Fleischindustrie: Ein guter Anfang
Das Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie hat sich bewährt. Die schlimmsten Missstände sind beseitigt. Aber die Löhne sind immer noch sehr niedrig.
Das Arbeitsschutzkontrollgesetz von Anfang 2021 sollte die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessern. Werkverträge in den Kernbereichen wurden verboten. Was hat sich seitdem getan? Das Gesetz habe die schlimmsten Formen der Ausbeutung beseitigt, schreiben Şerife Erol und Thorsten Schulten vom WSI in einer aktuellen Studie. Fast alle Werkvertragsbeschäftigten, die zuvor bei Subunternehmen angestellt waren, wurden von den Fleischunternehmen übernommen. Die Situation der Beschäftigten hat sich im Vergleich zu früher deutlich verbessert. Aber: Noch immer liegen die Löhne und Arbeitsbedingungen kaum über den gesetzlichen Mindeststandards. Für ihre Studie haben die Forschenden insgesamt 14 Betriebe der Fleischindustrie untersucht und 85 Interviews mit Betriebsräten, Management, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Kontrollbehörden geführt.
Die deutsche Fleischindustrie verfolgte lange Zeit ein Geschäftsmodell der billigen Massenproduktion, das auf der Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräfte unter extrem schlechten Arbeitsbedingungen beruhte. Ermöglicht wurde dies durch ein undurchsichtiges System von Subunternehmen. Teilweise hatte mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Schlachthöfen und Fleischfabriken nur einen Werkvertrag – sie waren also nicht bei den eigentlichen Fleischbetrieben angestellt. Mit den massenhaften Ausbrüchen von Corona rückte die Branche im Frühjahr 2020 in den Fokus der Öffentlichkeit. Die offensichtlichen Missstände machten deutlich, wie notwendig eine Neuregelung war. Bundestag und Bundesrat verabschiedeten das Arbeitsschutzkontrollgesetz.
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Das Ergebnis: Fast alle ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten wurden übernommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Branche in nur einem Jahr um 18 Prozent, von 128 400 im Jahr 2020 auf 151 500 im Jahr 2021. Allerdings haben viele der neu eingestellten Beschäftigten nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes stieg der Anteil der befristeten Neueinstellungen von 42,7 Prozent im Jahr 2020 auf 56,8 Prozent ein Jahr später und verharrt seitdem auf einem ähnlich hohen Niveau.
Nachdem die Fleischunternehmen die ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten angestellt hatten, mussten sie auch die Verantwortung für sie übernehmen. Zuvor war immer wieder über Verstöße gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen wie das Mindestlohngesetz oder das Arbeitszeitgesetz berichtet worden, die jedoch aufgrund undurchsichtiger Personalverantwortlichkeiten in der Regel nicht geahndet wurden. Nun ist das Management der Fleischbetriebe für die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsstandards verantwortlich. Außerdem wurde zusätzlich zum Arbeitsschutzkontrollgesetz eine Reihe weiterer wichtiger Schritte unternommen: die Einführung einer verpflichtenden elektronischen Arbeitszeiterfassung, die Erhöhung der Kontrolldichte und die Verbesserung der Wohnverhältnisse von Arbeitsmigrantinnen und -migranten.
Trotz aller Verbesserungen gehört die Fleischwirtschaft nach wie vor zu den großen Niedriglohnbranchen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhielten hier im Jahr 2022 46,5 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten nur einen Niedriglohn, also weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns in Deutschland. Bei den ausländischen Vollzeitbeschäftigten waren es sogar 55,1 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren ist der Anteil zwar deutlich zurückgegangen. Im Branchenvergleich liegt er aber immer noch auf einem sehr hohen Niveau, was nicht zuletzt auf die sehr geringe Tarifbindung zurückzuführen ist.
„Ein Verbot von Werkverträgen ist offensichtlich ein wirksamer Schritt, um in vielen Branchen mit hartnäckig prekären Arbeitsbedingungen Verbesserungen anzustoßen. Dieses Ergebnis weist über die Fleischindustrie hinaus“, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Doch es ist eben nur ein erster Schritt, nicht die Lösung aller Probleme.“ Das zentrale Instrument zur Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft über die gesetzlichen Mindeststandards hinaus wären flächendeckende Tarifverträge.
Şerife Erol, Thorsten Schulten: Neue Arbeitswelt in der Fleischindustrie? Eine Bilanz der Veränderungen nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, WSI Study Nr. 41, März 2025