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HBS Böckler Impuls

Industriepolitik: Lange von der Substanz gelebt

Ausgabe 18/2015

Die Industrie muss mehr investieren, sonst verliert der Standort Deutschland seine starke Stellung. Im globalen Wettbewerb holen andere Länder auf.

Die Industrie war in den vergangenen Jahren einer der wichtigsten Wachstumstreiber in Deutschland. Ihr Anteil an der gesamten Wertschöpfung des Landes ist zuletzt wieder gestiegen – und liegt damit höher als in den meisten anderen Industriestaaten. Gleichzeitig wurden jedoch die Investitionen vernachlässigt. Das könnte sich als Fehler erweisen, wie eine Analyse von Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zeigt.

Der Ökonom hat zunächst untersucht, wie sich die globalen Marktanteile einzelner Länder seit den 2000er-Jahren verschoben haben. Der Anteil Chinas an der weltweiten Industrieproduktion hat sich demnach mehr als verdoppelt, von knapp 10 Prozent im Jahr 2000 auf rund 23 Prozent in 2012. Auch andere Schwellenländer sowie die osteuropäischen EU-Länder konnten zulegen. Die Verlierer sind die meisten entwickelten Industrieländer. So ging der Anteil der USA an der globalen Industrieproduktion von mehr als 31 Prozent auf 27 Prozent zurück. Der gemeinsame Anteil der westeuropäischen Länder fiel von 25 Prozent auf 18 Prozent. Eine Ausnahme bildet Deutschland: Die Bundesrepublik hat ihren Marktanteil von rund 10 Prozent lange behaupten können.

Bei der Frage, wie es um die künftige Wettbewerbsfähigkeit bestellt ist, kommt Deutschland allerdings schlechter weg: Das Wachstum der deutschen Industrie in den vergangenen Jahren sei „ohne Ausweitung des Kapitalbestandes erfolgt“, schreibt der Forscher. Der reale Nettokapitalstock sei zwischen 2007 und 2012 sogar leicht gesunken, die Abschreibungen lagen also höher als die Bruttoinvestitionen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die deutsche Industrie stark von der Substanz gelebt und trotz hoher Gewinne wenig in die Zukunft investiert hat.

Zwischen den einzelnen Branchen bestehen laut Gornig große Unterschiede: Am stärksten schrumpfte der Nettokapitalstock in traditionellen Verbrauchgüterindustrien – im Holzgewerbe real um fast 15 Prozent, im Textil- und Bekleidungsgewerbe sogar um mehr als 20 Prozent. Auch eine Reihe forschungsintensiver Branchen wies eine negative Entwicklung auf. Hierzu zählen Elektrotechnik, EDV und Optik mit einem Rückgang des Nettokapitalstocks um 5 Prozent. Lediglich die Pharmaindustrie mit einen Zuwachs von gut 4 Prozent und der Kraftfahrzeugbau mit rund 8 Prozent verzeichneten eine „spürbare Ausweitung des Nettokapitalbestandes“.

Eine insgesamt höhere Dynamik bei den Investitionen wies zuletzt die Industrie in den USA auf. Auch in Großbritannien wurde – bezogen auf den vorhandenen Kapitalstock – deutlich mehr investiert als in Deutschland. „Die Ergebnisse für die USA und Großbritannien deuten darauf hin, dass nach starken Verlusten der Industrie ein Remodernisierungsprozess eingesetzt hat“, so der Wissenschaftler. „Die vergleichsweise geringe Investitionstätigkeit in Deutschland könnte dagegen ein erstes Anzeichen für ein Auslaufen der Reindustrialisierungsphase hierzulande sein.“ Wenn diese Schwäche nicht überwunden wird, sei der gegenwärtig so starke Industriestandort Deutschland „eher auf dem absteigenden Ast“. Das warnende Beispiel ist Frankreich: Dort hat das verarbeitende Gewerbe in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung verloren und auch die Investitionen gingen zurück.

  • China hat seinen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion seit den 2000er-Jahren deutlich ausgebaut. Die meisten traditionellen Industrieländer haben Anteile verloren. Deutschland ist vergleichsweise stabil geblieben. Grafik als CSV herunterladen Zur Grafik
  • Der Nettokapitalstock in den traditionellen Verbrauchsgüterbranchen schrumpfte stark. In der Pharmaindustrie und im Autobau waren die Investitionen hingegen höher als die Abschreibungen. Grafik als CSV herunterladen Zur Grafik

Martin Gornig: Wie viel Industrie braucht das Land?, in: WSI-Mitteilungen 7/2015

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