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Magazin Mitbestimmung

Initiativen: Immer und überall

Ausgabe 12/2013

Smartphones und Tablets sind das Rückgrat mobiler Arbeit. Regeln für den Firmeneinsatz fehlen, die Ergonomie ist zuweilen grenzwertig. Betriebsräte, die den Einsatz regeln wollen, plagen sich mit unterschiedlichen Vorstellungen von Jung und Alt. Von Marc von Lüpke

Um 20 Uhr, zur besten „Tagesschau“-Sendezeit, schaltet Felix Schell* sein Diensthandy ein. „Nur drei E-Mails, richtig kulant“, meint der Ingenieur, der seinen wirklichen Namen nicht gedruckt wissen möchte. Schell, der für einen Hamburger Energiedienstleister arbeitet, hat das Smartphone von seinem Arbeitgeber erhalten. „Das ist das Problem: Man schaut einfach rein“, meint Schell. „Das Smartphone erzeugt eine zwanghafte Verfügbarkeit.“ Wie Schell geht es vielen. Fast jeder zweite Beschäftigte hat heute eine Absprache mit seinem Arbeitgeber, auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein – so der Fehlzeitenreport 2012 der AOK. Laut dem Branchenverband Bitkom greift fast jeder dritte Beschäftigte mobil auf die Informationstechnologie seines Arbeitgebers zu. Notebooks, Tablet-Computer und handliche Smartphones machen die mobile Arbeit so leicht wie nie.

Im Zug, am Flughafen, beim Kunden vor Ort und zu Hause: Überall ermöglichen mobile Endgeräte die Arbeit von unterwegs. Während früher nur bestimmte Berufsgruppen wie Vertriebsmitarbeiter oder Monteure unterwegs gearbeitet haben, lösen sich jetzt in vielen Branchen die räumlichen und zeitlichen Grenzen der Arbeit auf. Diese Entgrenzung geschieht nicht immer gegen den Willen der Arbeitnehmer. Durch die mobile Arbeit gewinnen sie, sofern faire Absprachen möglich sind, auch ein neues Maß an Freiheit und Flexibilität, die dazu dienen könnte, Privates und Berufliches besser zu vereinbaren als in den starren Arbeitsregimes der Vergangenheit. Sogenannte Telearbeitsplätze waren der Vorreiter dieser Entwicklung. Einen oder mehrere Tage pro Woche arbeiten Beschäftigte in diesem Arbeitsmodell zu Hause. Laut einer „Spiegel“-Umfrage nutzt nahezu jede dritte Firma dieses Arbeitsmodell.

Doch zusätzlich statten immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter mit Smartphones und Tablets aus. Wer sich entzieht, gilt schnell als Leistungsverweigerer. Mobilität seitens der Belegschaft wird geradezu erwartet. Doch viele der Geräte, die heute ausgegeben werden, sind vorrangig für den privaten Konsum entwickelt worden – betriebliche Regelungen zur mobilen Arbeit und zur Nutzung der mobilen Endgeräte stehen größtenteils noch aus. Der technische Wandel ist dem kulturellen Wandel davongelaufen. „Wir haben in den letzten Jahren eine so dramatische Veränderung erlebt, dass die Akteure im Betrieb erst darauf reagieren müssen“, meint der Rechtsanwalt Achim Thannheiser, der Betriebsräte berät.

MOBILE ARBEIT IST NOCH KAUM GEREGELT

Während Arbeitgeber die private Nutzung der dienstlichen Geräte fast durchweg dulden, machen sich anderswo fehlende Regeln bemerkbar. In Felix Schells Unternehmen beispielsweise existiert keine Betriebsvereinbarung zur Regelung der mobilen Arbeit. Der Ingenieur hat am Beispiel von Kollegen erlebt, was passieren kann, wenn Mitarbeiter durch viele Dienstreisen und ständige Erreichbarkeit per Smartphone und Tablet kaum Erholungsphasen haben: „Irgendwann halten die das nicht mehr durch.“ Der gewonnenen Flexibilität stehen steigender Stress und eine Entgrenzung von Arbeit und Privatleben entgegen. Längst ist das Thema bei den Arbeitnehmervertretungen angekommen.

„Die Betriebsräte merken, dass es Regelungsbedarf gibt. Beschäftigte klagen über Belastungen wie Stress, weil sie permanent unterwegs sind“, bestätigt Soziologin Gerlinde Vogl, die seit Jahren zu diesem Thema forscht. Das Hauptproblem ist die stetige Erreichbarkeit. Laut dem DGB-Index „Gute Arbeit“ 2011 müssen 27 Prozent der Beschäftigten „sehr häufig oder oft auch außerhalb ihrer Arbeitszeit für betriebliche Belange erreichbar sein“. Die Betriebsräte haben beim Einsatz mobiler Endgeräte ein Wort mitzureden: Er unterliegt der Mitbestimmung. Bei der Regelung der mobilen Arbeit machen die Betriebsräte aber eine neue Erfahrung – jedenfalls dann, wenn sie die Nutzung zeitlich einschränken wollen. Oft müssen sie dann nicht nur gegenüber der Unternehmensleitung argumentieren, auch viele Beschäftigte sehen Einschränkungen der mobilen Arbeit höchst kritisch.

Manuela Maschke, die bei der Hans-Böckler-Stiftung systematisch Betriebs- und Dienstvereinbarungen sammelt und analysiert, kennt die Problematik: „Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit sind ein schwieriger Aushandlungsprozess. Gerade, wenn dadurch auch individuelle Freiheiten eingeschränkt werden.“ Aus den Betrieben hört man Ähnliches. „Es gäbe einen Aufschrei, wenn wir eine zeitliche Begrenzung für die mobile Arbeit einführen würden“, meint Rainer Burckhardt, Betriebsrat beim Darmstädter Unternehmen Software AG. „Viele Beschäftigte empfinden die Flexibilität als Vorteil.“ Daher plädiert der Betriebsrat für freiwillige Erreichbarkeit statt einer generellen Begrenzung.

Bei der Nutzung mobiler Technik zeichnet sich zudem ein Generationenkonflikt ab: Während jüngere Beschäftigte die Entgrenzung zuweilen lustvoll praktizieren, würden ältere Beschäftigte eine Einschränkung wohl mehrheitlich begrüßen. Sie hätten lieber wieder „eine Stechuhr als diese Entgrenzung“, schildert Rainer Burckhardt die Stimmung. Dass Regelungen der mobilen Arbeit gerade bei internetaffinen Mitarbeitern eine heikle Angelegenheit sind, weiß auch Jörg Spies, Betriebsratsvorsitzender der Stuttgarter Zentrale der Daimler AG: „Es gibt mit ihnen schwierige Diskussionen in der Frage, ob sie sich einschränken lassen.“ Mit starren Regelungen, so viel ist sicher, entfacht man wenig Begeisterung. Mehr Erfolg versprechen Lösungen, die individuell konfigurierbar, aber vom Betriebsrat abgesegnet sind.

SORGE UM AUSUFERNDE ARBEITSZEITEN

Während viele Firmen die mobilen Geräte verwenden, um die Erreichbarkeit der Mitarbeiter auch auf Dienstreisen und in die Freizeit auszudehnen, werden anderswo die Büros gleich ganz abgeschafft. „Feste Arbeitsplätze sind bei uns die Ausnahme“, meint Gisela Michels, Betriebsrätin bei IBM in Düsseldorf. Die Mitarbeiter arbeiten vor allem beim Kunden. Wenn sie in die Betriebsstätte kommen, heißt die Devise: Desk-Sharing. Es gibt weniger Schreibtische als Mitarbeiter – und wer ins Büro kommt, muss sich einen freien Platz suchen. So spart das Unternehmen Geld für Büroraum. Die mobile Arbeit sieht Gisela Michels kritisch: „Das bedeutet die totale Entgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit.“ Für Betriebsräte ist das Problem schwer zu fassen. Denn wie viel wirklich mobil gearbeitet wird, lässt sich derzeit nur schwer dokumentieren.

Daher wird bei IBM in Düsseldorf gerade mit der Unternehmensleitung über feste Regeln verhandelt. Der Betriebsrat hat eine wichtige Forderung: eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung, inklusive der Arbeitszeit an den mobilen Geräten. Technisch wäre das relativ einfach zu realisieren. Die Arbeitnehmervertreter sehen eine solche Erfassung als Grundlage an, um überhaupt ihrer Kontrollpflicht nachkommen zu können. Das gleiche Problem der fehlenden Kontrollierbarkeit der Arbeitszeiten stellt sich bei Hewlett Packard in Böblingen. Die Vertrauensarbeitszeit sei für den Betriebsrat nicht erfassbar, sagt Betriebsrätin Annette­ Maier, die mit Sorge auf die ausufernden Arbeitszeiten blickt.

Eines der Unternehmen, das bereits über ein Modell gegen ausufernde Arbeitszeiten verfügt, ist die Volkswagen AG. Seit 2011 herrscht zwischen 18.15 Uhr am Abend und 7 Uhr morgens Funkstille in den E-Mail-Posteingängen vieler betrieblicher Smartphones. Der Betriebsrat setzte in einer Betriebsvereinbarung einen nächtlichen E-Mail-Stopp für die über 3000 Tarifangestellten durch, die ein dienstliches Smartphone besitzen – eine winzige Minderheit der weltweit 550 000 Mitarbeiter. Der Server leitet in dieser Zeit für sie eingehende E-Mails nicht auf die Smartphones weiter. Angerufen werden können die Mitarbeiter gleichwohl dennoch. Einen anderen Weg geht die Firma Daimler. Die Mitarbeiter können während ihres Urlaubs in ihrem E-Mail-Programm einen Abwesenheitsagenten aktivieren. Eingehende E-Mails wandern dann in den Papierkorb, der Sender erhält einen Hinweis auf die Urlaubsvertretung. Allerdings ist es dem Einzelnen überlassen, ob er den Papierkorb aktiviert.

UNTAUGLICHE GERÄTE GEFÄHRDEN DIE GESUNDHEIT

Weniger Beachtung finden die oft gewöhnungsbedürftigen Ergonomie-Standards der mobilen Endgeräte. Während die Geräte für die Eingabe von Daten (Tastatur) und die Ausgabe (Bildschirm) früher getrennt waren, fusionieren sie beim Tablett zu einer gläsernen Oberfläche. Die Folge ist ein ständiger ergonomischer Kompromiss. Besonders ärgerlich stoßen Fachleuten die hochglänzenden Oberflächen auf. „Viele Geräte sind überhaupt nicht für den Einsatz unter freiem Himmel geeignet“, erklärt Michael Bretschneider-Hagemes vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) in Sankt Augustin bei Bonn, das Unternehmen auch in Fragen der mobilen IT-gestützten Arbeit berät. Bei Wind und Wetter begleitete Michael Bretschneider-Hagemes Servicetechniker während ihrer Arbeit unter freiem Himmel. „Versuchen Sie mal, bei strahlendem Sonnenschein einen Schaltplan auf der spiegelnden Oberfläche eines Tablets zu lesen“, meint der Experte. Die bisherigen Arbeitsschutzmaßnahmen sind in der Regel auf stationäre Geräte zugeschnitten.

Gerade die kleine Bauform der mobilen Geräte, die ihr großer Vorteil ist, kann problematisch sein. „Sie kennen es selbst“, meint Michael Bretschneider-­Hagemes: „Das Smartphone hat vier oder fünf Zoll, beim Tablet sind es dann sieben oder zehn Zoll. Erst ab dieser Bildschirmgröße kommt man langsam in tolerierbare Bereiche.“ Tablets, auch leichte Modelle von rund 700 Gramm, führen zu einer Belastung des Handgelenks, wenn sie länger in der Hand gehalten werden. Mit Blick auf die Folgen sieht Bretschneider-Hagemes den Einsatz der neuen Arbeitshilfen daher auch kritisch: „Schon unsere erste Studie, bei der auch Tablet-Nutzer dabei waren, hat eine signifikante Menge an Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Sehnenscheidenentzündungen und Schmerzen im Handgelenk gezeigt.“ IFA-Experte Bretschneider-Hagemes könnte sich auch vorstellen, die Mitarbeiter bei der Auswahl ihrer persönlichen Geräte mitbestimmen zu lassen: „Dann würden untaugliche Geräte schnell aussortiert.“ Doch auch dafür brauchte man wohl Verabredungen. Denn eine Firma voller Mitarbeiter, die sich alle Geräte und die Software selbst aussuchen oder gleich private Geräte dienstlich nutzen, wäre der Horror für jeden Systemadministrator.

GEFAHREN FÜR DIE PSYCHE

Aber auch Folgen für die Konzentrationsfähigkeit und das soziale Gefüge der Betriebe sehen die Forscher des IFA. Durch die ständige Erreichbarkeit per Smartphone und Tablet steigen der Stress und die Hetze während der Arbeitszeit. Während beispielsweise gerade eine Maschine repariert wird, klingelt das Smartphone, oder das Tablet summt. Neue E-Mails verhindern, dass konzentriert gearbeitet wird. „Ich weise die Unternehmen immer wieder darauf hin, dass die ständige Erreichbarkeit der Mitarbeiter durch die mobilen Kommunikationsmittel zu einer Beeinträchtigung der eigentlichen Tätigkeit führen kann. Informationsmanagement heißt hier die Lösung“, meint Michael Bretschneider-Hagemes. Es geht auch darum nachzudenken, wen man wann mit welchen Informationen versorgt und wen man wann in Ruhe lassen muss. Noch eine weitere Gefahr zeichnet sich durch die mobile Arbeit ab: soziale Isolation. Besonders bei Servicetechnikern lässt sich dieser Trend beobachten. Sie erledigen mobil ihre Arbeit, fahren von zu Hause los, kehren dorthin zurück, ohne einen Kollegen oder Vorgesetzten gesehen zu haben. „Die gesamte Kommunikation läuft über mobile Endgeräte – noch nicht einmal über E-Mails, sondern über vorgefertigte Masken“, berichtet Michael Bretschneider-Hagemes. Erfahrungswissen, das bei der Arbeit entsteht, wandert dann unter Umständen nicht mehr in den Kopf, sondern gleich in die IT-Infrastruktur des Arbeitgebers, wo es allen zur Verfügung steht.

FREIRÄUME GESTALTEN, GRENZEN SETZEN

„Wichtig ist es, den Arbeitgeber auch bei der mobilen Arbeit an seine ureigene Aufgabe zu erinnern: Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Mitarbeiter und das Arbeitszeitgesetz zu beachten“, erklärt Manuela Maschke von der Hans-Böckler-Stiftung. Viele ältere Vereinbarungen in den Betrieben müssten jetzt dringend ergänzt werden. „Es geht darum, nicht mehr für die Beschäftigten, sondern mit ihnen Lösungen zu finden“, meint die Soziologin Gerlinde Vogl. Die Gewerkschaftsspitzen drängen allerdings auch hier auf Gesetze. Keine Nachrichten nach Feierabend, das forderte kürzlich der neue IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Er erklärte, es müssten gesetzliche Regelungen her, die den SMS- und E-Mail-Verkehr nach Feierabend und an Wochenenden unterbinden: „Die Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar sind.“

* Name von der Redaktion geändert

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