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HBS Böckler Impuls

Sozialstaat: Familie zähmt Egoismus der Generationen

Ausgabe 07/2008

Der Generationenkonflikt ist eher ein Mythos als Realität. Sozialwissenschaftler finden keine Anzeichen für ein Gegeneinander von Jung und Alt.

Es gibt immer mehr Rentner, aber weniger Beitragszahler. Werden die Alten bald die Jungen schröpfen? Müssen sich Arbeitnehmer gegen eine drohende Gerontokratie wehren? Studien zu den persönlichen Haltungen älterer und junger Menschen liefern keine Anhaltspunkte für einen angeblichen Generationenkonflikt. Denn anders als oft behauptet wird, denken Menschen bei sozialpolitischen Fragen nicht vorrangig daran, ihrer Altersgruppe Vorteile  zu verschaffen. Darauf weisen Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) hin. Agnes Blome, Wolfgang Keck und Jens Alber haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung das Zusammenleben von Jung und Alt im Wohlfahrtsstaat und in den Familien untersucht. Dabei zeigte sich: Die Familienbande entschärfen die im Sozialstaat angelegten Spannungen.

Der Interessengegensatz von Alt und Jung spielt in den Köpfen so gut wie keine Rolle. Menschen unterschiedlicher Generationen haben sogar sehr ähnliche Vorstellungen darüber, wem staatliche Leistungen zugute kommen sollten. Etwa bei der Pflege: In einer Eurobarometer-Umfrage befürwortete eine Mehrheit jeder Generation staatliches Engagement bei der Pflege. Ausgerechnet die über 64-Jährigen erklärten mit 28 Prozent am häufigsten, Ältere sollten selbst für die Pflege zahlen. Eine egoistische Generation würde sich ganz anders äußern.

Träfen die Warnungen vor einem Generationenkonflikt zu, müssten sich umgekehrt Ältere gegen Leistungen für junge Menschen sträuben - beispielsweise gegen das Elterngeld oder mehr öffentlich finanzierte Kinderbetreuung. Die Forscher des WZB zeigen anhand des Eurobarometers von 2001 das Gegenteil: Vier von zehn über 64-Jährige äußerten "starke Zustimmung" für die staatliche Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das waren fast so viele wie im Schnitt aller Altersgruppen. Keine zehn Prozent der Senioren lehnen sie ab - zur Überraschung der Experten, die auch wegen des gewandelten Familienbildes mit mehr Widerspruch gerechnet hätten: "Geht man davon aus, dass für ältere Menschen die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Norm galt, so wären eigentlich recht deutliche Einstellungsunterschiede zwischen den Altersgruppen zu erwarten gewesen."

Die Forscher stellten bei mehreren Umfragen fest: Die Antworten der verschieden Altersgruppen fallen vor allem dann  ähnlich aus, wenn sie das Zusammenleben der Familien erkunden. Und selbst bei der gesetzlichen Rentenversicherung stehen sich nicht ferne Gruppen gegenüber "wie das etwa im Klassenkonflikt der Industriegesellschaft der Fall war" sondern eben Eltern und  Kinder, so die WZB-Studie.

Europäer spüren weniger Spannungen zwischen Alt und Jung als zwischen Arm und Reich, Arbeiter und Manager oder zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Dem European Quality of Live Survey von 2003 zufolge gibt es Unterschiede in den Ländern: Jeder vierte Franzose nimmt starke Spannungen zwischen den Generationen wahr, in Deutschland ist es jeder achte. In Italien und Schweden sind sich die Generationen noch näher, die gesellschaftliche Integration funktioniert in beiden Staaten - entweder über die Familie oder über den umverteilenden Staat.

Das Konzept eigennütziger Generationen entspricht nicht der sozialen Wirklichkeit, resümiert das Forscherteam. Tatsächlich leben die Generationen oft in recht engem Kontakt und helfen sich gegenseitig. Die Jüngeren leisten eher praktische Unterstützung, während die Großeltern und Eltern ihren erwachsenen Kindern vor allem finanziell unter die Arme greifen, schreiben die Autoren. Gerechtigkeit zwischen Generationen sei in dieser Gesellschaft ein geringeres Problem als die ungleiche Chancenverteilung innerhalb einer Generation - denn manche Kinder und Enkel können weder für eine private Altersvorsorge aufkommen noch mit Schenkungen, Erbschaften und Betreuung rechnen.

  • Der Generationenkonflikt ist eher ein Mythos als Realität. Sozialwissenschaftler finden keine Anzeichen für ein Gegeneinander von Jung und Alt. Zur Grafik
  • Publizisten warnen vor einem Konflikt der Generationen – doch die Menschen in Deutschland nehmen einen Gegensatz von Alt und Jung nicht wahr. Zur Grafik

Agnes Blome, Wolfgang Keck, Jens Alber: Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat, Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, VS Verlag, Wiesbaden 2008

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