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Gut gedacht, schlecht umgesetzt Böckler Impuls

Grundsicherung: Gut gedacht, schlecht umgesetzt

Ausgabe 18/2023

Mit Bürgergeld und Kindergrundsicherung will die Ampelkoalition den Sozialstaat reformieren. Doch die Projekte gehen am Kern des Problems vorbei.

Die Bundesregierung hat sich eine Reform der Grundsicherung vorgenommen. Wie weit ist sie mit ihren Plänen? Das unpopuläre Hartz IV wurde durch das Bürgergeld ersetzt. Die Einführung einer Kindergrundsicherung steht dagegen noch aus. Auch andere Reformen lassen auf sich warten. Es gibt richtige Ansätze, aber insgesamt agiert die Ampelkoalition zu zaghaft. Zu diesem Ergebnis kommen Florian Blank und Dorothee Spannagel vom WSI mit ihrem Co-Autor Claus Schäfer.

Bürgergeld reicht nicht aus

Das seit 2023 geltende Bürgergeld setzt deutlich andere Akzente als das Arbeitslosengeld II (ALG II). Die größte Neuerung ist, dass es keinen Vermittlungsvorrang mehr gibt. Qualifizierung und Teilhabe rücken in den Mittelpunkt. Statt des Ziels, Leistungsbeziehende möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen, steht nun die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt im Vordergrund. Berufliche und schulische Qualifizierung haben im Bürgergeld einen deutlich höheren Stellenwert als im ALG II.

In einem zentralen Punkt bleibt die Reform aus Sicht der Forschenden jedoch deutlich hinter den Möglichkeiten zurück: Weder sei es gelungen, die Berechnung der Regelbedarfe endlich transparent und nachvollziehbar zu gestalten, noch sei die Höhe der Leistungen ausreichend. Das „intransparente Statistikmodell zur Berechnung der Regelbedarfe“ sei beibehalten worden. Die Ampelkoalition hätte zudem die Chance gehabt, mit der Einführung des Bürgergeldes endlich eine Grundsatzentscheidung über die Höhe des Existenzminimums zu treffen, habe diese jedoch nicht genutzt. Die Anhebung der Regelbedarfe um durchschnittlich zwölf Prozent reiche bei weitem nicht dafür aus, gesellschaftliche Teilhabe finanziell abzusichern, zumal es sich hier um eine vorgezogene „reguläre“ Anhebung handelt. „Eine Erhöhung, die lediglich die Inflation ausgleicht – wenn überhaupt –, greift viel zu kurz“, schreiben Blank, Schäfer und Spannagel.

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Kindergrundsicherung muss ausgebaut werden

Die Kindergrundsicherung soll Anfang 2025 eingeführt werden. Ob sie für mehr Gerechtigkeit bei der Förderung von Kindern sorgen kann, ist angesichts von Unstimmigkeiten innerhalb der Koalition fraglich. Das ursprüngliche Konzept, wie es von verschiedenen Sozialverbänden vertreten wird, sieht unter anderem vor, dass Familien für jedes Kind – unabhängig von seinem Alter oder der Anzahl der Geschwister – den gleichen Bruttobetrag erhalten. Dieser wird so besteuert, dass bei steigendem Einkommen unter dem Strich weniger bleibt. Dadurch erhalten bedürftige Kinder mehr, nicht bedürftige Kinder aufgrund des hohen Einkommens ihrer Eltern weniger. Dies war in der Vergangenheit nicht der Fall. Im Gegenteil: Durch Freibeträge und andere steuerliche Vergünstigungen profitierten Familien mit hohen Einkommen deutlich stärker.

Dass von der ursprünglichen Idee nur ein Teil übrigbleiben dürfte, liegt vor allem am Widerstand der FDP. Der vorliegende, mehrfach überarbeitete Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung enthält kaum höhere Leistungen, sondern läuft vor allem auf eine Verwaltungsreform hinaus, die zwar grundsätzlich zu begrüßen ist, für sich genommen aber nicht ausreicht.

Kindergeld, Kinderzuschlag, Bürgergeld und Sozialhilfe für Kinder sowie weitere Leistungen sollen zusammengefasst und in zwei Teilbeträgen von einer einzigen Behörde, den bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelten Familienkassen, neu „Familienservice“ genannt, ausgezahlt werden. Die Auszahlung soll automatisch erfolgen, ohne dass dafür ein Antrag gestellt werden muss. Die Hoffnung: Durch weniger Bürokratie und den Automatismus sollen mehr Familien als bisher die ihnen zustehenden Leistungen erhalten. Der garantierte Betrag für jedes Kind soll auch in der Höhe das bisherige Kindergeld ersetzen, gegebenenfalls ergänzt um einen vom Einkommen der Eltern und vom Alter des Kindes abhängigen Betrag. Steuerfreibeträge für Eltern mit hohem Einkommen sollen beibehalten werden.

„Das jetzige Ampel-Konzept ist keine echte Kindergrundsicherung“, schreiben Blank, Schäfer und Spannagel. Zum einen reichten die vorgesehenen Leistungen nicht aus, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen. Eine fundierte Definition des kindlichen Existenzminimums, die auf wissenschaftlicher Grundlage zweifelsfrei zu einer Erhöhung der Leistungen führen müsste, werde im Referenten­entwurf überhaupt nicht thematisiert. Zum anderen bleibe die soziale Schieflage in der Kinderförderung bestehen, die einkommensstarke Familien begünstigt. Hinzu kämen Widersprüche an den Schnittstellen zu anderen Sozialleistungen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Gesetzentwurf in den anstehenden parlamentarischen Beratungen verbessert werde – eher sei sogar eine Verschlechterung durch Widerstände im Bundesrat möglich.

Debatte um menschenwürdiges Existenzminimum

Mit dem Bürgergeld und der Kindergrundsicherung habe die Bundesregierung notwendige, wenn auch kleine Schritte in die richtige Richtung unternommen, schreiben Blank, Schäfer und Spannagel. Doch nur wenn diese Ansätze konsequent ausgebaut werden, könnten sie in Zukunft vielleicht zur „Vervollständigung“ des Sozialstaates beitragen. Zudem reiche es nicht aus, die Grundsicherung isoliert zu betrachten. Auch die Sozialversicherung als erste Säule des Sozialstaates müsse reformiert werden. Höhere Leistungen in der Sozialversicherung oder ein erleichterter Zugang zur Rente oder zum Arbeitslosengeld I würden dazu führen, dass weniger Menschen auf Grundsicherung im engeren Sinne angewiesen sind. Aus Sicht der Wissenschaftlerin und ihrer Kollegen kann es nicht nur darum gehen, die Verwaltung zu verbessern: „Notwendig ist auch eine Debatte über ein menschenwürdiges Existenzminimum. Ziel muss eine grundlegende Neubestimmung der Regelbedarfe mit einer transparenten und widerspruchsfreien Berechnung sein.“

Florian Blank, Claus Schäfer, Dorothee Spannagel: Signal-Störung der Ampel bei der Grundsicherung?, WSI Report Nr. 91, November 2023

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