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Magazin Mitbestimmung

Arbeitsgestaltung: Achtung Selbstgefährdung!

Ausgabe 12/2013

Ergebnisorientierte Arbeitssysteme setzen darauf, dass die Arbeitnehmer ihre Leistungsziele verinnerlichen. Die Folge: Sie unterlaufen freiwillig Regeln zum Gesundheitsschutz und versäumen es, Arbeitsbedingungen solidarisch zu gestalten. Von Elke Ahlers, Leiterin des Referates Qualität der Arbeit am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung

Mobile und digitale Arbeit kann attraktiv und herausfordernd sein. Viele verbinden damit Kreativität, Freiheit und das Gefühl, in der modernen Arbeitswelt angekommen zu sein. Aber diese Arbeit verlangt Flexibilität und hohe Eigenverantwortung – sowohl für das Arbeitsergebnis als auch für die Selbstsorge. Empirische Studien zeigen, dass flexible und selbst organisierte Arbeit mit hohen psychischen Belastungen einhergeht, die bisher kaum regulierbar sind. Doch einfache Lösungen, diese Belastungen abzustellen, gibt es nicht. Betriebsräte und andere Personen, die für den Gesundheitsschutz im Betrieb verantwortlich sind, agieren in einem Spannungsfeld zwischen gestaltbaren und nicht mehr gestaltbaren Arbeitsbedingungen. Damit stecken sie in einem Dilemma.

Es ist schwierig, Arbeitsbedingungen zu regulieren, die mit flexibler und selbst organisierter Arbeit in Verbindung stehen, wie Betriebsrätebefragungen verdeutlichen. Häufig arbeiten diese Beschäftigten unter hohem Druck. Zwar fallen solche Unternehmen, in denen flexibel und selbst organisiert gearbeitet wird, mit engagierten Programmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung auf. Allerdings erreichen sie nur selten jene Personen, die es am nötigsten hätten. Denn gerade die belasteten Personen sehen bisweilen Kurse zur Entspannung oder Stressbewältigun als lästig an, weil diese sie daran hindern, ihren hohen Arbeitsanfall zu bewältigen.

Viele solcher Angebote verharren zudem auf der Ebene individueller Bewältigungsstrategien. Die für den Arbeitgeber verpflichtenden Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes werden dagegen nach wie vor kaum durchgeführt, obwohl der Problemdruck in vielen Unternehmen mittlerweile sehr hoch ist.

Auch die betriebliche Interessenvertretung stößt an ihre Grenzen. Bei Umfragen verweist ein erheblicher Teil der Betriebsräte darauf, dass Beschäftigte in neuen Branchen und Arbeitszusammenhängen deutlich häufiger als in traditionellen Betrieben freiwillig Regelungen zum Schutz ihrer Gesundheit unterlaufen. Denn sie stehen oft in einem Zielkonflikt: Einerseits sollen sie das hohe Arbeitsvolumen bewältigen, für das sie sich aufgrund vereinbarter Leistungsziele selbst verantwortlich fühlen. Andererseits sollen sie auf ihre Gesundheit achten. Das Phänomen, dass Beschäftigte sozusagen aus eigenem Interesse gegen Schutzregelungen verstoßen und keine ausreichenden Ruhephasen einhalten, wird in der Fachwelt als „interessierte Selbstgefährdung“ diskutiert.

Warum unterwerfen sich viele Beschäftigte diesen entgrenzten Arbeitsanforderungen, und warum fällt es ihnen so schwer, ausreichend auf ihre Gesundheit zu achten? Ist es das Bedürfnis nach Anerkennung in der Arbeit? Tatsächlich wird in modernen, posttayloristischen Arbeitssystemen Anerkennung eher über messbare Arbeitsergebnisse, letztlich über Umsätze und Gewinne ausgelöst als über das Befolgen von Weisungen, wie es noch in tayloristischen Systemen der Fall war. Folglich arbeiten die Beschäftigten mehr, um den unternehmerischen und individuellen Zielen gerecht werden zu können und um sichtbare Erfolge nachweisen zu können. Weil viele Beschäftigte ihre Leistungsziele im Rahmen von Mitarbeiter- und Zielgesprächen selbst mitgesteckt haben, machen sie sich das Unternehmensziel als Arbeitsaufgabe zu eigen.

Im Falle des Scheiterns oder der Einsicht, dass die Arbeitsmenge kaum zu bewältigen ist, richten solche Beschäftigte die Aggression eher gegen sich selbst als gegen andere. Es kommt zu einer inneren Zerrissenheit ohne „Feindbild“, an dem sich zu reiben wäre, wie dem Arbeitgeber oder dem Kunden. Viele Beschäftigte tragen den Konflikt mit sich selbst aus. Mit dieser Sachzwanglogik aber geht die Einsicht verloren, dass man die Strukturen am Arbeitsplatz auch gestalten und ändern kann. Ein weiteres Hemmnis in der Regulierung von Arbeitsbedingungen liegt in der zunehmenden Vereinzelung der Beschäftigten, die durch die höhere Mobilität in der Arbeit begünstigt wird. Aber auch im Team wird der Arbeitsdruck aufgrund des hohen Leistungsdrucks gerne an andere weitergegeben. Die Solidarität und Kollegialität in den Belegschaften wird dadurch erheblich erschwert.´

Was ist aber nun zu tun, um digitale und selbst organisierte Arbeit besser regulieren zu können? Denkbar wäre, über die Betriebsratsarbeit betriebliche Sensibili­sierungsprozesse zu den Themen Arbeit, Leistung und Gesundheit anzustoßen, um die Beschäftigten aus ihrer Vereinzelung herauszuholen. Auch könnten übertriebene Leistungsforderungen von Unternehmen mit dem tatsächlich nötigen Ressourcen- und Zeitaufwand der Beschäftigten in Zusammenhang gebracht werden. Gewerkschaften und Betriebsräte sollten Defizite bei der Personalstärke oder bei den Ressourcen einzelner Beschäftigter thematisieren. Dadurch ließen sich auch die Interessen der betroffenen Beschäftigten besser vertreten.

Ein großes ungenutztes Potenzial bergen die Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen. Bei dieser Aufgabe fühlt sich jedoch ein Großteil der Akteure im Arbeits- und Gesundheitsschutz überfordert. Hier wären Hilfestellungen und Schulungen notwendig. Nicht zuletzt hat das Führungsverhalten einen großen Einfluss auf gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, wobei Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen hilfreich sein können. Im Idealfall sind aber die Beschäftigten selbst gestaltende Akteure von Arbeit und Leistung. Nur sie können beurteilen, ob die vorgegebenen Leistungsziele tatsächlich leistbar sind. Dazu müssen aber die Beschäftigten stärker in die Arbeitsgestaltung und den Gesundheitsschutz einbezogen werden.

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