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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Bedrohliche Vermögenskonzentration

Ausgabe 13/2014

Um reicher zu werden, empfiehlt es sich, reich zu sein. Arbeitseinkommen sind für die Vermögensverteilung dagegen unwichtiger geworden.

Wer hat, dem wird gegeben: Dass die Reichen weltweit immer größere Vermögen anhäufen, hat der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty in seinem Buch „Capital in the 21st century“ minutiös dokumentiert. Anhand von Pikettys Daten lässt sich der Aufstieg und Fall der Mittelstandsgesellschaft auch für das Beispiel Deutschland nachzeichnen.

Pikettys Studie zufolge hatte sich das Vermögen der Deutschen 1950 durch Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Inflation im Vergleich zu 1910 mehr als halbiert. Der Gesamtwert der Erbschaften lag 1910 bei 16 Prozent der Einkommen, 1960 waren es nur noch 2 Prozent. Die Nachkriegsgeneration sei daher ganz überwiegend gezwungen gewesen, sich ihr Vermögen selbst zu erarbeiten, schreibt der Wissenschaftler. Zugleich sei es zu erheblichen Änderungen in der Steuerpolitik gekommen: Auf Druck der Besatzungsmacht USA wurden Einkommen zwischen 1946 und 1948 mit bis zu 90 Prozent besteuert, Erbschaften mit bis zu 60 Prozent. Danach sanken die Steuersätze zwar, lagen allerdings nach wie vor deutlich über dem Vorkriegsniveau.

Zusammen mit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit hätten die erhöhten Spitzensteuersätze und die bescheidenen Erbschaften steigende Einkommen bei größerer Gleichheit ermöglicht, so Piketty. So sei die moderne Mittelschicht entstanden. Arbeit habe sich mehr als je zuvor gelohnt, erben immer weniger – zumindest bis in die 1970er-Jahre. Damals begann die Nachkriegsgeneration, ihren Kindern das ersparte Vermögen zu hinterlassen, ab 1980 stieg der Wert der Erbschaften wieder deutlich an. Mit 11 Prozent war der Anteil der vererbten Vermögen an den Einkommen 2010 in Deutschland höher als in Großbritannien.

An sich müssten höhere Erbschaften kein Problem sein, stellt der Ökonom fest: Wären die Vermögen einigermaßen gleichmäßig verteilt, so wären das auch die Erbschaften. Tatsächlich ist die Vermögensverteilung allerdings um einiges ungleicher als die Einkommensverteilung: IMK-Forscher Fabian Lindner* zufolge bezieht das reichste Prozent der Deutschen etwa 11 Prozent aller Einkünfte, besitzt aber knapp 30 Prozent des privaten Vermögens. Deutschland weise damit laut Schätzungen der Europäischen Zentralbank die höchste Vermögensungleichheit im Euroraum auf. Nach Pikettys Analyse sorgen Erbrecht und Zinseszins dafür, dass diese Kluft immer weiter wächst. Das heißt: Die leistungslosen Einkommen steigen, der Wert der Arbeit schwindet. Die große Konzentration des Reichtums in den Händen weniger stelle die Mittelstandsgesellschaft infrage und beeinträchtige damit die fundamentale Basis der westlichen Demokratien, warnt der Wissenschaftler.

Lindner hält angesichts dieser Befunde einen Kurswechsel in der Steuerpolitik für dringend geboten: Dass es in Deutschland keine Vermögensteuer gebe und Kapitalerträge pauschal mit 25 Prozent besteuert würden, passe nicht in eine Zeit, in der immer mehr Menschen ohne eigene Leistungen große Erbschaften antreten. Ein erster wichtiger Schritt bestünde darin, im größten Land der EU die Vermögenden wieder in die Pflicht zu nehmen: „Das würde verhindern, dass einige wenige immer mehr und am Ende fast alles haben.“

  • Zwischen 1946 und 1948 wurden Erbschaften mit bis zu 60 Prozent besteuert. Zur Grafik
  • Mittlerweile übersteigt der Anteil der Vermögen am Volkseinkommen wieder 400 Prozent. Zur Grafik

Fabian Lindner leitet das Referat Allgemeine Wirtschaftspolitik im IMK.

Fabian Lindner: Das Ende der Mittelstandsgesellschaft, Über Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert"

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