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HBS Böckler Impuls

Flexicurity: Ungelöster Zielkonflikt

Ausgabe 01/2009

Noch ist es keinem europäischen Land gelungen, flexible Arbeitsmärkte mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit zu verbinden. In der Praxis geht Flexibilität stets mit prekären Arbeitsbedingungen einher.

Mehr Flexibilität und gleichzeitig mehr soziale Sicherheit - die EU-Staaten sollten in der Arbeitsmarktpolitik beides anstreben, empfiehlt die EU-Kommission. Denn Marktfreiheit stärke die Absicherung der Beschäftigten, flexibility und security ergänzten einander. Doch das Flexicurity-Konzept der EU ist noch nicht tragfähig, bemängeln die WSI-Forscher Hartmut Seifert und Andranik Tangian. "Die bisherigen Flexicurity-Überlegungen leiden nicht nur an konzeptionellen Schwächen, sie sind auch empirisch und theoretisch unzureichend fundiert." Seifert und Tangian haben darum den empirischen Zusammenhang von Flexibilität und sozialer Sicherheit in der EU überprüft. Nach einer Berechnung auf Basis von Eurofound-Daten aus 31 Ländern stellen sie fest: "In keinem der EU-Mitgliedsländer ist bislang ein hoher Grad der Arbeitsflexibilität mit einem hohen Grad an sozialer Sicherheit verwirklicht."

Flexible Beschäftigungsformen, prekäre Arbeitsbedingungen. Seifert und Tangian haben für alle EU-Mitgliedsstaaten  Indikatoren für Flexibilität und Unsicherheit gebildet und den statistischen Zusammenhang ermittelt. Dabei wird deutlich:  "Alle EU-Mitgliedsländer bewegen sich noch weit vom Idealzustand entfernt, wie ihn die EU-Kommission mit ihren Flexicurity-Überlegungen anstrebt." Halbwegs gut meistere  gegenwärtig allein Finnland den Zielkonflikt, erklären die Forscher.

Fast überall gehen flexible Beschäftigungsformen mit prekären Arbeitsbedingungen einher. Von Flexicurity könne darum noch keine Rede sein, sagen Seifert und Tangian - in der Praxis zeigt sich eine spürbare Schieflage. Die verschiedenen Formen der Flexibilität sorgen in unterschiedlichem Maße für Unsicherheit: Ständiges Heuern und Feuern schadet der Sicherheit der Arbeitnehmer mehr als Anpassungen der Arbeitszeit. Durch verringerte Arbeitszeiten und veränderte betriebliche Organisation können Entlassungen vermieden werden. Der Hauptgrund für prekäre Lebenslagen der Erwerbstätigen waren in den vergangenen Jahren aber Niedriglöhne, so die WSI-Analyse. Vor allem Geringverdiener in den mittelosteuropäischen Beitrittsstaaten leiden unter mangelnder finanzieller Absicherung. Deutschland schneidet im EU-Vergleich der sozialen Sicherheit recht gut ab und liegt beim Länderranking im Drittel mit den besten Werten. Beim ­Flexibilitäts-Index des WSI rangiert die Bundesrepublik im Mittelfeld.

Ein Weg zur Flexicurity: Ausgleichszahlungen für geleistete Anpassung. Befristet Beschäftigte und Leiharbeiter verdienen in der Bundesrepublik weniger als andere Erwerbstätige. Dabei müssten sie als Ausgleich für erbrachte Flexibilität eigentlich mehr bekommen, so die Arbeitsmarktexperten des WSI. Denn Beschäftigte mit Zeitverträgen und Leiharbeiter tragen ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden. Auf anderen Märkten werden Risiken besonders vergütet: Wer riskante Anlagen tätigt, bekommt einen höheren Zins. Laut Seifert und Tangian würden Ausgleichszahlungen für flexibel Beschäftigte der Flexicurity-Grundidee entsprechen. Es sei zudem sinnvoll, atypisch Beschäftigten den gleichen Zugang zu beruflicher Weiterbildung und sozialen Sicherungssystemen zu schaffen. Auch arbeitsmarktpolitische Hilfen bei Jobwechseln sowie eine ausreichende Grundsicherung im Alter können dazu beitragen, dass mehr Flexibilität nicht zwangsläufig mehr Prekarität bedeutet.

  • Das Flexicurity-Konzept soll Flexibilität und soziale Sicherheit zum Ausgleich bringen. Entscheidend ist die Definition der beiden Begriffe. Zur Grafik

Hartmut Seifert, Andranik Tangian: Flexicurity -  gibt es ein Gleichgewicht zwischen Arbeitsmarktflexibilität und sozialer Sicherheit?, in: WSI-Mitteilungen 11+12/2008

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