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HBS Böckler Impuls

Gesundheit: Erholung nach Schema F funktioniert nicht

Ausgabe 16/2013

Die Kraft für ihren Job sammeln Beschäftigte in ganz unterschiedlichen Rückzugsräumen. Standardisierte Ratschläge und Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung sind oft keine praktische Hilfe für ein dauerhaft gesundes Leben.

Leistungsdruck, Ohnmacht oder Monotonie: Viele Beschäftigte leiden unter ihrer Arbeit. Wie es ihnen dennoch gelingt, ihre „Lebens- und Arbeitskraft“ zu erhalten, haben Mathias Heiden und Kerstin Jürgens von der Universität Kassel im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Den Kern ihrer Studie bilden ausführliche Interviews mit fast 30 Experten und mehr als 70 Beschäftigten aus ganz unterschiedlichen Betrieben und Berufen – Produktionsarbeiter und höher qualifizierte Angestellte in der Autoindustrie, Beschäftigte in der zentralen Buchhaltung eines internationalen Konzerns, in einem Dachdeckerbetrieb und Angestellte eines Reinigungsbetriebs.

Die Studie macht zum einen deutlich, wie unterschiedlich die Sichtweisen sind: Personalverantwortliche initiieren eine Vielzahl von Projekten und Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Belegschaft, doch verändern diese aus Sicht der Beschäftigten nichts an den Belastungen, die ursächlich für Überforderung sind. Entsprechend ringen arbeitspolitische Akteure und Beschäftigte um die „richtigen“ Lösungsansätze.

Zum anderen zeigt sich, dass die Instrumente der vermeintlichen Gesundheitsförderung oft zu kurz greifen. Sie blenden individuelle Interessen und Bewältigungsstrategien aus. Beschäftigten, die ihre Energiereserven bei der Gartenarbeit, beim Kochen oder beim Feierabendbier mit Freunden auffüllen, helfen standardisierte betriebliche Sport-, Ernährungs- oder Stressverarbeitungsprogramme wenig. Im ungünstigsten Fall können sie das Gegenteil bewirken und zusätzlichen Druck erzeugen: „Man hinkt stets dem geplanten Sportprogramm hinterher, bleibt nie wirklich konsequent beim Ernährungsplan, schläft gerade nicht besonders pünktlich ein, wenn man sich genau das vornimmt.“

Die Forscher stellen fest, dass Beschäftigte „durch den anhaltenden Diskurs zu Burnout verunsichert sind“ und bereits unter Druck stehen, sich „optimal“ zu erholen. Kommen hier „betriebliche Aktivierungsprogramme“ hinzu, werde Erholung zu einer zusätzlichen Belastung. Wie schwierig es jedoch ist, gezielte Maßnahmen zum Schutz der Arbeitskraft zu ergreifen, ist laut Heiden und Jürgens schon daran abzulesen, dass Beschäftigte sich selbst häufig gar nicht bewusst machen, was als erholsamer Ausgleich zur Erwerbsarbeit wirkt. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass nachhaltige Personalpolitik vor allem zwei Einsichten verlangt: Erstens, dass Beschäftigte ausreichend Freizeit und Aktivitätsreserven brauchen, um ihren ganz „eigensinnigen Erholungsweisen“ nachzugehen; zweitens, dass grundlegende Bedürfnisse der Arbeitenden Berücksichtigung in der Arbeitsorganisation finden sollten. Heiden und Jürgens konstatieren, dass betriebliche Gesundheitsförderung zwar viele wichtige Impulse biete, aber meist die Arbeitsaufgaben und -abläufe als Ursache von Überlastung vernachlässigt. Kurze Taktzeiten, Monotonie, Standardisierung, fehlende Kommunikation, häufig wechselnde Arbeitsteams oder eine Beschäftigung, die absehbar in den sozialen Abstieg führt, seien jedoch die eigentlichen Auslöser der Phänomene.

  • Die wenigsten machen ihren Job mit links. Zur Grafik

Mathias Heiden, Kerstin Jürgens: Kräftemessen. Betriebe und Beschäftigte im Reproduktionskonflikt, edition sigma, Berlin 2013.

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