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Magazin Mitbestimmung

: Kurzarbeit plus

Ausgabe 05/2009

QUALIFIZIERUNG Ein Weiterbildungsprogramm der Bundesagentur für Arbeit aus Boom-Zeiten verschafft Arbeitnehmern und Firmen in der Krise Zeitgewinn über die Kurzarbeit hinaus.

Von STEFAN SCHEYTT, Journalist in Rottenburg am Neckar/Foto: ddp-News

Die fragenden Gesichter der Betriebsräte an diesem Morgen sind für Peter Dunkel nichts Neues. Dunkel ist Zentralbereichsleiter beim DGB-eigenen Berufsfortbildungswerk (bfw), und wenn er in diesen Wochen und Monaten Arbeitnehmervertretern und Personalchefs das Sonderprogramm WeGebAU der Bundesagentur für Arbeit (BA) erläutert, geht es ihm oft so wie an diesem Apriltag in Darmstadt bei einer Fachtagung der IG BCE für Betriebsräte: "Manche haben noch nie etwas von WeGebAU gehört", sagt Dunkel, "andere kennen zwar den Namen, aber kaum ein Detail." Während über Kurzarbeiter und deren Qualifizierung fast täglich in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen berichtet wird, ist WeGebAU allenfalls ein Thema für Experten. Dabei lohnt es sich, besser Bescheid zu wissen.

GEÖFFNETES SCHEUNENTOR_ Kurioserweise ist WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) ein Kind des Booms: Um dem Facharbeitermangel zu begegnen, stehen im Haushalt der Bundesagentur seit 2006 jährlich 200 Millionen Euro bereit, mit denen gering qualifizierte und ältere Arbeitnehmer weitergebildet werden sollen. Doch so lange der Konjunkturmotor brummte, war für viele Unternehmen Weiterbildung kein Thema, schon gar nicht für die Gruppe der Angelernten und Älteren: 2006 und 2008 wurden nur jeweils rund 170 der bereitgestellten 200 Millionen Euro abgerufen, 2007 sogar nur 61 Millionen Euro. Im Rahmen des Konjunkturprogramms II ist WeGebAU jetzt sogar noch erweitert worden: Für 2009 und 2010 sind jeweils 400 Millionen Euro avisiert und der Kreis der Begünstigten wurde vergrößert; profitieren können davon jetzt auch ältere Fachkräfte und Beschäftigte, deren Berufsabschluss mindestens vier Jahre zurückliegt und die seither an keiner öffentlich geförderten beruflichen Weiterbildung teilgenommen haben; außerdem wurde die bislang geltende Förderbedingung - nur in Betrieben mit weniger als 250 Mitarbeitern - aufgehoben. "Das Scheunentor steht offen", sagt Weiterbildungsexperte Peter Dunkel.

Auch wenn die Ursache in der Finanz- und Wirtschaftskrise liegt: "WeGebAU ist eine Riesenchance für viele Beschäftigte, jetzt einen Berufsabschluss nachzuholen oder die berufliche Kompetenz durch eine Teilqualifizierung zu verbessern - und damit auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Falle einer späteren Entlassung", meint Peter Dunkel. Das gilt umso mehr, als diese Beschäftigtengruppe in der Personalentwicklung vieler Betriebe in der Vergangenheit kaum eine Rolle gespielt hat; in kleineren Firmen gibt es oftmals gar keine Personalentwickler, die den Qualifizierungsbedarf ihrer Kollegen systematisch erfassen und in Weiterbildungsmaßnahmen umsetzen. Und wo es Personalentwickler gibt, herrscht oft die Meinung vor, Weiterbildung sei nur eine Sache für Führungskräfte. "Hier sind auch die Betriebsräte gefragt, den Unternehmensleitungen klarzumachen, dass davon auch die unteren Lohngruppen profitieren müssen", meint Dunkel.

BESSER GESTELLT ALS KURZARBEITER_ Selten wurden die Arbeitgeber so eingeladen, auf Kosten der Bundesagentur ihre Belegschaft trotz einbrechender Auftragslage zu halten und gleichzeitig zu qualifizieren. Denn die BA übernimmt nicht nur die vollen Kosten der Weiterbildung und bezuschusst Fahrt- und Kinderbetreuungskosten. Die Agentur beteiligt sich auch mit 50 bis 100 Prozent am Bruttoentgelt der Arbeitnehmer; die Höhe liegt zwar im Ermessensspielraum der jeweils zuständigen Arbeitsagentur, aber Zuschüsse von 90 oder 100 Prozent sind keine Seltenheit. WeGebAU-Begünstigte erhalten damit oft mehr als Empfänger von Kurzarbeitergeld.

Das Wort vom "Parken" von Arbeitnehmern in Maßnahmen mag Peter Dunkel deshalb gar nicht. "Solche Programme haben einen Wert für den einzelnen Mitarbeiter und für das Unternehmen. Das ist präventive Arbeitsmarktpolitik für eine Gruppe von Beschäftigten, die in Krisenzeiten wie diesen sehr stark von Entlassungen bedroht sind." Zwar genießen WeGebAU-Teilnehmer keinen ausgesprochenen Kündigungsschutz, dennoch sind sie für die Dauer der Weiterbildung, die bis zu 24 Monaten betragen kann, relativ sicher vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Man kann es auch so formulieren: Gemeinsam gewinnen Arbeitnehmer und Firma Zeit in der Krise.

Wie beim Automobilzulieferer SchmitterChassis im münsterländischen Drensteinfurt, wo knapp die Hälfte der 65 Beschäftigten entlassen werden sollte. Doch die IG-Metall-Bevollmächtigte Beate Kautzmann verweigerte ihre Zustimmung, was sie aufgrund eines Sanierungstarifvertrags konnte, der betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Kautzmann stellte sich aber nicht einfach nur quer, sondern erklärte dem verblüfften Geschäftsführer des Unternehmens: "Ich nehmen Ihnen die Beschäftigten ab!" Jetzt lernen 22 Arbeitnehmer bei SchmitterChassis dank WeGebAU Schweißen und Zerspanen. Kurzarbeit und Fortbildung statt Jobabbau in der Krise gilt auch bei der Firma Westfalenstahl in Wickede, Weltmarktführer in ihrem Segment, die wegen drastischer Auftragseinbrüche von bis zu 40 Prozent schon Beschäftigte entlassen wollte. Etwa die Hälfte der rund 450 Mitarbeiter sind jetzt in Kurzarbeit, 63 weitere werden über WeGebAU zum Verfahrensmechaniker, Industriemechaniker und zur Fachkraft Lagerlogistik ausgebildet, andere machen den Schweißer-Schein.

BETRIEBSRAT ALS JOBRETTER_ "Schlauer Betriebsrat rettet zehn Jobs", schrieb die "metallzeitung" über Ralf Meier, den Betriebsratsvorsitzenden bei den Fränkischen Rohrwerken am Standort Bückenburg. Vor zwei Jahren wollte der Hersteller von Drainagerohren den kleinsten von drei Standorten mit 65 Beschäftigten schließen, "jahrelang hatte man unsere Forderung nach Investitionen und Qualifizierung ignoriert", sagt Betriebsrat Meier. Die Investitionen werden schließlich doch noch beschlossen, bis Ende dieses Jahres sollen es 2,5 Millionen Euro ein. Doch die damit einhergehende Automatisierung nimmt zehn Beschäftigten ihre Arbeit. Sieben Mitarbeiter nutzen die Altersteilzeit. Wenn sie gehen, machen sie Platz für jene zwölf, die sich jetzt mit WeGebAU 21 und 24 Monate lang qualifizieren.

Seit 2006 hat Peter Dunkels bfw mehr als 200 Qualifizierungsprojekte mit WeGebAU umgesetzt. Anfangen hatte es mit Firmen, die qualifiziertere Mitarbeiter für ein wachsendes Auftragsvolumen brauchten. Heute sind es Unternehmen, die mehr Mitarbeiter haben, als die Auftragslage hergibt. Zuerst waren es Automobilzulieferer wie ZF Friedrichshafen oder Kolbenschmidt Pierburg, mit zunehmender Dauer der Krise wird der Branchenmix immer breiter. Zu den bfw-Kunden gehört inzwischen auch der Glühbirnenhersteller Osram und bald auch eine Firma für Dachsysteme und eine Aluminiumhütte. Nach der Fachtagung mit den IG-BCE-Betriebsräten in Darmstadt könnten demnächst auch Chemie- und Papierunternehmen zum Kundenkreis zählen. Am Tag nach dem Treffen hat Peter Dunkel einen Termin bei einer Hotelkette, deren Mitarbeiter, darunter viele Angelernte, immer weniger ausgelastet sind. Gut möglich, dass sich bald einige von ihnen mit WeGebAU weiterbilden.


Mehr Informationen

Förderkonditionen des Sonderprogramms WeGebAU unter www.arbeitsagentur.de

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