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Kindergrundsicherung: Besser als nichts Böckler Impuls

Sozialstaat: Kindergrundsicherung: Besser als nichts

Ausgabe 05/2024

Die neue Grundsicherung für Kinder fällt nicht üppig aus. Doch selbst die von der Bundesregierung geplante „Rumpfversion“ senkt Armut, verbessert langfristig Lebenschancen und kurbelt damit letztlich auch die Wirtschaft an.

Die von der Bundesregierung beschlossene Kindergrund­sicherung hat trotz erheblicher Schwächen positive Effekte auf benachteiligte Kinder und Familien sowie Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt. Das ergibt eine Studie der Wirtschaftswissenschaftler Tom Krebs und Martin Scheffel, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Die Untersuchung zeigt: Wenn rund 1,5 Millionen Kinder mehr als bisher ihnen zustehende Leistungen auch wirklich erhalten und sich die finanzielle Lage ihrer Familien verbessert, sinkt die Kinderarmut relativ rasch um knapp zwei Prozentpunkte. Das entspricht rund 282 000 Kindern, die nicht mehr unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. 

Noch bedeutsamer sind langfristige Effekte, die die Forscher aus der Bildungsforschung ableiten: Ein erheblicher Teil der Kinder aus Familien, die durch die Grundsicherung finanziell bessergestellt werden, erreicht später höhere Bildungsabschlüsse. Im Jahr 2050 wäre die Zahl der Personen in Deutschland, die ein mittleres bis höheres statt einem niedrigen Bildungsniveau haben, dadurch um 840 000 höher als in einem Szenario ohne Kindergrundsicherung. Nach Abschluss der Ausbildung können viele dieser Personen höher qualifiziert, besser bezahlt und besser abgesichert arbeiten. Die sogenannte „Chancenlücke“, die sich auf das zu erwartende Lebenseinkommen benachteiligter Kinder bezieht, wird durch die langfristige Wirkung der Kindergrundsicherung bis 2050 um 6,8 Prozentpunkte reduziert.

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Auch die Beschäftigung steigt spürbar: 2050 liegt das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsvolumen, umgerechnet auf Vollzeitstellen, um rund 155 000 Stellen höher als ohne Einführung einer Kindergrundsicherung. Die Zahl der Erwerbspersonen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben müssen, wäre um gut 1,8 Prozentpunkte geringer. Die Zahl der armutsgefährdeten Kinder ist 2050 mit Kindergrundsicherung um 440 000 niedriger als ohne, was einem Rückgang bei der Kinder-Armutsquote um knapp drei Prozentpunkte entspricht. 

Durch diese positiven Effekte wächst auch das Aufkommen an Steuern und Sozialabgaben stärker als ohne die Reform. Daher übersteigen ab 18 Jahren nach Einführung die zusätzlichen Einnahmen der öffentlichen Hand die jährlichen Ausgaben für die Kindergrundsicherung. „Die Kindergrundsicherung ist nicht nur ein effektives Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmut, sondern auch gut für die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen“, lautet das Fazit der Forscher.

Die Wissenschaftler gehen in ihrer Modellrechnung von den aktuell im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen finanziellen Größen aus: Für jedes Kind wird ein Garantiebetrag von 250 Euro im Monat gezahlt. Für Kinder aus einkommensschwachen Familien gibt es darüber hinaus einen Zusatzbetrag von maximal 247 bis 361 Euro monatlich, je nach Alter. 

Dieser Zusatzbeitrag wurde im vergangenen Herbst in einer Bundestagsanhörung von verschiedenen Expertinnen und Experten als nicht „armutsfest“, da zu niedrig kritisiert. Auch die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, konstatiert in ihrer Stellungnahme neben einigen Fortschritten erhebliche Defizite: „Es ist begrüßenswert, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein Schritt in die Richtung einer Kindergrundsicherung gegangen wird, in der viele Leistungen für Kinder und Jugendliche in einem Instrument zusammengeführt werden. Die aktuell genannten Vorhaben entsprechen aber eher einer Verwaltungsreform als einer echten Kindergrundsicherung.“ 

Dass selbst diese „Rumpfversion“ einer Grundsicherung in Krebs' und Scheffels Modellrechnungen deutlich positive Effekte aufweist, hat denn auch in erster Linie mit der prognostizierten Wirkung der Verwaltungsvereinfachung zu tun. Denn im aktuellen System scheitern viele Eltern daran, etwa den Kinderzuschlag zu beantragen, der für Familien gedacht ist, die zwar ein niedriges Einkommen haben, aber kein Bürgergeld bekommen. Nach Schätzungen gibt es derzeit rund 2,3 Millionen Kinder, deren Eltern Anspruch auf Kinderzuschlag haben. Wirklich ausgezahlt wurde die Leistung zuletzt aber nur in rund 800 000 bis einer Million Fällen.

Tom Krebs, Martin Scheffel: Auswirkungen der Kindergrundsicherung auf Armut, Beschäftigung und Wachstum (pdf), WSI Study Nr. 36, Februar 2024

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