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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Erfahrung hat ihren Wert

Ausgabe 04/2018

Betriebe müssen sich besser auf ältere Beschäftigte einstellen. Berufserfahrung und Lebensleistung sollten bei der Bezahlung eine wichtigere Rolle spielen.

Wer viel leistet, soll gut bezahlt werden. Das gilt als zentrales Prinzip der Marktwirtschaft. Doch was geschieht mit Beschäftigten, deren Leistung abnimmt? Sollen ältere Arbeitnehmer schlechter entlohnt werden, weil sie nicht mehr so schnell oder so kräftig sind wie die jüngeren? Die Frage der Entgelt- und Leistungsgerechtigkeit wird künftig in Unternehmen mit altersgemischter Belegschaft eine wichtige Rolle spielen, erklärt Klaus Schmierl vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF). In einer Analyse stellt der Soziologe Ansätze vor, wie sich Konflikte um die gerechte Bezahlung von jungen und älteren Arbeitnehmern lösen lassen.

Schon jetzt sei der Anteil älterer Beschäftigter in vielen Betrieben hoch, schreibt der Wissenschaftler. In den kommenden Jahren dürfte er weiter steigen, weil oft der Nachwuchs für die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er-Jahren fehlt. „Dies impliziert für die betriebliche Personalpolitik, dass der Sorgfalt für die älteren Belegschaftsteile größeres Gewicht zukommt, weil diese gerade in körperlich anstrengenden Berufen oder in Arbeitsprozessen mit hohen Leistungsanforderungen – wie in der durch Akkord getakteten Fließbandfertigung – nicht ein gesamtes Berufsleben lang dieselbe hohe Leistung erbringen können.“ Erforderlich seien nicht nur Maßnahmen der Gesundheitsprävention und Umschichtungen in der Arbeitsorganisation. Auch die Entgeltsysteme müssten vorsichtig an die sich verändernde Altersstruktur in den Betrieben angepasst werden. Laut Schmierl gibt es folgende Möglichkeiten, Arbeitsanforderungen und Bezahlung in Einklang zu bringen:

  • Wer schon länger im Betrieb ist, verfügt in der Regel über größere Erfahrung, genaueres Prozesswissen und mehr Kontakte. Diese Qualitäten sollten bei der Einstufung in eine Lohngruppe berücksichtigt werden, und zwar nach transparenten und nachvollziehbaren Kriterien. Die Kriterien könnten in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen genau definiert werden. 
  • In den Fällen, in denen ein von der Stückzahl abhängiger Leistungslohn bezahlt wird, könnten ältere Beschäftigte auf eigenen Wunsch an Fertigungsstraßen mit reduziertem Takt eingesetzt werden. Dabei erhalten sie weiterhin die persönlichen Akkordsätze der letzten zwölf Monate oder den Akkorddurchschnitt der Gruppe. Alternativ könnte ab einer bestimmten Altersgrenze, bei der erfahrungsgemäß Leistungseinbußen zu erwarten sind, eine betriebliche Lohnsicherung greifen. Damit hätten ältere Beschäftigte die Sicherheit, dass sich geringere Leistungen nicht eins zu eins in Lohneinbußen niederschlagen.
  • Ältere Mitarbeiter, die nicht mehr so gut mithalten können, könnten bei gleichem Lohn neue Aufgaben erhalten – zum Beispiel in der Weiterbildung junger Kollegen oder als „Springer“. In dem Fall werden sie zeitweise an Arbeitsplätzen aktiv, wo die Belegschaft fachliche Unterstützung benötigt, oder sie werden zum Ausgleich von Belastungsspitzen eingesetzt.
  • Die Älteren könnten leichtere Arbeiten erledigen. So wird beispielsweise auf dem Bau oft einem älteren Mitarbeiter ein junger an die Seite gestellt, wobei vom Jüngeren erwartet wird, dass er die körperlich schwerere Arbeit leistet, vom Älteren wiederum, dass er stärker auf die „regelgerechte“ Erledigung der Arbeit achtet. Zudem werden den Älteren eher die „Feinarbeiten“ zugeteilt.

Eingriffe in das Entgeltsystem sollten nicht leichtfertig erfolgen, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Bei dieser Frage seien die „Grundfesten“ eines jeden Betriebs betroffen. Dass ältere Arbeitnehmer trotz geringerer Leistung von Lohneinbußen verschont bleiben, werde aber von Beschäftigten und Betriebsräten weitgehend anerkannt. Dass Lebensleistung, Berufserfahrung oder Loyalität gegenüber dem Unternehmen bei der Entlohnung mitberücksichtigt werden, empfänden die meisten als gerecht, wie empirische Untersuchungen zeigten. „Das Empfinden von Entgeltgerechtigkeit und der betriebliche Frieden werden auch dann nicht gestört, wenn die Leistungsanforderungen an die Älteren zurückgedreht werden“, so der Forscher.

  • Für die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre rücken weniger Junge nach. Zur Grafik

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