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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Berufswechsel: Allzu oft geht`s abwärts

Ausgabe 17/2013

Immer weniger Beschäftigte üben durchgehend ihren erlernten Beruf aus. Mit der beruflichen Mobilität steigt die Gefahr, sozial abzusteigen.

Schustern wird traditionell geraten, bei ihren Leisten zu bleiben. Das dürfte ihnen allerdings zunehmend schwer fallen: Berufswechsel werden mehr und mehr zur Normalität. Das geht aus einer empirischen Studie von Matthias Dütsch, Verena Liebig und Olaf Struck hervor.* Die Arbeitswissenschaftler von der Universität Bamberg kommen zu dem Ergebnis, dass die „Bindekraft der Beruflichkeit“ in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat: Beschäftigte müssen häufiger aus ihrem erlernten Beruf wechseln. Zugleich ist ihr sozialer Status unsicherer geworden.

In ihrer Analyse untersuchen die Forscher einerseits horizontale Mobilität. Die liegt vor, wenn der ausgeübte dem erlernten Beruf nicht entspricht, aber mit einer ähnlichen beruflichen Stellung verbunden ist. Vertikale Abwärtsmobilität bezeichnet hingegen einen Statusverlust. Verschiedene Entwicklungen ließen erwarten, dass beide Formen der Mobilität wahrscheinlicher geworden sind, schreiben die Autoren. So seien mit der weltweiten Konkurrenz und dem Innova­tionsdruck die Schwankungen in der Arbeitskräftenachfrage gewachsen. Zugleich hätten sich die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen durch Deregulierung geändert. Die Folge: eine erhebliche Ausweitung der atypischen Beschäftigung. Da Leiharbeiter, befristet Beschäftigte und viele Minijobber regelmäßig den Arbeitsplatz wechseln, hätten sie wenig Gelegenheit, sich betriebsspezifische Kenntnisse anzueignen oder sich weiterzubilden. Zudem gälten häufige Betriebswechsel ebenso wie Arbeitslosigkeit als negatives Signal auf dem Arbeitsmarkt. Daher, so die Vermutung der Wissenschaftler, nehme mit der Volatilität der Märkte und der Verbreitung instabiler Beschäftigungsverhältnisse auch die Gefahr zu, dass es mit dem Status bergab geht.

Inwieweit ihre Annahmen zutreffen, haben Dütsch, Liebig und Struck mit Hilfe des Datensatzes „Arbeiten und Lernen im Wandel“ überprüft, den das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erhoben hat. In ihre Analyse eingeflossen sind Angaben zum Schul- und Ausbildungsverhalten sowie zum beruflichen Werdegang von über 4.000 westdeutschen Erwerbstätigen, die zwischen 1956 und 1988 geboren wurden. Laut den Berechnungen hat sich die horizontale Mobilität vor allem am Anfang des Erwerbslebens deutlich erhöht: Von den Männern, die zwischen 1973 und 1977 auf dem Arbeitsmarkt gestartet sind, wechselten 14 Prozent unmittelbar nach der Ausbildung den Beruf. In der jüngsten untersuchten Kohorte, deren Berufseinstieg in die Jahre zwischen 1998 und 2002 fällt, waren es 20 Prozent. Bei den Frauen stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 9 auf 22 Prozent.

Innerhalb von fünf Jahren hatten über die Hälfte der männlichen und 38 Prozent der weiblichen Berufseinsteiger der Jahre 1998 bis 2002 mindestens einen Berufswechsel hinter sich. Dabei hat der Studie zufolge auch die Abwärtsmobilität zugenommen: Das Risiko, im erlernten Beruf sozial abzusteigen, ist im Untersuchungszeitraum um 117 Prozent gestiegen. Dass Beschäftigte den Beruf wechseln und gleichzeitig an Status einbüßen, ist um 41 Prozent wahrscheinlicher geworden. Von den untersuchten Erwerbsphasen in der jüngsten Kohorte war fast jede dritte „statusinadäquat“, also weniger prestigeträchtig als der erlernte Beruf.

Die Wissenschaftler haben auch analysiert, welche Faktoren diese Entwicklung beeinflussen. Demnach wird fachlich oder sozial unangemessene Beschäftigung wahrscheinlicher durch häufige Betriebswechsel, Leiharbeit, Befristung, längere Phasen von Arbeitslosigkeit und Entlassungen. Weiterbildung senkt das Risiko, in der Hierarchie abzusteigen. Eine schlechte Arbeitsmarktlage und eine ungünstige wirtschaftliche Situation verstärken die Destabilisierungstendenzen.

Insgesamt, so die Forscher, weise „der in zunehmendem Maße nicht gelingende Transfer beruflicher Qualifikationen bei zwischenbetrieblicher Mobilität auf eine sinkende Bindekraft der Beruflichkeit und auf wachsende Risiken des Verlustes berufsfachlicher Qualifikationen hin“. Insbesondere die deutliche Zunahme der Abwärtsmobilität sei dabei problematisch. Als Gegenmittel empfehlen Dütsch, Liebig und Struck zum einen Änderungen bei der Ausbildung, die möglichst breit angelegt sein und sich an vollständigen Arbeits- und Geschäftsprozessen orientieren sollte. Zum anderen regen sie an, die Weiterbildungsmöglichkeiten vor allem für atypisch Beschäftigte zu verbessern.

  • Vor allem am Anfang des Berufslebens hat sich die berufliche Mobilität deutlich erhöht. Zur Grafik

Matthias Dütsch, Verena Liebig, Olaf Struck: Erosion oder Stabilität der Beruflichkeit? Eine Analyse der Entwicklung und Determinanten beruflicher Mobilität, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 3/2013

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