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HBS Böckler Impuls

Dienstleistungen: Soziale Kompetenz gefragt

Ausgabe 15/2011

Längst nicht alle Beschäftigten im Dienstleistungssektor brauchen eine hohe formale Qualifikation. Der kompetente Umgang mit Menschen wird aber immer wichtiger.

Über ein Jahrhundert lang hat die industrielle Produktion die Vorstellungen von Erwerbsarbeit in Deutschland geprägt. Der Berufstypus Facharbeiter und die duale Ausbildung galten über alle Industriebranchen hinweg als die Norm. Doch inzwischen arbeiten gut drei Viertel der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Standardisierung und Technisierung von Arbeitsabläufen, wie sie früher in der produzierenden Wirtschaft üblich waren, gibt es hier oft nicht – und wird es auch in Zukunft nicht geben, so die Analyse des Göttinger Soziologie-Professors Martin Baethge. Bei allen Unterschieden identifiziert der Wissenschaftler gleichwohl eine Gemeinsamkeit bei  Dienstleistungsberufen: Einer ihrer wesentlichen Inhalte ist die Interaktion – mit Kunden, Klienten oder Patienten.

Baethge unterteilt den Dienstleistungssektor in zwei Unterkategorien:

Primäre Dienstleistungen. Diese umfassen relativ einfache kaufmännische Tätigkeiten in Verkauf, Büro und Verwaltung sowie allgemeine Dienstleistungen in der Gastronomie, im Reinigungs-, Transport- und Sicherheitsgewerbe. In diesen Berufen wird innerhalb der kommenden 15 Jahre knapp die Hälfte aller  Arbeitnehmer beschäftigt sein, prognostiziert eine gemeinsame Forschergruppe des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Allerdings werden die kaufmännischen Tätigkeiten leicht abnehmen, unter anderem aufgrund der weitergehenden Rationalisierung durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Gastronomie- und Reinigungsberufe hingegen dürften um die gleiche Größenordnung zulegen, auch wegen der verstärkten Nachfrage nach personenbezogenen Dienstleistungen.

Sekundäre Dienstleistungen. Dazu zählt der Professor den technisch-naturwissenschaftlichen Bereich, Gesundheitsund Sozialberufe, aber auch Lehrtätigkeiten. Hinzu kommen künstlerische, Medien-, geistes- und sozialwissenschaftliche Betätigungen sowie Rechts-, Management- und wirtschaftswissenschaftliche Berufe. Bei einem Großteil handelt es sich um anspruchsvolle Tätigkeiten, die den größten Teil der Hochschulabsolventen absorbieren. Auf diese Dienstleistungen entfällt heute knapp ein Drittel der Beschäftigten. In den kommenden 15 Jahren wird dieser Anteil steigen, so die Prognose.

Über alle Berufsfelder hinweg ist die überwiegende Mehrheit der Dienstleister – knapp 60 Prozent – auf dem Niveau eines mittleren Ausbildungsabschlusses tätig. Mehr als ein Viertel hat einen akademischen Abschluss, nur noch knapp ein Sechstel hat keinerlei Berufsausbildung. Trotz einer Tendenz zu höher qualifizierten Jobs werden die Ungelernten-Tätigkeiten nicht verschwinden, betont Baethge – sei es im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Einzelhandel, bei Bürotätigkeiten oder den Wachdiensten.

Bei allen Unterschieden gilt: Wo immer sie auch ausgeübt werden, fast überall sind Dienstleistungstätigkeiten interaktive Arbeit, so der Forscher: „eine Arbeit, die unmittelbar bedürfnisbezogen auf ein konkretes Gegenüber gerichtet ist, dessen Wille die Richtschnur für das Arbeitshandeln abgibt“. Das Gegenüber sei dabei nicht nur Adressat der Tätigkeit, sondern zugleich Mitproduzent – ein fundamentaler Unterschied zur Industriearbeit.

Interaktionsarbeit ist nur begrenzt technisierbar, rationalisierbar und standardisierbar. Bei der Arbeitsteilung, der Leistungs- und Pensumsdefinition oder Handlungsspielräumen in der Arbeit spielt dies immer wieder eine Rolle, betont Baethge. Arbeitssituation und Qualität der Arbeit für die Beschäftigten prägen immer zugleich auch die Qualität der Dienstleistung für den Kunden – weil er nicht nur das fertige Produkt bekommt, sondern den Herstellungsprozess mit gestaltet. Sei es als Gast im Lokal oder als Auftraggeber eines Unternehmensberaters.

Neben der Kommunikationsfähigkeit als fachübergreifende Kompetenz erfordern Dienstleistungsberufe auch in stärkerem Maße die Fähigkeit, schwierige Sachverhalte zu vermitteln und unvorhergesehene Probleme zu lösen. Für die Berufsausbildung heißt das, ein „Zuschauen und Nachahmen“ kommt nicht in Frage. Diese Kombination von kommunikativen und systematischen Wissenskompetenzen habe die Dienstleistungsunternehmen für die Rekrutierung von Auszubildenden und Fachkräften selbst auf der mittleren Ebene zunehmend auf Bewerber mit höheren Bildungsabschlüssen zurückgreifen lassen, argumentiert Baethge.

  • Ein wesentlicher Inhalt von Dienstleistungsberufen ist die Interaktion – mit Kunden, Klienten oder Patienten. Insgesamt erfordern solche Tätigkeiten ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Zur Grafik

Martin Baethge: Qualifikation, Kompetenzentwicklung und Professionalisierung im Dienstleistungssektor, in: WSI-Mitteilungen 9/2011

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