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Magazin Mitbestimmung

Von ANNETTE JENSEN: Flughäfen: Bessere Löhne für das Bodenpersonal

Ausgabe 10/2017

Thema Weil das Tarifsystem erodiert, nehmen die Lohnunterschiede zu. Zu den Verlierern gehörte lange das Bodenpersonal an Flughäfen. Die Gewerkschaft ver.di hat das Ruder herumgerissen.

Von ANNETTE JENSEN

Es ist gerade mal 20 Jahre her, da waren die Menschen, die in der Passagier- und Gepäckabfertigung an Flughäfen arbeiteten, noch Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Bis die Europäische Union eine Marktöffnung erzwang. Private Dienstleister drängten auf das neue Geschäftsfeld. Das Arbeitgeberlager zersplitterte. Die Löhne gerieten in eine Abwärtsspirale und sanken um 30 oder sogar 50 Prozent. Viele Beschäftigte kehrten ihrer Gewerkschaft enttäuscht den Rücken. Jahrelang ging es nur abwärts mit den Löhnen und Gewerkschaftsmitgliedschaften.

Die Berliner ver.di-Zentrale erkannte, dass es so nicht mehr weiterging. Sie besetzte den bundesweiten Tarifausschuss neu und beauftragte eine engagierte Gruppe, eine Strategie für die Kehrwende zu entwickeln.  Mit dabei: Katharina Wesenick, bei ver.di hauptamtlich für das Bodenpersonal zuständig. Die Gewerkschaft entschied sich für eine neue Mischung aus Tarif- und Kommunikationspolitik. Im Zentrum der Überlegungen stand die Frage, wie ver.di die Deutungshoheit erringen könnte. „Hegemoniefähig werden diejenigen, die definieren können, was der Allgemeinheit gut tut“, fasst Katharina Wesenick zusammen.

Gesagt getan. Eifrig kommunizierte die Gewerkschaft nach innen und außen, dass die Zeit der Lohnabsenkungen vorbei sei, und richtete ihre Öffentlichkeitsarbeit neu aus. Ziel war es, das Interesse aller nach hoher Sicherheit an Flughäfen in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, und nicht mehr die Frage, wieviel Prozent mehr Lohn angemessen oder wirtschaftlich verkraftbar sind.

Katharina Wesenick und ihre Mitstreiter befragten die Beschäftigten nach konkreten Beobachtungen und sicherheitskritischen Befunden. Sie erfuhren, dass Leiharbeiter sich einfach in sicherheitsrelevante Zonen hineinschmuggeln können.  Dass Flugzeuge falsch beladen werden, weil Hilfskräfte nicht richtig Bescheid wissen. Auch an der Qualifizierung der Festangestellten werde gespart, so die Rückmeldungen. Mit diesem „scharfen Schwert“ wandte sich die Gewerkschaft zunächst an die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA). Ziel war es, den bedeutendsten Arbeitgeberverband in die Verantwortung für die gesamte Branche zu drängen durch das Motto: „Damit Fliegen sicher bleibt“.

Die Tarifbindung sinkt seit 20 Jahren

Doch gute Argumente allein zählen nicht überall, besonders nicht dort, wo der Organisationsgrad der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber zu wünschen übrig lässt. Deutschlandweit ist die Tarifbindung in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast kontinuierlich gesunken. Heute arbeiten nach Berechnungen des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg noch 59 Prozent der Beschäftigten in den alten Bundesländern in einem tarifgebundenen Betrieb. 1998 waren es noch 76 Prozent. Das  bleibt nicht ohne Folgen für das Lohnniveau. „Der statistische Zusammenhang zwischen niedrigen Löhnen und fehlender Tarifbindung ist eindeutig“, erklärt Thorsten Schulten vom WSI.

Schulten liegen Daten des Statistischen Bundesamtes vor, die die Tarifbindung nach Lohngruppen von jeweils einem Fünftel aller Beschäftigten, sogenannte Quintile, aufschlüsseln. Das untere Fünftel umfasst Menschen, die im Jahr 2014 weniger als 9,68 Euro in der Stunde verdienten, das nächste Fünftel diejenigen, die zwischen 9,68 und 13,08 Euro bekamen. Unter diesen Niedrigverdienern lag die Tarifbindung nur bei 27 Prozent. Schlimmer noch: Zahlen des Bundesarbeitsministeriums zeigen, dass gerade in diesen unteren Fünfteln die Reallöhne zwischen 1995 und 2015 gesunken sind. Insgesamt um vier und sieben Prozent sanken die Löhne der Geringverdiener, während die Löhne in den höheren Lohngruppen um bis zu 10 Prozent zulegten.

Streik und Lösung am Verhandlungstisch

Für das Flughafenpersonal konnte ver.di inzwischen Verbesserungen erzielen. Im Herbst des letzten Jahres konnte sich die Arbeitgeberseite noch nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen durchringen. Der Gewerkschaft blieb nichts anderes übrig, als koordiniert Verhandlungen über Haustarifverträge zu führen. Anfang 2017 fand dann der erste Warnstreiktag an mehreren Flughäfen gleichzeitig statt – fast 90 Prozent der Beschäftigten beteiligten sich.

Dass der Stillstand am Boden viele Wertschöpfungsketten unterbricht, war ein kalkulierter Vorteil: Die Fluggesellschaften drängten auf ein rasches Streikende. Tatsächlich gelang es, deutliche Lohnerhöhungen zwischen acht und 20 Prozent durchzusetzen. Im August kam dann der Durchbruch. Inzwischen laufen die Verhandlungen über einen branchenweiten Tarifvertrag, den alle am Tisch anschließend für allgemeinverbindlich erklären lassen wollen.

Um tarifpolitisch wieder stärker in die Vorhand zu kommen, müssen verschiedene Hebel angesetzt werden, betont Thorsten Schulten vom WSI. Neben dem koordinierten Häuserkampf und der Betonung des öffentlichen Interesses an anständigen Arbeitsbedingungen nennt er auch Veränderungen auf politischer Ebene. Dabei geht es vor allem um die Bedingungen, unter denen ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird.

Die Politik kann die Löhne stabilisieren

Das deutsche Tarifvertragsgesetz sieht eine solche Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) zwar vor, doch wird davon zu selten Gebrauch gemacht. Während es etwa in den Niederlanden  für fast jeden Flächentarifvertrag eine solche AVE gibt, hat sich das 2014 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie als Windei entpuppt. Gerade einmal 444 Verträge sind auf dieser Grundlage für allgemeinverbindlich erklärt worden – lächerliche 1,5 Prozent aller Branchentarifverträge.

Im paritätisch besetzten Tarifausschuss, der über die AVE entscheidet, haben die Arbeitgeber die Möglichkeit zu blockieren. Das nutzen sie reichlich. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnet die AVE ausdrücklich als „Ausnahmeinstrument“  in einem ansonsten von Koalitionsfreiheit geprägten Tarifsystem. Demgegenüber fordert die Gewerkschaft ver.di eine weitere Gesetzesnovelle: Anträge auf eine AVE sollten nur mit Mehrheit abgelehnt werden können. Außerdem müsse jede Tarifpartei die Möglichkeit bekommen, auch alleine einen  AVE-Antrag zu stellen.

Diese Regelungen kämen nicht zuletzt den tariftreuen Unternehmen zugute, die durch schlechter zahlende Wettbewerber unter Druck geraten.  Dazu zählen die sogenannten Ohne-Tarif-Mitglieder in den Arbeitgeberverbänden, kurz OT-Mitglieder. „Wie hoch deren Anteil jeweils ist, ist ein großes Geheimnis“, berichtet Tarifexperte Thorsten Schulten. Lediglich ein Arbeitgeberverband – Gesamtmetall – macht hierzu konkrete Angaben: 49,7 Prozent der Arbeitgeber haben sich für die Light-Variante entschieden, meist kleinere Betriebe. Bezogen auf die Beschäftigtenzahl sind das etwa 20 Prozent.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert die Politik auf zu prüfen, ob und wie der OT-Praxis durch Regulierung beizukommen sei. Der Staat müsse Ausgründungen und  Verbandsaustritten – mit dem Ziel, aus der Tarifbindung auszusteigen  – einen Riegel vorschieben, verlangt etwa ver.di-Vize  Andrea Kocsis. „Was Gewerkschaften aushandeln, hat für immer weniger Beschäftigte Auswirkungen“, sagt sie. Zusätzlich schlägt sie eine  gesetzliche Regelung vor, die Tarifverträge so lange nachwirken lässt, bis es einen neuen Abschluss gibt.

Am Ende steht der Besuch im Ministerium

Für das Bodenpersonal wurde, so scheint es, trotz des wenig durchschlagenden Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie eine Verbesserung erreicht. Wann es nun so weit ist, dass die Tarifparteien für das Bodenpersonal an Flughäfen beim Bundesarbeitsministerium vorstellig werden, ist noch unklar. Dass der Vertrag dann tatsächlich für allgemeinverbindlich erklärt wird, sollte nicht nur im Interesse der beteiligten Arbeitgeber und der Beschäftigten in der Branche liegen, sondern auch im Interesse der Passagiere und der Fluggesellschaften. Bis vor einem Jahr war das vielen noch nicht klar.

Aufmacherfoto: Paul Zinken/dpa

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