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HBS Böckler Impuls

Einkommen: USA: Geringverdiener abgehängt

Ausgabe 17/2006

Vom US-Wirtschaftswachstum haben die mittleren und niedrigen Einkommen in den vergangenen Jahren nicht profitiert. Eine weitere schlechte Nachricht für US-Geringverdiener: Einkommensarmut pflanzt sich von Generation zu Generation fort - stärker als in Deutschland.

Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum sind in den USA weiterhin hoch. Doch von dieser Prosperität profitieren immer weniger Amerikanerinnen und Amerikaner, stellt das Economic Policy Institute (EPI) in seinem neuen Bericht "The State of Working America 2006/2007" fest. Seit 2000 haben Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen nichts mehr von den Produktivitätsgewinnen der Wirtschaft abbekommen. Die Fakten:

Zwischen 2000 und 2005 ist die Produktivität der US-amerikanischen Wirtschaft jährlich um 3,1 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist das reale mittlere Familieneinkommen von 2000 bis 2004 um 3 Prozent zurückgegangen.

Dagegen hatte in den Jahren von 1995 bis 2000 beides noch erheblich zugelegt: die Produktivität um jährlich 2,5 Prozent, das mittlere Einkommen um 2,2 Prozent pro Jahr. Die Einkommen von Afroamerikanern, Hispanics, jungen Familien oder alleinerziehenden Müttern waren Ende der 90er-Jahre sogar überdurchschnittlich gestiegen.

=> "Jobless Recovery"

Hauptgrund für die Trendwende ist die Entwicklung des Arbeitsmarkts: In den Vereinigten Staaten  entstehen zu wenig neue Stellen. Die Reallöhne für große Teile der Arbeitnehmerschaft stagnieren, nachdem die Arbeitslosenquote - im Jahr 2000 auf dem Vollbeschäftigungsniveau von vier Prozent - wieder gestiegen ist. Der Mindestlohn ist real gesunken. Das Forschungsinstitut charakterisiert den Wirtschaftsaufschwung seit Ende 2001 als "Jobless Recovery": Während die Wirtschaft in früheren Konjunkturzyklen etwa zwei Jahre gebraucht habe, bis die Zahl der Jobs wieder alte Höchststände erreicht habe, seien diesmal fast vier Jahre nötig gewesen. Zum ersten Mal in der Geschichte der USA habe die Armut in jedem einzelnen der ersten drei Jahre eines wirtschaftlichen Aufschwungs zugenommen.

Der schwachen Entwicklung der Masseneinkommen in den vergangenen Jahren stehen enorme Steigerungsraten bei Spitzenverdienern und Wertpapierbesitzern gegenüber. Seit 1992 ist beispielsweise die Vergütung der Firmenchefs um 186 Prozent gestiegen. Ebenfalls seit langer Zeit ungebrochen ist der Trend zur Einkommenskonzentration: 1979 gingen 38 Prozent der Kapitaleinkommen an das reichste Hundertstel aller Familien, 2003 schon 58 Prozent.

 => Begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten

Dass Durchschnitts- und Niedrigverdiener den Anschluss verloren haben, sei besonders deshalb problematisch, weil Aufstiege auf der Einkommensleiter schwierig sind, so die Forscher. Statistiken zeigen, dass Söhne geringverdienender Väter nur in 20 Prozent der Fälle als Erwachsene mehr als ein mittleres Einkommen erreichen. Die Chance, ins obere Fünftel der Einkommensverteilung vorzustoßen, beträgt sogar nur 4,5 Prozent. Internationale Vergleichsstudien zeigen: In den USA hängen die Einkommen der Kinder stärker von der Stellung der Eltern in der Einkommenspyramide ab als in Finnland, Schweden oder Deutschland. Die Einkommenskorrelation zwischen den Generationen bildet ab, wie stark dieser Zusammenhang ist. Die Kennzahl kann maximal den Wert 1 erreichen. In Finnland liegt sie bei 0,22, in Schweden bei 0,28 und in Deutschland bei 0,34. In den USA beträgt der Wert 0,43. Und das, obwohl der Glaube, in den USA könne es jeder zu etwas bringen, der clever ist und sich
anstrengt, zur nationalen "Folklore" gehört, wie die Autoren des EPI-Reports schreiben.

Einen wichtigen Grund für die geringe Einkommensmobilität sehen die Wissenschaftler im US-Bildungssystem. Beispielsweise haben Kinder aus reichen Familien eher Zugang zu den Top-Universitäten als Kinder, die mit niedrigem Einkommen aufgewachsen sind - selbst bei gleicher Qualifikation.

Die Wirtschaftsforscher kritisieren zudem den offiziellen Umgang mit der auseinanderstrebenden Einkommensverteilung: Die regierungsamtliche Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie lag 1960 bei 48 Prozent des mittleren Familieneinkommens, heute gelten Familien erst dann als arm, wenn sie unter die 29-Prozent-Schwelle fallen.  

  • Mit dem Übergang der US-Präsidentschaft von Clinton zu Bush verschlechterten sich mehrere Wirtschaftsindikatoren. Zur Grafik

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