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Die neue Macht der Personaldienstleister Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Die neue Macht der Personaldienstleister

Ausgabe 18/2021

Digitale Technologien verändern den Arbeitsmarkt. Dabei droht Arbeitsuchenden der Kontrollverlust über ihre persönlichen Daten – und mehr atypische Beschäftigung.

Die Jobsuche funktioniert heute anders als vor 20 Jahren. Dass die Anzeigen öfter im Internet als in der Tageszeitung stehen, ist nicht der einzige Unterschied. Arbeitsuchende speichern ihre Qualifikationsprofile auf den Webservern von Karrierenetzwerken und rund um das Thema Jobsuche ist eine Vielzahl von Angeboten entstanden. Etwa Plattformen, auf denen Arbeitsaufträge an Crowdworker vergeben werden, Portale zur Bewertung von Unternehmen durch Beschäftigte und zur Selbstdarstellung von Arbeitgebern oder Dienste, die, meist kostenpflichtige, Einblicke in die regionale Marktlage geben. Startups entwickeln Online-Programme, mit deren Hilfe Unternehmen die fachlichen und sozialen Fähigkeiten von Bewerbern und Bewerberinnen testen können. 

In den vergangenen Jahren hat sich eine „digitale Beschäftigungsindustrie“ herausgebildet, schreibt Hans Pongratz, Arbeitssoziologe an der Universität München. Nach seiner Analyse in den WSI-Mitteilungen stehen diese Industrie und ihre Technologien zwar in vielerlei Hinsicht noch am Anfang. Bewerbung mit wenigen Klicks per Smartphone und erste Kontaktaufnahme über einen Chatbot seien heute möglich, aber keinesfalls die Regel. Dennoch rechnet der Wissenschaftler damit, dass sich die Arbeitsvermittlung und damit die Arbeitswelt insgesamt bald grundlegend verändern könnten. An der enormen Wachstumsdynamik von Uber oder Linkedin sei abzulesen, wie stark sich Job- oder Karriereplattformen ausbreiten. 

Eine private „Beschäftigungsindustrie“ existiert noch gar nicht so lange. In Deutschland galt bis 1994 das Vermittlungsmonopol der öffentlich-rechtlichen Bundesanstalt für Arbeit. Im Zuge der allgemeinen Deregulierung und Flexibilisierung, die ihren Höhepunkt mit den Hartz-Reformen erreichte, entstand jedoch ein stetig wachsender Markt für Personalvermittler. Atypische Arbeitsverhältnisse wurden mehr. Die Zahl der Leiharbeiter verzehnfachte sich zwischen 1994 und 2017 beinahe. 

Die großen Leiharbeitsunternehmen – weltweiter Jahresumsatz der Branche: mehr als 450 Milliarden Euro – stehen nach Pongratz‘ Analyse heute „im Zentrum des Wandels der Beschäftigungsindustrie“. Sie haben sich Online-Stellenbörsen oder Crowdworking-Plattformen einverleibt. So gehört etwa das Jobportal Monster zu Randstad, einem der größten Personaldienstleister weltweit. Das Unternehmen bedient „das ganze Spektrum von Beschäftigungsmodellen von der Rekrutierung von festangestelltem Personal über Leiharbeit und Werkverträge bis hin zur Vermittlung von Selbstständigen“, schreibt der Forscher. Unter Begriffen wie „Total Talent Management“ werde von Vermittlungsfirmen „der gesamte Bereich atypischer Beschäftigung als Geschäftsfeld definiert und die flexible Kombination verschiedener Beschäftigungstypen propagiert“. 

Mit der Digitalisierung der Beschäftigungsindustrie zeichne sich „der sukzessive Aufbau eines privatwirtschaftlichen Regimes der Steuerung des Zugangs zu Erwerbschancen ab“, analysiert Pongratz. Eine der damit verbundenen Gefahren sieht der Wissenschaftler in dem Machtpotenzial, das sich aus den großen Mengen gespeicherter und verarbeiteter persönlicher Daten von Stellensuchenden ergibt. Wie die Daten genau genutzt werden, ist für die Betroffenen kaum noch nachvollziehbar, wenn etwa die Angaben in Bewerbungsunterlagen automatisch umi n sozialen Medien verfügbare Informationen ergänzt werden. Oder wenn Algorithmen den Sprachstil auswerten und Bewerber und Bewerberinnen danach klassifizieren. Dass ihnen der Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten droht, sei eine „gesellschaftspolitische Herausforderung ersten Ranges“, schreibt Pongratz. 

Ebenso kritisch zu sehen sei die „Deutungsmacht für die Neudefinition von Arbeitskraft im Kapitalismus“, welche die neue digitale Beschäftigungsindustrie für sich beansprucht. Deren Vertreter werben vor allem für die „Gleichwertigkeit der verschiedenen Beschäftigungsmodelle“, sprich: atypische Arbeit soll als gleichwertig betrachtet und damit als Teil einer neuen Normalität anerkannt werden.

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