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HBS Böckler Impuls

Demografie: Betriebe tun wenig für ältere Beschäftigte

Ausgabe 07/2012

Der demografische Wandel ist ein zentrales Thema der öffentlichen Debatte. Doch nur wenige Unternehmen reagieren bislang darauf.

Rund 500 Manager und 300 Betriebsräte hat ein Forschungsteam des SOFI Göttingen und der Universität Kassel zum demografischen Wandel befragt. Gefördert wurde die Untersuchung in den Branchen Einzelhandel, Chemie und Pharma sowie Metall und Elektro von der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), die Behörden, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gemeinsam finanzieren. Ein zentrales Ergebnis: In den Betrieben ist das Thema zwar angekommen, doch bislang stellen sich nur wenige auf eine ältere Belegschaft ein.

Die Meisten sehen künftig Probleme: Nur eine Minderheit der Manager sieht schon heute Auswirkungen einer alternden Erwerbsbevölkerung, eine Mehrheit geht jedoch davon aus, dass der demografische Wandel sich künftig auf ihr Unternehmen auswirken wird. Die Personaler befürchten vor allem einen Wissens- und Know-how-Verlust. In allen drei Branchen schätzen die Betriebsräte die Folgen des demografischen Wandels deutlich gravierender ein als das Management. Auch sie sehen ein Problem in dem Wissensverlust für den Betrieb, häufiger sprechen sie aber die Folgen von belastenden Arbeitsbedingungen an. Sie rechnen damit, dass Krankenstände steigen und immer mehr Beschäftigte nicht mehr alle Tätigkeiten ausführen können.

Nur Wenige reagieren: Spezielle Angebote für ältere Beschäftigte gibt es bislang eher selten: So bietet nicht einmal jedes zehnte Unternehmen eine spezielle Gesundheitsförderung an. Gezielte Weiterbildung für Ältere ist kaum verbreitet – obwohl viele Personaler dort Bedarf sehen. Noch am häufigsten wird Arbeit umorganisiert, damit dauerhafte Belastungen vermieden werden. Weiter verbreitet sind „alternsgerechte Maßnahmen“, die sicherstellen sollen, dass Beschäftigte über ihr komplettes Arbeitsleben produktiv bleiben. In den meisten Unternehmen gibt es dazu etwa Weiterbildungsangebote. Je nach Branche gestaltet zudem ein Drittel bis die Hälfte der Unternehmen Arbeitsplätze und Arbeitszeiten so, dass dauerhafte Belastungen vermieden werden. Keine nennenswerte Rolle spielen dagegen flexiblere Arbeitszeiten, um Privat- und Berufsleben besser vereinbaren zu können.

Drei Ursachen für das Zögern: Erstens hätten, so die Studie, die akuten Schwierigkeiten der Rezession ab 2007 möglicherweise dazu geführt, die Auseinandersetzung mit langfristigen Problemen auf später zu verschieben.

Zweitens konstatieren die Wissenschaftler ein „Vorruhestandssyndrom“: Um Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, sei in den 1980ern mit Altersteilzeitregelungen der vorzeitige Ruhestand etabliert worden. Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften akzeptierten ihn als „unblutigen Personalabbau“ zur Abfederung von Beschäftigungskrisen und Strukturwandel. Die Unternehmen konnten so ihre Belegschaften verjüngen und die Arbeit intensivieren. Gleichzeitig hatten sie eine „Legitimationsgrundlage dafür, an insgesamt körperlich und psychisch verschleißenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nichts Grundlegendes zu ändern“.

Drittens würden Firmen oft nur in bessere Arbeitsbedingungen investieren, wenn sich dies kurzfristig auszahlt. Eine Ursache, dass sich dieses Denken immer weiter verbreitet, sehen die Forscher im Finanzmarktkapitalismus: „Auch unsere Befunde belegen ein anhaltendes Spannungsverhältnis zwischen einer alters- und alternsgerechten Arbeits- und Beschäftigungspolitik und kapitalistischen Verwertungskalkülen.“

Tarifverträge können helfen: Einzelne Branchen versuchen bereits mit Tarifverträgen gegenzusteuern, so etwa die Chemieindustrie, aber auch die Stahlindustrie. Ein Mittel sind Fonds, in die das Unternehmen einzahlt. Mit dem Geld lassen sich etwa Regelungen zur Altersteilzeit bei besonders belastenden Tätigkeiten, zu Langzeitkonten oder auch zu Auszeiten finanzieren – beispielsweise zur Erholung oder für die Familie. Entscheidend ist hier die Umsetzung in entsprechende Betriebsvereinbarungen, was den Betriebsräten eine wichtige Rolle zuweist. Zudem verpflichten die Tarifverträge die Unternehmen zu einer Demografieanalyse. Diese löst „durchaus handlungsrelevante neue Einsichten und entsprechende praktische Aktivitäten aus“, beobachten die Forscher. Breit durchsetzen werde sich eine demografiegerechte Arbeitsgestaltung freilich nur, wenn die Personalpolitik grundlegend überarbeitet wird: „Tarifpolitik kann ein solches Umsteuern flankieren, durchsetzen kann sie es nicht.“

  • Nur wenige Betriebe reagieren auf den demografischen Wandel und tun etwas für die älteren Beschäftigten. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Zur Grafik

K. Tullius, J. Freidank, J. Grabbe, J. Kädtler, W. Schroeder: Perspektiven alter(n)sgerechter Betriebs- und Tarifpolitik, in: WSI-Mitteilungen, Heft 2/2012.

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