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Magazin Mitbestimmung

: ARCHIV 'Wir sind Quasibetriebsräte'

Ausgabe 11/2006

Interview mit Helga Classen und Bernhard Koller, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der SAP AG. Erschienen im Magazin Mitbestimmung 6/2001



8000 Beschäftigte und kein Betriebsrat. Seit Jahren praktiziert Deutschlands erfolgreichste Softwareschmiede SAP eine eigenwillige Form von Mitarbeiterbeteiligung: Hier machen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Betriebsratstätigkeiten so nebenbei mit und verzichten dabei auf Ressourcen und Rechtsschutz. Wie funktional ist diese Konstruktion innerhalb der SAP-Unternehmenskultur? Welche Vor- und Nachteile sehen die Akteure selbst?


Mit Helga Classen und Bernhard Koller, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der SAP AG, sprach Redakteurin Cornelia Girndt im Stammhaus der SAP in Wiesloch-Walldorf.


Mitbestimmung im Dialog zwischen New Economy und Gewerkschaften fördert das "Forum Mitbestimmung und Unternehmen", eine Initiative der Bertelsmann und der Hans-Böckler-Stiftung. www.unternehmenskultur.org


Von Rentenfragen über das STAR-Mitarbeiterbonus-Programm bis hin zum Gegensteuern bei Mobbing - Sie als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kümmern sich um Dinge, die zum harten Kern von Betriebsratsarbeit gehören. Sind Ihre Arbeitszeitressourcen irgendwie geregelt?
Helga Classen: Wir agieren nach Bedarf. Der Vorstand steht hinter dem Modell, und unsere unmittelbaren Vorgesetzten wissen darum. Wir möchten aber erreichen, dass unsere Kostenstellenverantwortlichen auch anteilig von unseren Personalkosten entlastet werden. Denn mittlerweile mache ich Aufsichtsrats- und Betriebsratsarbeit in 50 bis 70 Prozent meiner Arbeitszeit.

Und dennoch habe ich nicht selten ein schlechtes Gewissen, weil wir bestimmte Themen nicht konsequent genug verfolgen
können. Oder weil ich mir mehr Projektbeteiligung von unserer Seite wünschen würde, anstatt dass wir uns auf die Personalabteilung verlassen. Von daher bräuchten wir mehr Unterstützung, etwa durch einen Referenten.

Bernhard Koller: Bei mir konzentriert sich die Arbeit sehr stark auf die Woche der Aufsichtsratssitzung - ich bin Vorsitzender des Bilanzprüfungsausschusses. Daneben kümmere ich mich um Dinge wie die betriebliche Altersversorgung. Aber - tun wir eigentlich genug, um die Rechte der Mitarbeiter tatsächlich einzufordern? Wir müssten eine Arbeitsgrundlage haben, in Form einer Betriebsvereinbarung mit dem Vorstand, damit wir nicht alles immer wieder in vielen Diskussionen mühsam einfordern müssen.

Sie haben lange Zeit im Ausland gearbeitet, ist dort Mitarbeiterbeteiligung ein Fremdwort?
Koller:
Mich bewegt die Frage, was wir für unsere Mitarbeiter/innen im Ausland tun können. Unsere Unternehmen im Ausland machen 70 bis 80 Prozent des Umsatzes, und den machen die Beschäftigten.

Auch wenn wir uns hier über Modalitäten der Mitarbeiterbeteiligung verständigen würden, gälte das noch lange nicht für unsere Tochterunternehmen im Ausland, wo jeder seine lokalen Eigenarten hat und nach seiner Facon regiert. Wir haben unlängst unseren Personalchef gebeten, die rechtlichen Bedingungen einer Mitarbeiterbeteiligung in den USA zu untersuchen. Denn wir hatten dort eine erhebliche Mitarbeiterabwanderung und sahen von hier aus keine Möglichkeit gegenzusteuern.

Was sind bei SAP die häufigsten Konfliktfelder? Und was sind umgekehrt die wichtigsten Punkte für Jobzufriedenheit?
Classen:
Bei Konflikten geht es vielfach um individuelle Problemlösung. Zwistigkeiten zwischen Mitarbeitern und Führungskraft, Mobbing ist öfter ein Thema als früher, es gibt Probleme mit internen Wechseln. Aus der weltweiten Mitarbeiterumfrage von SAP kann man herauslesen: Zentrales Thema ist Identifikation mit und Spaß an der Arbeit. Gehalt oder Stock-Options sind nachrangig. Entscheidend sind Motivation und persönliche Weiterentwicklung innerhalb der Firma.

Koller: Bei der Mitarbeiterzufriedenheits-Umfrage in den USA war der wichtigste Punkt die Leadership des Unternehmens. Ganz vorn an der Spitze der Entwicklung zu stehen, das gibt den Mitarbeitern die Jobsatisfaction.

Wie buchstabiert man Fortbildung bei SAP: Haben die Mitarbeiter ausreichend Zeit, und fördert und fordert sie das Unternehmen?
Classen:
Jeder Vorstand würde sagen: Das machen wir. Wir machen auch viel mit neuen Medien, die weltweit übers Netz eingespielt werden können. Aber in vielen Bereichen fehlt oft die Zeit und die Ruhe, sich im Jahr auch wirklich ein bestimmtes Kontingent an Fortbildungsmaßnahmen zu gönnen. Das muss nicht an der Führungskraft liegen, das sind auch die Mitarbeiter, die unter Dauerstrom stehen. Hier könnte der Vorstand durchaus ein bisschen mehr für Qualifizierung werben.

Es gab bei SAP schon einmal eine weltweite Betriebsversammlung im Netz. Aus welchen Elementen besteht die SAP-Mitwirkungswelt?
Classen:
1994 wurden hier in Walldorf die Mitarbeiter über ihre Interessenvertretungspräferenzen befragt. Ergebnis war, dass offenbar ein Betriebsrat kein Wunschkandidat war. Die meisten haben zu diesem Zeitpunkt noch gesagt, sie können ihre Anliegen selbst vertreten, und ein Großteil bekundete auch, er fühle sich über die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vertreten.

Ganz im Sinne der Vorstände: Unternehmensgründer Dietmar Hopp hat aus seiner Abneigung gegen einen Betriebsrat nie einen Hehl gemacht.
Koller:
Auf der anderen Seite bekommen wir bei ihm einen Termin innerhalb einer Woche, und er nimmt sich Zeit für das Gespräch. Er hat immer ein Grausen vor Formalismen gehabt, die viel zu lange hin und her diskutiert werden müssen und ihn in seiner Entscheidungsfreiheit einengen. Die Frage ist: Wäre ein Betriebsrat bei SAP nicht anders?

Wie müsste ein Betriebsrat agieren, der zu SAP passt?
Classen:
Kooperativ, unkonventionell, schnell und effektiv.

Wie gut ist Ihr formales Informationsnetz als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat?
Koller:
Wir haben monatlich einen Jour fixe mit Claus Heinrich, unserem Arbeitsdirektor, und mit unserem Personalchef; dieser Termin kann fünf Minuten oder mehrere Stunden dauern, je nachdem, was ansteht. Wir haben fünf bis sechs Aufsichtsratssitzungen im Jahr, plus jeweils einer Vorbesprechung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit dem Vorstandssprecher, dem Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Finanz- und dem Personalchef.

Und wie ist Ihr Zugang zu den Entscheidern? Erkennen Sie Ihre Handschrift in den Entscheidungen ausreichend wieder?
Classen:
Wenn ein Kollege in Nöten ist, gehen wir auch direkt an den Vorstand. Dass dieser schnelle Zugang zu den Entscheidungsträgern zu jedem Zeitpunkt möglich ist, das ist entscheidend für unsere Arbeit. Sonst würden wir dies auch nicht machen. Sonst könnten wir den Mitarbeitern nicht sagen: "Wir kümmern uns um eure Angelegenheiten und erreichen etwas für euch." Zum Beispiel greifen wir in den Diskussionen um die Altersteilzeitregelung im Vorfeld steuernd mit ein.

Koller: Es war sicher mit unser Verdienst, dass das Mitarbeiteroptionsprogramm STAR relativ breit angelegt und eben nicht nur auf 150 Führungskräfte weltweit fokussiert ist. Wir fanden, das passt nicht zur SAP-Kultur, zumal wir in der Vergangenheit Wandelschuldverschreibungen für alle hatten. Was wir an Feedback geben, fließt schon ein. Ich kann mir keine konkrete Situation vorstellen, wo wichtige Entscheidungen, die Mitarbeiter betreffen, ohne die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter durchgeboxt werden würden.

Ein Betriebsrat hat Mitwirkungs-, Mitbestimmungs- und Informationsrechte. Sie nicht.
Classen:
Wir müssen sehr viel mehr unsere Augen und Ohren offen halten und dann jeweils unsere Meinung kundtun. Aber für die Personalabteilung ist es mittlerweile ziemlich selbstverständlich, uns einzubeziehen.

Koller: Wir haben keine Rechte für das Tagesgeschäft; nur die vom Gesetz für Aufsichtsräte vorgegebenen Rechte. Der Vorstand sucht sich schon Sparringspartner - nicht nur uns Aufsichtsräte, man lädt auch andere Mitarbeiter ein. Wir haben einmal im Vierteljahr einen Termin bei Herrn Hopp, dem Aufsichtsratsvorsitzenden, wo wir Schwachstellen im Unternehmen diskutieren und aufzeigen, was sich ändert.

Es mag ja den einen oder anderen der Hauptaktionäre interessieren, wie sich das Unternehmen ändert. Bei unserem Vorstand steigt die Erkenntnis, dass sie ein Feedback haben müssen, wie das oder jenes bei den Mitarbeitern ankommt, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Kein Mensch will ja hier einen Aufruhr, wir wollen ja alle vernünftig arbeiten. Unsere Vorstände brauchen letztlich diese Legitimation, die sie in die Lage versetzt, zu sagen: "Wir haben das abgestimmt mit euren Vertretern." So ist die Kultur.

Wo merken Sie am ehesten die Grenzen ihres Mitwirkungsmodells?
Classen:
Mir fehlt manchmal im Unterschied zum normalen Betriebsrat, dass wir nicht als Organ an die SAP-Öffentlichkeit treten können. In manchen Fragen hätte ich mir gewünscht, die Belegschaft zu informieren und unsere Positionen darzustellen.
Koller: Es wurde im Vorfeld mit uns besprochen, dass und wie wir die Entwicklungsabteilungen bei SAP neu strukturieren wollen. Doch wenn es nun an die Umsetzung geht, haben wir keine Möglichkeiten mehr, Einfluss zu nehmen. Hier könnte sich ein Betriebsrat stärker einmischen, könnte mitbestimmend den Prozess begleiten. Zwar ist Helga im Change-Management-Team beteiligt, aber nur mit einer Stimme unter vielen.

Sie tauchen in der betrieblichen Öffentlichkeit wenig auf: Warum ist die Leistung der Arbeitnehmervertreter bei SAP so unterbelichtet? Ist das fair?
Koller:
Das ist so. Es kommt am Ende keine Vereinbarung zustande, bei der zwei Unterschriften drunterstehen. Es steht eine darunter. Ein Vorteil dabei ist, dass wir keine Effekthaschereien - etwa vor Neuwahlen - brauchen. Wir haben immer artikuliert, was wir erreichen wollen. Wir haben uns stets verhandlungsfähig gezeigt, und das hat für mich letztendlich ein ausgewogenes System gegeben. Aber wir sind bisher auch immer bei Sonnenschein gesegelt. Ich weiß nicht, was passiert, wenn es ein bisschen turbulenter wird.

Brauchen Sie auch deshalb keinen Betriebsrat zu realisieren, weil Sie jederzeit einen realisieren könnten? Die Gesetze sind existent, die Institutionen stehen bereit.
Classen:
Ich will nicht verhehlen, dass wir unsere Arbeit auch zum Teil auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes machen. Das steht immer im Hintergrund, und dem Vorstand ist auch klar, welche Rechte dort verankert sind. Wir sind für sie Quasibetriebsräte, sie binden uns ein oder informieren uns oder reagieren auf unsere Anfragen und Wünsche.

Hätten wir das Betriebsverfassungsgesetz nicht letzten Endes als Rückendeckung, dann weiß ich nicht, wie es aussehen würde. Dann könnte unser Vorstand auch sagen: Was wollt ihr eigentlich? Ihr seid Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, ich lese euch mal vor, was eure Rechte und Pflichten sind. Von daher haben wir hier eine Mischung aus diesem formalen Instrument Betriebsrat und aus einem sechsköpfigen gewählten Aufsichtsratsgremium, das offenbar mit Zustimmung der Mitarbeiter bestimmte zusätzliche Aufgaben wahrnimmt.

Koller: Vielleicht kommt als glücklicher Umstand hinzu, dass unser Vorstand fast vollzählig aus ehemaligen SAP-Mitarbeitern besteht. Da oben sitzen Eigengewächse. Man kennt sich, man versteht sich, man ist in einer gemeinsamen Kultur aufgewachsen.

Was halten Sie von der These: Mitbeteiligung schlägt Mitbestimmung! Damit wird suggeriert: Wenn nur reichlich Geld ausgeschüttet wird, dann brauchen wir keine Mitbestimmung mehr.
Koller:
Da würde ich sofort nachfragen: Und wer entscheidet über die Modalitäten der Beteiligung? Teilen wir einfach den Gewinn durch die Anzahl der Mitarbeiter oder der Führungskräfte? Oder wie machen wir es? Finanzielle Beteiligung ist ein Teil, ein wichtiger Teil, von dem, was der Mensch braucht, um sich mit seiner Arbeit identifizieren zu können. Aber es reicht nicht. Das hat die Umfrage unter unseren US-Kollegen gezeigt: Man will sich entfalten in seiner Arbeit, will eine Herausforderung, will etwas vollbringen. Das interessiert Menschen - und nicht nur, jetzt kaufe ich mir dies oder jenes.

Classen: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Jede Firma, der es gut geht, sollte ihre Mitarbeiter beteiligen. Das hat die SAP vorexerziert nach dem Börsengang. Wir haben etliche Millionäre unter den Mitarbeitern. Doch Mitbestimmung und Mitwirkung braucht man ergänzend, weil mit den Aktien keine Stimmberechtigung verbunden ist. Und außerdem - wenn es keine Anlaufstellen innerhalb der Firma gibt, sind die guten Mitarbeiter auch schnell weg.





Zur Person

Helga Classen ist seit 1989, Bernhard Koller seit 1977 bei der SAP - beide in wechselnden und verantwortungsvollen Funktionen. Classen händelte bis vor kurzen als "escalation manager" Kundenprobleme und arbeitet jetzt im Produktmanagement.

Koller, bis dato leitender Angestellter, kennt sehr genau die Pionier- und Aufbauarbeit - auch im Ausland - und kümmert sich aktuell um den Aufbau eines Ideenmanagements.

Beide sind älter als der Belegschaftsdurchschnitt, der bei 33 Jahren liegt, und sie verkörpern so etwas wie das historische Erfahrungswissen und das soziale Gewissen eines reifenden Unternehmens. Beide sind keine Gewerkschaftsmitglieder, aber das Milieu ist ihnen nicht fremd: Koller stammt aus einer IG-Metaller-Familie, Helga Classen war in ihrem früheren Beruf Lehrerin, GEW-Mitglied und Personalratsvorsitzende. Als Helga Classen zu SAP kam, hat sie für den Aufsichtsrat kandidiert, "weil ich wusste, dass hier ein Forum für Mitbestimmun ist, und offenbar das einzige".

 


Umkämpftes Terrain
Die SAP-Chefs stilisieren nach außen gern ihre "eigene Welt ohne Tarifverträge und Betriebsrat" (Dietmar Hopp). Aber auch für viele Beschäftigte sind "Gewerkschaften einfach kein Thema", hat IG-Metaller Birkwald im Kontext der Aufsichtsratswahl 1998 erfahren. Damals hatten vier Gruppierungen Stände aufgebaut und Wahlkampf gemacht- HBV, IG Metall, DAG und die Christliche Gewerkschaft Metall.

Die IG-Metall-Gewerkschafter machten, berichtet Kandidat Dieter Jung, keinen Hehl daraus, dass die nicht von der bei SAP praktizierten Mitmach-Konstruktion halten. Jung: "Unsere Key-Massage war: Macht endlich mal eine Betriebsratsgründung, wir halten es für ein Unding, dass so eine große Firma keinen Betriebsrat hat." Die externen Kandidaten Jung und Birkwald waren dementsprechend "eine ausdrückliche Demonstration für Gewerkschafter im Aufsichtsrat, und für ein Gesetz, das genau dies vorsieht".

Ergebnis: Die beiden externen Sitze im Aufsichtsrat gingen an zwei SAP-beschäftigtte, "die unter der Flagge des christlichen Gewerkschaftsbundes segelten" (Jung), die IG Metall verbuchte mit ihrer eigenen Liste 600 Stimmen bei seinerzeit 6000 Beschäftigten und rund 100 Mitgliedern im Betrieb.

 


Starker Einfluss, schwache Rechtsposition

"Formal haben wir bei SAP-eine schwache, aber inhaltlich haben eine potente Mitbestimmung", einer, der der Tatsache unverdächtig ist, etwas schönzureden. Jens Weidner ist IG-Metall-Mitglied, war zuvor lange Jahre Betriebsrat im wissenschaftlichen Zentrum von IBM Heidelberg und arbeitet seit 1991 Entwickler bei SAP. Für ihn "ist klar, dass die Geschäftsleitung Partner auf der Seite der Arbeitnehmervertreter braucht, sonst würde das Unternehmen nicht die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu Mitbestimmern hochspielen".

Dass diese Aufsichtsratsmitglieder Betriebsratsarbeit mitmachen, gleichwohl keine entsprechende Schutzrechte haben, hält er für gravierend. Denn: "Die Akteure müssen Zweifelsfall auch an die Betriebsöffentlichkeit gehen und, falls nötig, der Konflikt fahren können." Das aber riskiere derzeit keiner, auch wenn es leicht am Ende gar keine negativen Auswirkungen gäbe. "Dadurch ist irr ein Moment persönlicher Verunsicherung gegeben", schätzt Jens Weidner. So gesehen ist der Wunsch der Aufsichtsräte Helga Classen und Bernhard Koller nach einem vertraglich vereinbarten Mitbestimmungsstatut verständlich. (Siehe Interview.)

Auch in der flach hierarchischen und gut dotierten SAP-Arbeitswelt (80 Prozent sind Akademiker/innen) gibt es Konflikte - Frustrationen, Verletzungen, Mobbing -, die nach Moderation, Schlichtung und vor allem konsensualen Lösungen rufen. Da agieren in einem harten Wettbewerbsumfeld egoistische kleine Teamfürsten, da wird ständig umstrukturiert, w bei Chancen für persönlich-berufliche Weiterentwicklung und selbstbestimmtes Arbeiten ständig neu und daher auch ungleich und ungerecht \ teilt werden. Da zerfallen Teams und "geben so denn Einzelnen keine verlässliche Stütze mehr" (Weidner). Da geraten Teilzeitbeschäftigte oder die mit Kindern unter Druck, weil sie überlange und undefinierte Arbeitszeiten nicht akzeptieren können.

Mit ihren derzeitigen Kapazitäten können sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nur um die ganz harten Konflikte wie Kündigungen kümmern. Warum dann aber keinen Betriebsrat? Seit Jahren die gleiche Frage und die gleichen Antworten. Gäbe es eine Krise, gäbe es schnell einen. Oder: "Wenn sich hier ein Wahlgremium bildet, dann entstände bei SAP ruck, Zuck ein Betriebsrat", sagt Weidner. Und zerstreut Illusionen, dass dann alles paletti wäre.

Denn dort, wo bei SAP die Arbeitsbedingungen weitaus schlechter sind und traditionelle Interessenvertretung besonders nötig wäre, reiche das Betriebsverfassungsgesetz nicht hin - in die outgesourcten 600 Leute starken Servicedienste. Zweitens passen Betriebsräte in Stellvertreterpose nicht zu SAP. " Man muss die Beschäftigten selbst zu Akteuren in betrieblichen Konflikten machen, muss ihnen Gelegenheit geben, ihre Interessen selbstständig zu formulieren und zu organisieren", meint Weidner.

 

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