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HBS Böckler Impuls

Tarifrecht: Leichter zum allgemeinverbindlichen Tarif

Ausgabe 20/2013

Ein gesetzlicher Mindestlohn soll das deutsche Lohngefüge nach unten absichern. Um das Tarifsystem insgesamt zu stabilisieren, wäre außerdem eine Reform der Allgemeinverbindlich­erklärung von Tarifverträgen nötig.

Zum Thema Tarifautonomie enthält der Koalitionsvertrag von Union und SPD erstaunlich viel: „Die tariflich vereinbarten Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz haben sich bewährt“, heißt es da. "Deshalb werden wir den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über die bereits dort genannten Branchen hinaus für alle Branchen öffnen."

Diesen und weitere Vorschläge machen auch Thorsten Schulten und Reinhard Bispinck vom WSI. Den Tarifexperten ist dabei eine Reform der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz besonders wichtig. Denn bei Teilen der deutschen Unternehmen, aber auch bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände seien die Unterstützung und Akzeptanz von Tarifverträgen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Wurden Anfang der 1990er-Jahre noch rund 400 Branchentarifverträge allgemeinverbindlich erklärt, so waren es Anfang dieses Jahres nur noch 239.

Bislang müssen für eine Ausweitung der Tarifbestimmungen auf alle Beschäftigten einer Branche die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Der Koalitionsvertrag knüpft die Allgemeinverbindlicherklärung nun nicht mehr zwingend an das 50-Prozent-Kriterium. "Ein richtiger Schritt", kommentieren Bispinck und Schulten. Nach ihrer Analyse ist die 50-Prozent-Hürde sogar ganz entbehrlich.

Auch eine Neubestimmung der Rolle des Tarifausschusses halten die beiden für geboten. Dieser besteht aus jeweils drei Vertretern der Spitzenorganisationen von Arbeitgebern und Gewerkschaften und muss einer Allgemeinverbindlicherklärung mehrheitlich zustimmen. "Beide Gruppen haben damit de facto jeweils eine Veto-Macht, die bislang vor allem den Arbeitgebern bei der Abwehr von Anträgen auf Allgemeinverbindlichkeit zugutekommt", erläutern die WSI-Forscher. Dies gelte es abzuschaffen. Eine Möglichkeit wäre, den Ausschuss um Vertreter der Tarifvertragsparteien aus den jeweils betroffenen Branchen zu ergänzen. Auch könnte der Ausschuss eine Ausweitung des Tarifvertrags nur noch dann ablehnen dürfen, wenn sich eine Mehrheit dagegen ausspricht. Bisher reicht die Stimmengleichheit.

  • Bei Teilen der deutschen Unternehmen sind Unterstützung und Akzeptanz von Tarifverträgen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Zur Grafik

Thorsten Schulten, Reinhard Bispinck: Stabileres Tarifvertrags­system durch Stärkung der Allgemeinverbindlicherklärung?, in: Wirtschaftsdienst 11/2013.

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