrer Vertreter durchboxen kann. Konfliktfälle gelangen zwar weiterhin zu einer Einigungsstelle, doch die Behördenspitze kann sich über deren Vorschläge hinwegsetzen. Sie hat das letzte Wort.

Bis 2007 galt dagegen, dass das Kabinett über einen Streitfall entscheiden muss, wenn sich die Parteien nicht einigen. Dazu war es aber nie gekommen, Johannes Rau verbat sich, dass ein Minister mit einer solchen Geschichte ins Kabinett kommt, auch seine SPD-Ministerpräsidenten-Nachfolger hielten sich daran. In der schwarz-gelben Koalition aber überwog nach 40 Jahren roter und rot-grüner Regierungen offenbar das Misstrauen gegenüber dem Beamtenapparat.

Die Personalräte kämpfen gemeinsam mit dem DGB, ver.di, der GEW und dem Beamtenbund, die Gewerkschaften unterstützen die Hauptpersonalräte, die nicht zu Streiks und Protesten aufrufen dürfen. "Wir können allenfalls eine Rundmail schreiben und mitteilen, dass der Haupt-/Personalrat von dann bis dann nicht erreichbar ist, weil er eben demonstriert", berichtet Shraer. Im Sommer 2007 zog eine der größten Beamtendemos vor den Düsseldorfer Landtag. Rund 35000 Staatsbeschäftigte demonstrierten gegen das neue LPVG.

Aus den regierungsnahen Ministerien waren nicht allzu viele dabei, das Gros der Demonstranten kam aus den Behörden der Städte und Landkreise. Ihre Hoffnungen ruhen auf Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann, dem Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und Mitglied der IG Metall. "Es wäre ein Paradefall für die CDA gewesen, Stellung zu beziehen und Profil zu gewinnen", bedauert Shraer. Doch Laumann taucht ab. Er überlässt dem FDP-Innenminister Ingo Wolf das Feld, eine Anhörung der Beschäftigten durch ihre Hauptpersonalrats-Vertreter im Landtag wird zur Farce, deren Ergebnis von vornherein feststeht. Finanzminister Helmut Linssen lässt wissen: "Die können ruhig noch mal so viele schicken, wir halten das aus."

Am Ende müssen sich die Beschäftigten mit dem neuen Gesetz arrangieren. "Wir haben heftig gegen das Gesetz gekämpft, zwei Jahre lang und mit großen Demonstrationen", sagt Shraer. "Aber wir sind auch alle überzeugte Demokraten, und diese Regierung basiert auf einer gewählten Mehrheit des Landes. Der Landtag hat das Gesetz verabschiedet, das muss man akzeptieren." Was nicht bedeute, wie Shraer an die Belegschaft des Innenministeriums schreibt, "dass wir nicht auch zukünftig Kritik üben und für andere Mehrheiten streiten werden, denn das ist unser demokratisches Recht."

DIE KONFLIKTLINIEN BLEIBEN_ Heute geht der Hauptpersonalrat seinen Alltagsgeschäften nach, liefert etwa juristische Expertisen für die Personalräte der kleinen Behörden und kümmert sich um übergreifende Themen wie die Vereinheitlichung der EDV in der Landesverwaltung und die elektronische Personalakte. Die Konfliktlinie zur schwarz-gelben Politik aber bleibt: Auf die Einschnitte ins Mitbestimmungsrecht folgte ein forcierter Stellenabbau. Jedes Jahr fallen eineinhalb Prozent der Stellen in der Verwaltung weg, ausgenommen sind nur Lehrer und Polizisten. Zusätzlich gingen Anfang 2009 nochmals über tausend Beschäftigte in den Vorruhestand oder nutzten andere "Ausstiegsangebote", die euphemistisch "Anreizsysteme" genannt wurden. Wer als Beamter in den "einstweiligen Ruhestand" ausschied, erhielt für drei Monate seine vollen Bezüge, danach drei Jahre die Höchstversorgung und erst danach seine endgültige Pension. Tarifbeschäftigte konnten auf wesentlich weniger lukrative Angebote zurückgreifen. Die krude Rechnung - der Finanzminister spart um die 20 Prozent der Kosten, aber es fallen 100 Prozent der Arbeitskraft weg - bringt den Hauptpersonalrat Shraer in eine Zwickmühle: "Wir wollen natürlich niemandem einen guten Ausstieg aus dem Berufsleben verwehren. Aber wir sind ja auch die Vertreter derjenigen, die dableiben und die dann die ganze Arbeit allein leisten müssen. Es geht einfach nicht, immer mehr Personal abzuziehen."

Der Beschäftigungsdruck in den Ämtern sei enorm gewachsen, berichtet Shraer: "Den Beamten mit Ärmelschoner, der es sich gemütlich machen kann, den finden Sie hier nicht mehr." Wenn Politiker davon sprechen, Bürokratie zu reduzieren, dann wollen sie gemeinhin die Zahl der Beschäftigten verringern. "Gleichzeitig ist die Legislative sehr produktiv", sagt Shraer. "In Brüssel und Berlin, aber auch in Düsseldorf entstehen immer neue Vorschriften. Die müssen ja auch umgesetzt werden." Um Personalkosten aus dem Haushalt zu verbannen, delegiert das Land im großen Stil Aufgaben an die Kommunen, aber das Outsourcing verläuft nicht immer reibungslos. Die Beschäftigten werden wie eine seelenlose Manövriermasse hin und her bewegt, schimpft der Hauptpersonalrat: "Unseren Minister sowie den beamteten und den parlamentarischen Staatssekretär musste man immer wieder daran erinnern, dass es sich um Menschen handelt, nicht um Schlachtvieh."

Bei diesen Personalmanövern gebe es auch Fälle von offensichtlicher Ungerechtigkeit, wo Vorschriften missachtet und Beschäftigte gezielt auf ein Abstellgleis geschoben werden. "Da muss ein Personalrat eben kämpfen", sagt Michael Shraer und spricht auch von Mut, ohne den man fehl am Platz sei. Mit dieser Haltung hat sich der Vorsitzende des Hauptpersonalrats nicht nur Freunde geschaffen unter jenen Beamten, die aus Nähe zur Macht sehr staatstragend und eher konfliktscheu sind. Michael Shraer aber möchte auf eine klare Sprache nicht verzichten. "Jetzt, wo ich in der höchsten Stufe des gehobenen Dienstes angekommen bin, wo ich nichts mehr werden muss und auch nicht mehr werden kann, da gibt es erst recht keinen Grund für mich, die Dinge schönzureden."

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