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HBS Böckler Impuls

Atypische Beschäftigung: Teilzeit und Befristung werden normal

Ausgabe 15/2012

In Deutschland ist die atypische Beschäftigung im europäischen Vergleich besonders stark gewachsen - vor allem bei Frauen, jungen Beschäftigten und Geringqualifizierten. Das relativiert die gute Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit.

Zwischen 1996 und 2009 stieg in fast ganz Europa die Erwerbsbeteiligung. Die Verbreitung atypischer Beschäftigung verlief jedoch äußerst unterschiedlich, wie eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zeigt: 2009 war in Ungarn und Tschechien nur jeder Zehnte atypisch beschäftigt – in den Niederlanden dagegen fast jeder Zweite; in Deutschland, Dänemark oder Norwegen etwa jeder Dritte.

Generelle Aussagen über die Auswirkungen atypischer Beschäftigung sind aufgrund dieser Unterschiede schwierig zu treffen. Dabei ist die wissenschaftliche Debatte um atypische Beschäftigung angesichts tief greifender Strukturreformen in den Euro-Krisenländern hoch aktuell: Hilft die Deregulierung des Arbeitsmarktes bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Oder verstärkt sie soziale Ungleichheit?

In detaillierten Länderprofilen vergleichen Sozialwissenschaftler des WZB erstmals, wie sich die atypischen Beschäftigungsformen Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung und Soloselbstständigkeit in Europa entwickelt haben. Das Phänomen Leiharbeit klammern sie aufgrund der in manchen Ländern äußerst geringen Verbreitung aus. Für ihr von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Projekt analysieren sie Daten der Europäischen Arbeitskräfteerhebung für 20 europäische Länder der Jahre 1996 bis 2009.

Ob atypische Beschäftigung nun per se „gut“ oder „schlecht“ sei, lasse sich angesichts der Differenzen kaum beantworten, erklären die Wissenschaftler in ihrem Zwischenbericht. Klar werde aber: Allein die Entwicklung der Arbeitslosigkeit sei für eine Bewertung atypischer Beschäftigung nicht ausreichend. Zu beachten seien auch die Arbeitsbedingungen und die soziale Verteilung der Flexibilitätsanforderungen: In Europa arbeiten vor allem Frauen, Geringqualifizierte und jüngere Beschäftigte häufig mit befristeten Verträgen, in Teilzeit oder als Soloselbstständige.

Die stärksten Veränderungen: Während in Finnland und Spanien von 1996 bis 2009 der Anteil der Nicht-Erwerbstätigen am deutlichsten zurückging, nahm dort die atypische Beschäftigung kaum zu. In Deutschland und den Niederlanden dagegen wuchs der Anteil atypisch Beschäftigter am stärksten, gleichzeitig sank die Zahl der Nicht-Erwerbstätigen deutlich.

Befristete Arbeitsverhältnisse sind vor allem im Süden die dominante Form atypischer Beschäftigung. 2009 hatten in Portugal, Spanien, Slowenien, aber auch in Polen 9 bis 13 Prozent der Bevölkerung nur eine Stelle auf Zeit. Das stufen die Wissenschaftler aus Arbeitnehmersicht als problematisch ein: Befristungen erhöhten ein Gefühl der Unsicherheit, führten zu unsteten Erwerbsbiografien und geringerem Einkommen.

Soloselbstständigkeit dominiert besonders in Süd- und Osteuropa. In Tschechien, Polen, Italien, Griechenland und Rumänien arbeiten vor allem Männer allein auf eigene Rechnung. Dabei müsse diese Form nicht zwangsläufig prekär sein. In Griechenland seien neben Niedrigqualifizierten auch Hochqualifizierte oft soloselbstständig (13 Prozent).

Teilzeitarbeit ist die verbreitetste Form atypischer Beschäftigung in Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Finnland, Schweden, Dänemark und Großbritannien. Bei mehr als 20 Wochenarbeitsstunden sei ein Teilzeitvertrag nicht zwangsläufig prekär, betonen die Forscher. Gerade in Deutschland sei marginale Teilzeit aber verbreitet: 2009 arbeiteten rund 11 Prozent der Frauen weniger als 20 Stunden die Woche.

Für Deutschland ziehen die WZB-Experten ein kritisches Zwischenfazit: Da hier atypische Beschäftigung vor allem unter Frauen, jüngeren und gering qualifizierten Beschäftigten deutlich zugenommen habe, müsse auch „das Lob für den vermeintlichen Klassenprimus Deutschland differenzierter ausfallen“. Für diese Bevölkerungsgruppen seien Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge mittlerweile das „typische“ Arbeitsverhältnis. In einem Normalarbeitsverhältnis arbeitete 2009 lediglich etwa jede vierte Frau, etwa jeder vierte unter 30-Jährige und nicht mal jeder fünfte Geringqualifizierte.

  • Generelle Aussagen über die Auswirkungen atypischer Beschäftigung sind aufgrund der äußerst unterschiedlichen Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten Europas nur schwer zu treffen. Zur Grafik

Jutta Allmendinger u. a.: Mehr Jobs oder nur mehr schlechte Jobs? Eine Entwicklung atypischer Beschäftigung in Europa (pdf), WZBrief Arbeit, August 2012

Claudia Schmeißer u. a.: Atypische Beschäftigung in Europa 1996-2009 (pdf), WZB Discussion Paper, Juli 2012

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