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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Grauzone Werkvertrag

Ausgabe 16/2015

Wenn Unternehmen zentrale Prozesse der Wertschöpfung per Werkvertrag auslagern, kann das gravierende Folgen haben – für die Beschäftigten und die Mitbestimmung im Betrieb.

Sie sind verbreitet in der Industrie, im Handel und in vielen anderen Branchen: Werkverträge. Firmen nutzen sie, um Arbeiten erledigen zu lassen, die sie nicht selbst ausführen können oder wollen. Das geht in manchen Fällen so weit, dass selbst Arbeiten in zentralen Bereichen wie Produktion oder Forschung und Entwicklung an Werkvertragsnehmer abgegeben werden. Mitunter sind dessen Arbeiter auch auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers tätig (Onsite). Welche Folgen das haben kann, zeigt eine Studie von Markus Hertwig, Johannes Kirsch und Carsten Wirth. Die Forscher aus Chemnitz, Duisburg und Darmstadt haben anhand von Befragungen in 1082 Betrieben und in zwölf Fallstudien untersucht, wie Onsite-Werkverträge im verarbeitenden Gewerbe und im Einzelhandel genutzt werden. „Manche Praktiken der Werkvertragsnutzung überschreiten die Grenze der Legalität“, urteilen die Wissenschaftler. Nach ihren Erkenntnissen lassen sich „überraschend viele Werkverträge als rechtlich problematisch einstufen“.

Bei einem Werkvertrag beauftragt der Auftraggeber den Auftragnehmer, eine bestimmte Leistung zu erbringen. Wie dieser Auftrag erledigt wird, bleibt Sache des Auftragnehmers. Der Auftraggeber zahlt am Ende den Preis für das vereinbarte Ergebnis – und nicht wie etwa bei der Leiharbeit für die Arbeitszeit. Das ist an sich legitim und bei korrekter Umsetzung legal. Anders sieht es aus, wenn ein Unternehmen bestimmte Aufgaben, die den Kern seiner Wertschöpfung ausmachen, dauerhaft per Werkvertrag an Fremdfirmen abgibt und deren Arbeitskräfte wie eigene Beschäftigte oder Leiharbeitskräfte einsetzt. Dann handelt es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung.

Werkverträge in der Industrie häufiger

Welche Probleme in der Praxis auftreten, schildern die Wissenschaftler unter anderem am Beispiel eines Süßwarenproduzenten. Das Management gibt an, es nutze Werkverträge, da der Werkvertragsnehmer über Know-how verfügt, das nicht im eigenen Unternehmen vorhanden ist. Bei genauerer Untersuchung zeigte sich jedoch, dass es dem Unternehmen vor allem darum geht, Kosten zu senken. Auch in der Ausführung des Werkvertrags zeigen sich Ungereimtheiten: Die Firma lässt eigene Arbeitskräfte und die des Werkunternehmens an den gleichen Bändern arbeiten. Die Führungskräfte des Süßwarenproduzenten weisen die Werkvertragsarbeiter an und springen als Arbeitskraftreserve beim Werkunternehmen ein. Eine Abnahme des Werks findet nicht statt. Das Urteil der Wissenschaftler lautet in diesem Fall: „Eine sorgsame Trennung von Werkbesteller und Werkunternehmen geschieht nicht und es kommt immer wieder zu Eingriffen des Werkbestellers beim Werkunternehmen, so dass es außerordentlich zweifelhaft ist, ob es sich um einen Werkvertrag handelt.“ Dies müsse vor Gericht geklärt werden.

Doch auch wenn die Verträge rechtlich unangreifbar gestaltet sind, haben sie in der Regel gravierende Nebenwirkungen: Die Löhne in Werkunternehmen seien „im Durchschnitt niedriger und die Flexibilitätslasten höher als bei den Stammbeschäftigten“, schreiben Hertwig, Kirsch und Wirth. Zudem würden Werkvertragsarbeiter häufig in besonders belastenden Bereichen eingesetzt und müssten längere Arbeitszeiten in Kauf nehmen. Für die meisten gelte entweder überhaupt kein Tarifvertrag oder die tariflichen Bestimmungen seien deutlich ungünstiger als diejenigen des Auftraggebers. Aber auch Stammbeschäftigte der Werkbesteller gerieten durch „die Zunahme kostenmotivierter Personalstrategien oder die Androhung von Outsourcing unter Druck“.

Der Studie zufolge kommen Onsite-Werkverträge im verarbeitenden Gewerbe deutlich häufiger zum Einsatz als im Einzelhandel. Das liege vor allem an der unterschiedlichen Struktur der Branchen, so die Forscher. Der Einzelhandel bestehe größtenteils aus Kleinstbetrieben, die Werkverträge nicht sinnvoll nutzen könnten. In Großkonzernen des Lebensmitteleinzelhandels und in SB-Warenhausunternehmen seien Werkverträge jedoch ein weit verbreitetes Instrument, um Kosten zu senken. Bei Unternehmen, die großflächig auf Werkverträge setzen, könne sich die Wertschöpfungskette grundlegend verändern. Bisher einheitliche Unternehmen zerfielen in eine Vielzahl von Betrieben – und damit lösten sich auch Bereiche auf, in denen zuvor Mitbestimmung und Tarifverträge gegriffen haben.

Betriebsräte können Onsite-Werkverträge eindämmen

„Onsite-Werkverträge bleiben eine Herausforderung für die Mitbestimmungsträger, die Verbände und den Gesetzgeber“, schreiben die Forscher. Ihr Rat lautet: Betriebsräte der Stammbelegschaft sollten darauf dringen, dass Werkverträge ausschließlich rechtlich korrekt eingesetzt werden. Indem sie dies durchsetzen, erhöhten sich die häufig unterschätzten Transaktionskosten, etwa weil die Kosten für Verwaltung und Vertragsgestaltung steigen. Der vermeintliche Vorteil, dass das Unternehmen Personalkosten spart, wäre damit in vielen Fällen aufgehoben – und die Nutzung von Werkverträgen wäre wirtschaftlich nur noch schwer begründbar. „Insofern kann die Einforderung rechtskonformer Werkvertragspraktiken auch eine Strategie der Interessenvertretung zur Eindämmung von Onsite-Werkverträgen sein“, schreiben die Autoren der Studie.

Gleichzeitig sollten die Werkvertragsnehmer – unterstützt durch den Betriebsrat des Werkbestellers und durch Gewerkschaften – in jedem Fall betriebliche Interessenvertretungen gründen. Zusammen mit den zuständigen Branchengewerkschaften könnten sie auf tarifliche Vereinbarungen hinarbeiten. Die Gewerkschaften wiederum sollten stärker die gesamte Wertschöpfungskette beziehungsweise Unternehmensnetzwerke in den Blick nehmen. Der Gesetzgeber könnte dies durch eine Ausweitung der Mitbestimmung und die Vereinfachung von Betriebsratswahlen in Netzwerkunternehmen unterstützen.

  • 45 Prozent der befragten Manager von Werkbestellern gaben an, dass Onsite-Werkvertragsarbeiter weniger Lohn als Stammbeschäftigte erhalten. 19 Prozent sagten, dass die Werkvertragsarbeiter länger arbeiten. Zur Grafik
  • Im verarbeitenden Gewerbe haben acht Prozent der Betriebe in den vergangenen zwölf Monaten Werkverträge genutzt. Besonders verbreit waren Werkverträge in Großbetrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern. Zur Grafik
  • In fast jedem zweiten Betrieb weisen Führungskräfte des Werkbestellers die Arbeiter des Werkvertragsnehmers an. Das ist rechtlich problematisch. Zur Grafik
  • Ein Großteil der Betriebe nutzt Werkverträge, um mehr Flexibilität zu erhalten. Daneben gibt gut ein Drittel zu, dass es auch um die Senkung von Personalkosten geht. Zur Grafik

Markus Hertwig, Johannes Kirsch, Carsten Wirth: Werkverträge im Betrieb. Eine empirische Untersuchung, Düsseldorf, Oktober 2015

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Aktuelle Befragungen zeigen: Betriebsräte sehen erhebliche Probleme und Risiken bei Werkverträgen. Gleichzeitig fühlen sie sich wenig informiert und wünschen sich mehr Mitsprache. Die Umfrage zeigt auch, in welchen Bereichen Werkvertragsarbeitskräfte besonders häufig zum Einsatz kommen.
Weiterführende Infos im Mitbestimmungsportal (Registrierung nötig)

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