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HBS Böckler Impuls

Familie und Beruf: Großes Thema, kaum geregelt

Ausgabe 17/2005

Weder Appelle noch Berechnungen zu den wirtschaftlichen Vorteilen haben die Mehrheit der Unternehmen bisher überzeugen können, dass sich Familienfreundlichkeit für sie lohnt. Eine Analyse von Betriebsvereinbarungen zeigt zwar "kreative Ideen", aber vor allem noch ein weites Aufgabenfeld für betriebliche Akteure.

Familie ist in aller Munde, ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft unbestritten. Überall entstehen "Bündnisse für Familie", Familienfreundlichkeit gilt mittlerweile als Standortfaktor. Mit konkreten Vereinbarungen unterstützen jedoch erst wenige Unternehmen die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Nur jeder dreizehnte Betrieb hat Familienfreundlichkeit festgeschrieben, weniger als ein Drittel der Betriebsräte hat sich überhaupt jemals mit diesem Thema beschäftigt*, so die jüngste WSI-Betriebsrätebefragung in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten.

Vergleichsweise gering ist auch die Zahl von 97 Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die dem "Archiv Betriebliche Vereinbarungen" der Hans-Böckler-Stiftung für eine Auswertung zugeschickt wurden. Themenbereich: Gleichstellung, Chancengleichheit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie lassen repräsentative Schlüsse nicht zu, wohl aber Trendbeschreibungen. Manuela Maschke, Leiterin des Archivs: "Es mehren sich Anzeichen für eine zunehmende Sensibilität für das Thema: In jüngeren Betriebsvereinbarungen wird die ‚Vereinbarkeit‘ explizit aufgegriffen und nicht mehr nur im Zusammenhang von Regelungen der Arbeitszeit oder Weiterbildung abgehandelt." Neu ist auch: Erste Unternehmen betonen, dass Gleichberechtigung zu den Grundvoraussetzungen gehört, um international bestehen zu können. Ausdrücklich zu Gleichstellung und Frauenförderung liegen dem Archiv aber nur zehn Betriebsvereinbarungen vor, alle aus den vergangenen vier Jahren. Dass Vereinbarungen zur Chancengleichheit nicht zu den Lieblingsthemen der Betriebsräte gehören, deutet auch die WSI-Befragung an: Ein knappes Sechstel von ihnen hat sich erst damit befasst, und durchaus nicht alle mit Erfolg. Im öffentlichen Dienst sieht das freilich etwas anders aus. Dort ist Gleichstellung per Gesetz geregelt. Für die Privatwirtschaft gibt es eine vergleichbare Verpflichtung nicht.

Die Pflege kommt fast noch nicht vor

An erster Stelle regeln Vereinbarungen die Arbeitszeit. Häufig finden sich Teilzeitmodelle und die Möglichkeit für eine Rückkehr zur Vollzeitarbeit, selten sind Telearbeit und flexible Anpassung an familiäre Situationen vorgesehen.

Manche Betriebe bieten eine längere Elternzeit an als gesetzlich vorgeschrieben. Sie garantieren die Wiedereinstellung nach der Familienphase und unterstützen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Wiedereinstieg, auch durch die Möglichkeit, während der Elternzeit als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung zu arbeiten und so auf dem Laufenden zu bleiben. Im Einzelfall können das beide Elternteile nutzen. Ganz zentral widmen sich praktisch alle Vereinbarungen zur Familienfreundlichkeit solchen Möglichkeiten, Qualifikation zu erhalten und in Kontakt zu bleiben.

Kinderbetreuung ist die zweite Säule der Familienfreundlichkeit. Firmen unterstützen Tagespflege und Elterninitiativen, haben Belegrecht in Kitas, spendieren der Gemeinde einen Kindergarten oder richten selbst einen ein. Oder sie erlauben den Eltern wenigstens, die Kinder im Notfall mit in den Betrieb zu bringen.

Vereinbarungen zur Pflege Angehöriger lehnen sich dort, wo es sie überhaupt gibt, meist (noch) an die Kinderbetreuungsregelungen an. Wann und für wie lange Freistellungen möglich sind, wird vom Bedarf im Einzelfall abhängig gemacht - von wenigen Tagen bis zur Freistellung für Monate oder auch Jahre. Obwohl die Pflege wegen der zunehmenden Alterung der Bevölkerung dramatisch wichtig werden dürfte, kommt sie in den Vereinbarungen bisher noch kaum vor.

Damit die Betriebsvereinbarung allen Bedürfnissen gerecht werden kann, schreibt sie auch systematische Bedarfserhebungen und die gründliche Analyse des Betriebs fest. Zur kritischen Begleitung werden paritätisch besetzte Arbeitsgruppen eingesetzt ebenso wie externe Beratung, Wirksamkeitsprüfungen und Testphasen abgemacht.

Maschke: "In den Vereinbarungen finden sich eine Menge kreativer Ideen, aber sehr weit verbreitet sind sie noch nicht. Weder für das Machbare im Betrieb noch für das Wünschbare sind die Spielräume bisher ausgeschöpft."

  • Weder Appelle noch Berechnungen zu den wirtschaftlichen Vorteilen haben die Mehrheit der Unternehmen bisher überzeugen können, dass sich Familienfreundlichkeit für sie lohnt. Eine Analyse von Betriebsvereinbarungen zeigt zwar "kreative Ideen", aber vor allem noch ein weites Aufgabenfeld für betriebliche Akteure. Zur Grafik

Dr. Manuela Maschke: Betriebs- und Dienstvereinbarungen - Ausbaufähig, in: Magazin Mitbestimmung 10/2005.

Dr. Christiane Lindecke: Vereinbarkeit - Erstaunlich ungeregelt, in: Magazin Mitbestimmung 10/2005; Mehr Wachstum und mehr Kinder durch familienfreundliche Arbeitszeiten, in: Böckler Impuls Nr. 14.

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