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Debatte um das Bürgergeld : Kohlrausch: „Menschen haben den großen Wunsch, erwerbstätig zu sein“

Zu hohe Bezüge, zu wenige Sanktionen? WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch über die populistische Debatte rund um das Bürgergeld und die kontraproduktiven Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil.

[3.1.2024]

Nach monatelanger Kritik am Bürgergeld hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angekündigt, Sanktionen für sogenannte „Arbeitsverweigerer“ zu verschärfen und ihnen die Zahlungen zu streichen. Wie kam es zu dieser Debatte? 

Bettina Kohlrausch: Das Bürgergeld war ein Schritt in die richtige Richtung. Umso bedauerlicher, dass nun Sanktionen wieder verschärft und Zuschüsse für Weiterbildung abgeschafft werden sollen. Arbeitsminister Heil reagiert auf politischen Druck: Sowohl in den konservativen und rechtspopulistischen Medien als auch Parteien wurde zuletzt immer wieder behauptet, arbeitsfähige Menschen würden durch das Bürgergeld alimentiert, während überall im Land Arbeitskräfte gebraucht würden.  

„Es gibt Menschen, die sind faul und leben auf unsere Kosten“ ist natürlich eine einfachere Erzählung als überlegen zu müssen, wie man für diese komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, sei es der sozial-ökologische Wandel oder der Fachkräftemangel, tatsächlich passende Antworten findet. 

Der angekündigte Gesetzentwurf von Hubertus Heil hat das Ziel, Personen, die „zumutbare“ Arbeit verweigern, bis zu zwei Monate lang das Bürgergeld zu streichen. Aber bringen Sanktionen eigentlich wirklich mehr Menschen in Arbeit? 

Es ist umstritten, ob Sanktionen den Effekt haben, mehr Menschen zu einer Aufnahme von Erwerbsarbeit zu bewegen. Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber (IAB) kommt in multivariaten Analysen zu dem Ergebnis, dass das Sanktionsmoratorium im Bürgergeld einen geringen signifikanten Effekt auf die Jobaufnahme aus der Grundsicherung hat. Das bedeutet: Sanktionen können demnach einen kleinen, aber messbaren Effekt haben. Dabei wird allerdings nicht untersucht, wie nachhaltig die Arbeitsmarktintegration ist. Dies ist allerdings wichtig, weil wir gerade in Zeiten des Fachkräftemangels Qualifikationen durch nachhaltige Arbeitsmarktintegration auf dem Arbeitsmarkt sichern und aufbauen müssen. 

Das Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung kam hingegen auf Grundlage einer vergleichenden Analyse einer Gruppe mit und einer ohne Sanktion zu einem anderen Ergebnis: Sanktionen haben demnach zwar eine Wirkung, aber nicht die beabsichtigte bzw. behauptete Wirkung, Menschen besser in Arbeit zu bringen. Die Autor*innen der Studie schreiben: „Im Gegenteil: Die stärkste Wirkung, die von Sanktionen ausgeht, ist Einschüchterung und Stigmatisierung. Die Menschen fühlen sich kontrolliert und bestraft. Bereits die Androhung von Sanktionen verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation“.

  • Bettina Kohlrausch
    WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch

Gibt es denn nicht tatsächlich auch Missbrauch des Bürgergelds? 

Natürlich gibt es Missbrauch des Bürgergeldes. Allerdings vor allem, weil nebenbei schwarz gearbeitet wird. Hier würden eher sinnvolle Kontrollen der Schwarzarbeit helfen als Sanktionen. 

Wie steht es um den oft vorgebrachten Vorwurf, das Bürgergeld sei nun zu hoch, Arbeit würde sich nicht mehr lohnen? 

Wir im WSI haben festgestellt: Menschen, die arbeiten, haben immer mehr Geld. Geringverdiener nehmen allerdings oft die ihnen zustehenden Zuschüsse nicht in Anspruch, weil sie davon nicht wissen oder das System zu kompliziert ist.  

Zudem gibt es Konstellationen, die allerdings häufig eher konstruiert sind und in der Realität selten vorkommen, in denen der Abstand zwischen Lohn und Bürgergeld nicht mehr sehr groß ist. Hier gilt es zu beachten, dass die Höhe des Bürgergeldes durch die Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums definiert ist. Es ist also das, was Menschen brauchen, um an dieser Gesellschaft minimal teilhaben zu können. Diese Grenze ist ohnehin knapp bemessen. So wird den Menschen zum Beispiel kein Budget für Haustiere oder Zimmerpflanzen zugestanden.  

Wenn der Lohn nur knapp über dieser Grenze liegt, ist er definitiv zu niedrig. Dies ist in der Tat problematisch. Daher kritisiere ich auch die viel zu geringe Anhebung des Mindestlohns auf 12,41 Euro dieses Jahr. Um angemessene Löhne sicherzustellen, braucht es aber vor allem eine höhere Tarifbindung. 

Doch für viele Menschen ist ja das Entscheidende, dass Arbeit ein Ort ist, an dem sie soziale Anerkennung erfahren, sich mit Kolleg*innen austauschen, selbst das Gefühl haben etwas Sinnstiftendes zu tun. Es gibt ja eine sehr hohe Erwerbsorientierung in der Bevölkerung. Insofern ist die Debatte für mich nicht nachvollziehbar, weil wir empirisch sehen, dass die Menschen einen großen Wunsch haben, erwerbstätig zu sein. 

Wie könnte die Regierung Menschen bei diesem Wunsch helfen? 

Wir haben ja Fachkräftemangel und viele offene Stellen. Langzeitarbeitslose sind ganz überwiegend Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Es muss also darum gehen, die Leute so zu qualifizieren, dass sie eine Arbeit ausüben können, die gesellschaftlich gebraucht wird. Und sie dahingehend dann auch zu unterstützen. In dieser Sache ist sich die Forschung tatsächlich einig: Langzeitarbeitslose brauchen vor allem Qualifizierung und Eingliederungshilfen. Ausgerechnet daran wird aber derzeit gekürzt.

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