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HBS Böckler Impuls

Gleichstellung: Ehegattensplitting macht Erwerbsarbeit für Frauen unattraktiv

Ausgabe 19/2011

Das Ehegattensplitting führt dazu, dass sich für viele Frauen die Erwerbstätigkeit nicht rechnet. Bei einer Abschaffung der Splittingvorteile steigt nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung deren Erwerbsbeteiligung spürbar.

In Deutschland gilt das Ehegattensplitting als ein wichtiger Grund für die relativ geringe Beteiligung verheirateter Frauen am Arbeitsmarkt. Länder wie Großbritannien, Schweden, die Niederlande, Spanien, Portugal oder Österreich haben die gemeinsame Besteuerung von Eheleuten abgeschafft zugunsten einer reinen Individualbesteuerung. Ein Forscherteam des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat für Deutschland die Verteilungs- und Angebotseffekte eines solchen Schritts berechnet. Fazit: Die Individualbesteuerung würde nicht nur zu erheblichen Steuermehreinnahmen führen. Auch die Erwerbsbeteiligung von Ehefrauen würde sich deutlich erhöhen.

Bisher wird in Deutschland das gesamte zu versteuernde Einkommen beider Ehepartner halbiert, die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Unabhängig davon, wie viel der einzelne Partner verdient, wird also bei der Einkommensteuer immer so getan, als ob beide Partner die Hälfte des gemeinsamen Einkommens beisteuern. Dieses Splittingsystem mindert die Progression der Einkommensteuer, wenn die Ehepartner unterschiedlich hohe Einkommen haben. Je höher das gemeinsame Haushaltseinkommen und je größer die Differenz zwischen den individuellen Einkommen der Ehepartner, desto größer ist der Steuervorteil gegenüber individuell veranlagten Paaren, der so genannte Splittingvorteil. Er beträgt maximal 15.000 Euro pro Jahr – bei einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von über 500.000 Euro.

Für ihre empirische Analyse verwendeten die Wissenschaftler ein Mikrosimulationsmodell mit  Verhaltensanpassung, das auf den Daten des Sozio-oekonomischen Panels des Jahres 2009 basiert. Es enthält neben einer detaillierten Abbildung des deutschen Steuer- und Transfersystems auch ein mikroökonometrisch geschätztes Arbeitsangebotsmodell der privaten Haushalte. Damit kann geschätzt werden, wie die Personen mit ihrem Erwerbsverhalten auf Änderungen bei der Besteuerung reagieren. Die Ergebnisse im Einzelnen:

Steueraufkommen. Die Einführung einer reinen Individualbesteuerung ließe jährliche Steuermehreinnahmen in einer Größenordnung von etwa 27 Milliarden Euro erwarten. Das wären über zehn Prozent der Einkommensteuer und etwa 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Einkommenseffekte. Bei einer reinen Individualbesteuerung sinkt das Haushaltsnettoeinkommen eines Ehepaares um durchschnittlich 119 Euro pro Monat, ergab die Simulation. Ehepaare mit nur einem Einkommen verlieren monatlich 232 Euro. Bei Doppelverdiener-Paaren sind es im Schnitt 86 Euro. Bisher profitieren westdeutsche Ehepaare stärker als ostdeutsche: Gingen aufgrund des Übergangs zur Individualbesteuerung im Westen monatlich 134 Euro verloren, so sind es im Osten nur 50 Euro. Das liege daran, dass es im Osten mehr Doppelverdiener-Paare gibt, erläutern die Wissenschaftler. Zudem seien die durchschnittlichen Einkommen nach wie vor niedriger als im Westen. Dementsprechend verlieren Ehepaare mit einem Jahreseinkommen unter 25.000 Euro lediglich 34 Euro im Monat, solche mit über 100.000 Euro im Schnitt 208 Euro.

Arbeitsangebotseffekte. Der Übergang zu einer reinen Individualbesteuerung würde sich den Modellrechnungen zufolge auf das Verhalten beider Geschlechter auswirken: Die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt würde sich um rund 2,4 Prozentpunkte erhöhen, die der Männer um zirka 0,3 Prozentpunkte sinken. Damit nähmen die durchschnittlichen Arbeitsstunden der Frauen um etwa 7,4 Prozent zu, die der Männer um 1,5 Prozent ab. Der große Unterschied zwischen den Geschlechtern lasse sich durch „die niedrigeren Angebotselastizitäten von Männern“ erklären, so die DIW-Forscher. Sprich: Männer verändern bei höheren oder niedrigeren Einkommen ihr Arbeitsangebot deutlich weniger. Besonders stark wären die Effekte bei westdeutschen Frauen. Denn in Ostdeutschland gibt es nicht nur schon heute deutlich mehr Doppelverdiener-Paare. Hinzu kommt, dass die Einkommensungleichheiten zwischen den Ehepartnern geringer sind als im Westen.

Zur Rechtfertigung des Steuervorteils für Eheleute ziehen Juristen Artikel 6 des Grundgesetzes heran, wonach Ehe und Familie nicht benachteiligt werden dürfen. Verheiratete dürften also nicht höher besteuert werden als  Unverheiratete. „Verfassungsrechtliche Einwände gegenüber einer reinen Individualbesteuerung sollten nicht übermäßig gewichtet werden“, entgegnen die Wissenschaftler. Schließlich gebe es im internationalen Vergleich viele Länder mit vollständig oder weitgehend individueller Einkommensbesteuerung. Wenn es politisches Ziel sei, verheiratete Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren, „sollten dem entgegenstehende Anreize im Steuer- und Transfersystem systematisch beseitigt werden“.

Familienpolitiker bemängeln zudem am Ehegattensplitting, dass es nicht automatisch Haushalten mit Kindern zugute kommt, sondern generell Ehen fördert. Frühere Analysen des DIW zeigen: Das Entlastungsvolumen entfällt nur zu knapp zwei Dritteln auf Ehen mit Kindern. 43 Prozent aller Ehen, die vom Splitting profitieren, sind hingegen kinderlos. Andererseits machen unverheiratete Eltern und Alleinerziehende mittlerweile ein Viertel aller Eltern-Kind-Gemeinschaften aus. Doch für diese Familienformen gilt das Ehegattensplitting nicht.

  • Die Individualbesteuerung würde zu erheblichen Steuermehreinnahmen führen. Ehepaare mit nur einem Einkommen verlieren monatlich im Durchschnitt 232 Euro, ergab die Simulation. Zur Grafik
  • Der Übergang zu einer reinen Individualbesteuerung würde sich den Modellrechnungen zufolge auf das Verhalten beider Geschlechter auswirken. Zur Grafik

Stefan Bach, Johannes Geyer, Peter Haan, Katharina Wrohlich: Reform des Ehegattensplittings: Nur eine reine Individualbesteuerung erhöht die Erwerbsanreize deutlich (pdf), DIW Wochenbericht Nr. 41, Okt. 2011

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