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HBS Böckler Impuls

Berufsausbildung: Reife ist keine Frage der Noten

Ausgabe 18/2005

Ausbildungsreife - was ist das eigentlich? Im BIBB-Expertenmonitor äußern sich Fachleute dazu, was Bewerber für eine Lehrstelle mitbringen sollten. Persönlichkeit zählt mehr als Fachwissen.

Mit einer Umfrage unter 472 Vertretern von Betrieben und Berufsschulen, Verbänden und Forschung ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) der umstrittenen Frage nachgegangen, welche Reife von den Bewerbern um Ausbildungsstellen tatsächlich verlangt werden kann. Das Fazit der Befragungen: Ausbildungsreife ergibt sich aus jenen Fähigkeiten und Tugenden, die für alle Ausbildungsberufe wichtig sind. Dazu zählen Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt, Lernbereitschaft. Über 90 Prozent der Befragten wünschen sich diese von den angehenden Lehrlingen.

Von der Ausbildungsreife ist allerdings die Tauglichkeit für einen bestimmten Beruf zu unterscheiden. Wer kein Geschick als Schlosser hat, kann dennoch über die nötige Reife für eine Lehre als Bäcker verfügen. Über spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten wie schriftliche Ausdrucksfähigkeit, IT- und betriebswirtschaftliches Vorwissen waren sich die Experten uneinig. Merkmale, die in der Person und Haltung des Auszubildenden begründet sind, finden eine deutlich breitere Zustimmung als Wissen.

Das Profil der Bewerber um Lehrstellen hat sich in den vergangenen 15 Jahren gewandelt, meinen die Experten, keineswegs sei alles schlechter geworden. Die Team- und Kommunikationsfähigkeiten des Nachwuchses von heute schätzen gut 40 Prozent der Experten höher ein als noch vor 15 Jahren. Auch mit Englisch- und IT-Kenntnissen könnten die Jugendlichen glänzen. In einigen wichtigen Bereichen machen die Fachleuten hingegen Leistungseinbußen aus. Und zwar gerade bei Fähigkeiten, die in der Schule vermittelt werden, wie korrekte Rechtschreibung, einfaches Kopfrechnen, Prozent- und Dreisatzrechnen. Auch die Konzentrationsfähigkeit habe abgenommen. In der Summe sehen die Experten die Entwicklung skeptisch.

Dies lasten sie nicht den Schülern an, sondern eher dem sozialen Umfeld. Fast acht von zehn der Befragten beklagen: Der Zusammenhalt in den Familien ist  geschwunden, die Vermittlung von Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Arbeitstugenden hat nachgelassen. Die Arbeits- und Ausbildungsmotivation der Jugendlichen wird dadurch beeinträchtigt. Zugleich sind die Anforderungen in den Lehrberufen und die Ansprüche der Betriebe an das Leistungsniveau der Bewerber gewachsen. Die angehenden Auszubildenen geraten durch diese Entwicklungen in die Klemme. In großer Einmütigkeit (90 Prozent) fordern die Experten von den Eltern, mehr für die Ausbildungsreife ihrer Kinder zu tun - als Rollenvorbild, als Vermittler von Werten und durch Hilfe bei der Berufswahl.

Die Autoren der Studie weisen auf Mechanismen hin, die eine klare Bewertung der Ausbildungsreife erschweren. So zwingt die relativ kleine Zahl an offenen Ausbildungsplätzen gerade die schwächeren Kandidaten, sich an möglichst vielen Stellen zu bewerben. Dadurch steigt der Anteil an schwächeren Bewerbungen je Ausschreibung. So gewinnt mancher Unternehmer den Eindruck eines breiten Qualitätsverfalls, ohne ihn tatsächlich zu belegen. Solche Klagen finden zwar Aufmerksamkeit, werden den Jugendlichen aber nicht gerecht. Jeder zweite Fachkundige pflichtet daher folgender Aussage zu: "Viele Jugendliche werden völlig zu Unrecht als nicht ausbildungsreif stigmatisiert." Die schwächeren Schüler finden besonderes Verständnis: 85 Prozent der Experten sagen, auch jemand mit schlechten Noten kann ausbildungsreif sein.  

  • Ausbildungsreife - was ist das eigentlich? Im BIBB-Expertenmonitor äußern sich Fachleute dazu, was Bewerber für eine Lehrstelle mitbringen sollten. Persönlichkeit zählt mehr als Fachwissen. Zur Grafik

Bettina Ehrenthal, Verena Eberhard, Joachim Gerd Ulrich: Ausbildungsreife - auch unter den Fachleuten ein heißes Eisen, BIBB-Expertenmonitor, September/Oktober 2005. Studie zum Download.

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