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Magazin Mitbestimmung

Vertrauensleute: Gewerkschaftlicher Aktivposten

Ausgabe 09/2015

Sie setzen eigene Themen im Betrieb, und die IG Metall setzt verstärkt auf sie: Wie Vertrauensleute die Betriebspolitik der Gewerkschaften beleben – als zweite Säule neben den Betriebsräten. Von Jörn Boewe und Johannes Schulten

Die Klappe aufmachen, wenn etwas nicht passt – das macht für Jan Andrä gute Vertrauensleutearbeit aus. „Wir können klar sagen, was falsch läuft im Betrieb – selbst an den Punkten, wo es für den Betriebsrat schwieriger ist“, sagt der 33-Jährige. Andrä arbeitet seit 16 Jahren als Montagewerker bei VW Zwickau, genauso lange ist er in der IG Metall aktiv, zunächst als Jugendvertreter, später als Vertrauensmann. Seit 2010 leitet er als Vize den 16-köpfigen Vertrauensleutekörper.

Was sind seine Aufgaben? „Wir sorgen für die Einhaltung der Betriebsvereinbarungen, unterstützen Kollegen, wenn sie Probleme mit ihren Vorgesetzten haben, arbeiten aber auch inhaltlich an Zukunftsthemen wie Fragen der Arbeitszeit“, sagt Andrä. Das Wichtigste jedoch sei, dass sich die Kollegen auf einen verlassen können. „Wenn wir Probleme öffentlich ansprechen, zeigen wir, dass niemandem etwas passiert, wenn man den Mund aufmacht.“ Und sie kümmern sich nicht nur um betriebliche Belange. Regelmäßig sind die Zwickauer Vertrauensleute auch bei Streiks von Kollegen anderer Betriebe vor Ort, wie im Juni bei den Postbeschäftigten.

Das Engagement kommt an. Die IG Metall ist bei VW in Zwickau mit einem Organisationsgrad von 98 Prozent optimal aufgestellt. Noch wichtiger ist dabei der hohe Anteil an aktiven Metallern unter den rund 9000 Beschäftigten – an die 420 Vertrauensleute hat die Gewerkschaft hier und ist damit in so gut wie allen Teilen des Werkes vertreten, betont Andrä.

Die Institution der Vertrauensleute ist praktisch so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst. Entstanden in der Metall- und Schwerindustrie im 19. Jahrhundert, waren „Werkstattvertrauensmänner“ häufig die einzige gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb – es gab damals weder Betriebsräte, noch hatten Gewerkschaftsvertreter ein Zugangsrecht zu den Betrieben. Als „Bindeglied zwischen Verbandsmitgliedern und der örtlichen Verbandsleitung“, wie es in einer Broschüre des Deutschen Metallarbeiterverbandes von 1912 heißt, waren die Vertrauensleute zuständig für die „Information und Beratung der Mitglieder“ und die „Benachrichtigung der Gewerkschaft über eintretende Differenzen der Werkstattkollegen mit dem Arbeitgeber“. Auch mit der Entstehung der Betriebsräte als allgemeine und gewerkschaftsunabhängige Vertretung der Beschäftigten ist die Kernaufgabe der Vertrauensleute im Wesentlichen gleich geblieben: Auch heute noch, nach anderthalb Jahrhunderten, sind sie die Repräsentanten und die aktive Basis der Gewerkschaft in den Betrieben. Das ist ausbaufähig. „Wir sehen momentan eine Stagnation, wenn auch auf hohem Niveau“, sagt Heike Madan, die beim IG-Metall-Vorstand für Vertrauensleute und Betriebspolitik zuständig ist. Die Zahl der Vertrauensleute ist aktuell leicht rückläufig. Etwa 50 000 gibt es im Organisationsbereich der Gewerkschaft. Viele von ihnen sind gleichzeitig Betriebsräte. Besonders bei klein- und mittelständischen Betrieben ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft.

Deshalb sind die Betriebspolitiker der IG Metall kräftig dabei, existierende Gremien zu stärken und neue zu gründen. Etwa durch Patenschaften. Dabei begleiten erfahrene Vertrauensleute aus großen Unternehmen Kollegen aus kleinen und mittelständischen Betrieben, „die Erfahrenen stehen den noch Unerfahrenen mit Rat und Tat zur Seite“, sagt Heike Madan. Daneben wird die IG Metall „in den nächsten Jahren verstärkt Geld in die Hand nehmen und das Bildungsangebot für Vertrauensleute ausbauen“, sagt die Gewerkschafterin. Denn der Bedarf sei groß, zumal ab Januar 2016 deutschlandweit Vertrauensleute gewählt werden.

Von einer „Zeitenwende“ spricht Jörg Hofmann, der im Oktober für das Amt des Ersten Vorsitzenden der IG Metall kandidiert. Belegschaften werden immer heterogener, die Arbeitszeiten flexibler, und die Arbeitswelt digitalisiert sich. Für Hofmann ist daher klar: „Betriebsräte können das alles nicht allein leisten. Für eine erfolgreiche Vertretung der Beschäftigten ist eine Zusammenarbeit mit Vertrauensleuten unerlässlich.“

IMPULSGEBER IM BETRIEB

Was Vertrauensleute und Betriebsräte gemeinsam stemmen können, kann man bei Siemens in Krefeld besichtigen. Eine Hausmacht war die IG Metall dort lange Zeit mit über 90 Prozent Organisationsgrad, bis der auf 38 Prozent sank. Was war der Grund? „Betriebsräte wollten die besseren Gewerkschafter sein, Vertrauensleute die besseren Betriebsräte – alles andere wurde nicht beachtet. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei“, erzählt Vertrauenskörper-Leiter Jens Köstermann. Ein neu gewählter Betriebsrat schaffte die Wende, indem er beschloss, mit den Vertrauensleuten an einem Strang zu ziehen. Mit Erfolg: Als die Siemens-Geschäftsführung das Akkordlohnsystem abschaffen wollte, biss sie sich die Zähne aus – nach Jahren Auseinandersetzung und vielen gemeinsamen öffentlichen Aktionen wurde das Vorhaben aufgegeben. Die Belegschaft hat den Einsatz honoriert: Mehr Leute kommen zu den Betriebsversammlungen, und auch der Organisationsgrad ist wieder gewachsen, auf inzwischen 52 Prozent.

Auch deshalb ist für Jörg Hofmann die klassische Definition von Vertrauensleuten als „Ohr an der Belegschaft“ nicht mehr ausreichend: „Vertrauensleute sind heute wichtige Impulsgeber. Sie bringen Themen nach vorne und gestalten Arbeitsbedingungen aktiv.“ Dies habe aber auch Folgen für die IG Metall: „Wir müssen die Leute beteiligen und zu Betriebspolitikern machen.“

Bei Bosch in Reutlingen ist das schon passiert. Hier haben Vertrauensleute und Betriebsrat gemeinsam Arbeitszeiten an komplexe Produktionsabläufe angepasst, im Sinne von Work-Life-Balance. „Die Beschäftigten kamen im Test mit der kurzzyklischen Schichtfolge viel besser zurecht. Als wir die Belegschaft über das neue Schichtmodell abstimmen ließen, stimmten 82 Prozent dafür“, sagt Thorsten Dietter, Leiter des Vertrauenskörpers bei Bosch.

Gemeinsamkeit ist essenziell, genauso wie eine gewisse Eigenständigkeit, denn „Wasserträger vom Betriebsrat“ wollen sie nicht sein, betont der Zwickauer Vertrauensmann Jan Andrä. „Ohne einen starken Betriebsrat im Rücken“, ist sich Ändra sicher, „hätten wir viele Freiheiten nicht.“ Freiheiten, die auch dazu dienen, um in Arbeitszeitfragen in die Offensive zu gehen. Um Arbeitsplätze in der Region zu sichern.

Und das können sie als direkte gewerkschaftliche Vertretung im Unternehmen viel offensiver als der Betriebsrat, der verpflichtet ist, mit dem Arbeitgeber zum Wohl des Betriebes zusammenzuarbeiten.

MEHR INFORMATIONEN

FB Betriebs- und Branchenpolitik der IG Metall (Hrsg.): Vertrauen. Eine Reise zu den Vertrauensleuten der IG Metall. März 2015. 90 Seiten. Die Broschüre kann im Ressort Vertrauensleute und Betriebspolitik beim IG Metall Vorstand bestellt werden vertrauensleute@igmetall.de

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