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Mitbestimmung: Beschäftigte brauchen eine starke Stimme Böckler Impuls

Mitbestimmung: Beschäftigte brauchen eine starke Stimme

Ausgabe 07/2021

Mitbestimmung ist europaweit verwurzelt: In 18 von 27 EU-Mitgliedsstaaten gibt es nationale Regelungen, die Beschäftigte zur Mitsprache in den Leitungsgremien von Unternehmen berechtigen. Um diese Mitbestimmungskultur zu bewahren, ist es laut einer Analyse des I.M.U. nötig, sowohl europäische Mindeststandards durchzusetzen als auch Lücken im nationalen Recht zu schließen.

Die Unternehmensverfassung werde immer mehr von der EU bestimmt, erklären die Experten. In der Vergangenheit hat sich das nicht nur positiv ausgewirkt: Der Europäische Gerichtshof habe „dem Regime-Shopping Tür und Tor geöffnet“ – mit fatalen Folgen für die Mitbestimmung. So haben in Deutschland mindestens 62 Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten eine juristische Konstruktion mit einer ausländischen Rechtsform gewählt, beispielsweise die B.V. & Co. KG, und fallen dadurch nicht unter die Mitbestimmungsgesetze.

Ebenfalls missbrauchsanfällig ist der Analyse zufolge die Europäische Aktiengesellschaft (SE). Bei einer Umwandlung in diese Rechtsform gibt es zwar Bestandsschutz für bestehende Mitbestimmung, das Niveau bleibt aber „eingefroren“, auch wenn die Belegschaft im Anschluss wächst. Unternehmen, die kurz vor Erreichen der Schwellenwerte für die Drittel- oder paritätische Mitbestimmung die Rechtsform der SE annehmen, können dadurch Mitsprache im Aufsichtsrat ganz verhindern oder auf Dauer eine schwächere Form festschreiben. Mittlerweile gibt es in Deutschland mindestens 82 Unternehmen, bei denen eine SE zur Vermeidung der paritätischen Mitbestimmung führt. Hier könnte auch der nationale Gesetzgeber aktiv werden und das SE-Beteiligungsgesetz um ein Nachverhandlungsrecht mit neuer gesetzlicher Auffanglösung bei veränderten Mitarbeiterzahlen ergänzen.

Ende 2019 sei zwar eine neue europäische Richtlinie zur grenzüberschreitenden Umwandlung, Verschmelzung oder Spaltung von Unternehmen verabschiedet worden, so die Experten. Sie sehe vor, dass beim Wechsel der Rechtsform bereits dann über Mitbestimmung verhandelt werden muss, wenn vier Fünftel des jeweiligen Schwellenwertes erreicht sind. Da die gesetzliche Auffanglösung aber weiterhin nur den Status quo sichert, hätten die Beschäftigten hier keine wirkliche Verhandlungsmacht. Darüber hinaus soll für die Mitbestimmung ein Bestandsschutz von lediglich vier Jahren gelten. Danach wäre es möglich, durch einen weiteren Rechtsformenwechsel die Mitsprache der Beschäftigten komplett auszuschalten. Hier gelte es nun in der nationalen Umsetzung, Spielräume zum Schutz der Mitbestimmung zu nutzen.

Das geltende Recht sei „schlichtweg ungeeignet, die Mitbestimmung adäquat zu schützen“, stellen die Autoren fest. Nötig sei eine generelle Rahmenrichtlinie für Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung auf europäischer Ebene, die greift, wenn Unternehmen europäische Richtlinien zur Veränderung der Unternehmensverfassung nutzen. Zudem sollte die Richtlinie Verhandlungen für ein „europäisches betriebliches Gremium“ festschreiben – und zwar unabhängig davon, ob die Vorgaben der Richtlinie für Europäische Betriebsräte erfüllt sind. Zudem seien Mindeststandards für die Unternehmensmitbestimmung nötig, die auch die Belegschaftsgröße berücksichtigen: Ab 50 Beschäftigten sollten zwei bis drei Sitze im Aufsichtsrat an die Arbeitnehmerseite gehen, ab 250 Beschäftigten ein Drittel der Sitze, ab 1000 die Hälfte. Darüber hinaus brauche es wirksame Sanktionen für den Fall, dass Arbeitgeber die Informations- und Konsultationsrechte von Europäischen Betriebsräten verletzen, sowie ein Recht auf gewerkschaftliche Beteiligung.  

Dem deutschen Gesetzgeber empfehlen die Experten, ein Mitbestimmungserstreckungsgesetz zu verabschieden, das den Anwendungsbereich der Mitbestimmungsgesetze auf Unternehmen mit ausländischer Rechtsform erweitert. Zudem gelte es, Lücken im Drittelbeteiligungsgesetz zu schließen, das bisher keine Gültigkeit für die Rechtsform GmbH & Co. KG hat.

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