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Cover 'Der tiefe Graben' Magazin Mitbestimmung

Rezension: Verfall einer Idee

Ausgabe 05/2020

Ein Buch, das in den USA Furore gemacht hat, erscheint nun auf Deutsch. Es ist eine scharfe Analyse von Donald Trump als Endpunkt eines langen Verfalls der politischen Kultur. Von Kay Meiners

Die USA verlieren den Sinn dafür, dass man in einer Demokratie mit Menschen zusammenleben muss, die die eigene Überzeugung nicht teilen. Das ist die Essenz des Buches von Ezra Klein. Als politische Analyse, Geschichtsbuch und Warnung an andere Demokratien hat das Buch, das auf Englisch unter dem Titel „Why We’re Polarized“ erschienen ist, einen dreifachen Wert. Es beschreibt die USA als klientilistisches System, das nur zwei relevante Parteien kennt. Republikaner, konservativ und mehrheitlich weiß, und Demokraten, links und stärker das nicht-weiße Amerika vertretend, sind „entlang ethnischer, religiöser, geographischer, kultureller und psychologischer Linien scharf getrennt“. Dies war nicht immer so. Die Südstaaten waren über Jahrzehnte eine Hochburg der Demokratischen Partei – im „Solid South“ galten die Republikaner vielen als unwählbar. Denn die Republikanische Partei war ursprünglich die liberalere. Gegründet wurde sie 1854 mit dem Ziel, die Sklaverei abzuschaffen, womit sie sich während des Sezessionskrieges unter ihrem ersten Präsidenten Abraham Lincoln gegen die Demokraten durchsetzte. Die Wähler beider Parteien, so Klein, waren sich ähnlicher als die Parteien selbst, was letztlich bei beiden zur Mäßigung führte.

Die Wahl Donald Trumps, mit dem die Polarisierung der USA einen Höhepunkt erreicht hat, ist eine Folge langer Fehlentwicklungen, die bis in die Zeit der Bürgerrechtsbewegung zurückreichen. Klein zitiert aus der Farewell Address von 1796, der berühmten Abschiedsrede George Washingtons, in der dieser vor „Parteigängern“ warnt, die „an die Stelle des delegierten Willens der Nation den Willen einer Partei“ setzen, als „häufig eine kleine, jedoch kunstvoll und geschäftstüchtig agierende Minderheit innerhalb der Gemeinschaft“. Trump hat die Polarisierung zu seiner Strategie gemacht und „Change“, den von seinem Vorgänger Obama propagierten Wandel, zur Bedrohung erklärt. Die Medien verstärken die Polarisierung noch. Besonders die Republikaner vertrauen nur wenigen Kanälen: Fox News, Breitbart, dem Wall Street Journal, dem Blaze Drudge-Report, der Sean Hannity Show, dem Glenn Beck Program und der Rush Limbaugh Show.

Im veralteten US-Wahlsystem reicht es nicht, mehr Wählerstimmen als die Konkurrenz einzusammeln, um die Macht zu erlangen: „Wäre Amerika eine Demokratie, dann würden die Demokraten das Repräsentantenhaus kontrollieren, den Senat und das Weiße Haus und hätten durch diese Siege auch eine Mehrheit im Supreme Court. Ihre Schwäche ist das Ergebnis von Geographie, nicht mangelnder Popularität“, schreibt Klein. Das System privilegiere „alle spärlich besiedelten Gebiete gegenüber urbanen, dicht besiedelten Gebieten“. Die Demokraten sind gezwungen, eine Wählerschaft anzusprechen, die weit konservativer ist als das Land als Ganzes. Sind die USA deswegen keine Demokratie mehr, wie Klein polemisch schreibt? Sicher nicht. Auch in anderen Demokratien, wie der britischen, kann das Mehrheitswahlrecht dazu führen, dass Parteien gewinnen, die nicht die absolute Mehrheit der Stimmen haben. Und auch die Demokraten haben in der Vergangenheit Wahlen gewonnen. Dennoch beschleicht einen das Gefühl, dass ein Teil des Landes mit der Vorstellung liebäugelt, den anderen auch mit unfairen Mitteln von der Macht fernzuhalten. Trump ist der Hohepriester dieser politischen Religion – und beschleunigt den Verfall einer Idee.

Das Buch

Ezra Klein: Der tiefe Graben. Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika. Hamburg, Hoffmann und Campe 2020. 384 Seiten, 25 Euro

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