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Magazin Mitbestimmung

2. Mai 1933: Der dunkelste Tag

Ausgabe 04/2013

Die Zerschlagung der Mitbestimmung und der deutschen Gewerkschaften im Jahr 1933. Von Martin Kaluza

Der 2. Mai 1933 war der dunkelste Tag in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Noch im März desselben Jahres hatten die Betriebsratswahlen Anlass zur Hoffnung gegeben: Eine große Mehrheit der Arbeiter hatte für die Listen der freien Gewerkschaften gestimmt. So weit abgeschlagen waren die Nationalsozialisten, dass sie am 4. April 1933 die Betriebsratswahlen per Gesetz beendeten. Schließlich holten sie aus zu einem doppelten Schlag: Den 1. Mai machten sie 1933 zum Feiertag und vereinnahmten ausgerecht jenen Tag für sich, der für die Arbeiterbewegung seit 1890 identitätsstiftend gewesen war. Am 2. Mai schließlich besetzten die SA und die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) überall in Deutschland Gewerkschaftshäuser. Die Gewerkschaften wurden verboten, ihre Vermögen beschlagnahmt und Gewerkschaftsführer verhaftet, verschleppt und misshandelt. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte in sein Tagebuch: „Gewerkschaften wie verabredet planmäßig besetzt. Kein Zwischenfall. Bonzen verhaftet. Das geht wie am Schnürchen.“ Es scheint, als hätte die Nazis selbst gewundert, wie reibungslos sich die Gewerkschaften ausschalten ließen. Die deutsche Arbeiterbewegung, einstmals eine der stärksten Europas, war am Ende.

Zwei Veranstaltungen werfen nun anlässlich des 80. Jahrestages einen aktualisierten Blick auf den 2. Mai 1933. Am 9. April eröffnet in Berlin die Wanderausstellung „Zerschlagung der Mitbestimmung 1933“, die von der Hans-Böckler-Stiftung, dem DGB und der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam erstellt wurde. Bereits im März trafen sich im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets in Bochum Gewerkschaftshistoriker zu einer Fachtagung unter dem Titel „80 Jahre Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften – Erfahrungen, Lehren, Erinnerungen“. Vor allem der Aspekt der Erinnerung sollte im Vordergrund stehen. „Die Weimarer Republik und der 2. Mai sind gut erforscht“, sagt Stefan Berger, Direktor des Instituts für soziale Bewegungen im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets, zur Eröffnung der Tagung. „Uns interessiert heute die Frage, welche Aspekte des 2. Mai in Erinnerungen institutionalisiert sind und welche vergessen.“

EIN SCHWIERIGER, VERWICKELTER GEDENKTAG

Am 2. Mai erinnern der DGB und die Hans-Böckler-Stiftung mit einer Gedenkveranstaltung im Deutschen Historischen Museum in Berlin an die Ereignisse vor 80 Jahren. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Festrede halten. In der Nachkriegszeit dagegen taten sich die Gewerkschaften lange schwer, den 2. Mai als einen ihrer zentralen Gedenktage zu begehen. „Die verwickelte und problematische Vorgeschichte machte es schwierig, den 2. Mai in die gewerkschaftliche Erzählung vom sozialen Aufstieg der Arbeiterschaft zu integrieren“, sagt Knud Andresen, Historiker an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. In den Wochen vor dem 2. Mai 1933 hatten die Gewerkschaftsvorstände durch eine Politik der Anpassung versucht, wenigstens die Organisationen vor dem Verbot zu bewahren und so über die Zeit zu retten. Ihre Zerschlagung dokumentierte die Erfolglosigkeit dieser Strategie und beendete damit alle Hoffnungen, die Arbeiterschaft noch einmal zu organisieren. Schon als vor dem 2. Mai 1933 Gewerkschaftshäuser in Bochum und Hannover besetzt wurden, waren kämpferische Reaktionen ausgeblieben.

Der Anpassungskurs, so Andresen, wurde erst Mitte der 1970er Jahre zum Thema im politischen Diskurs der Zeit, vor allem innerhalb des linken Spektrums. Hätten die Nazis gestoppt werden können, wenn die Gewerkschaften zusammen gestanden und die Arbeiterschaft in den Kampf geführt hätten? „Von kommunistischer Seite, aber auch von linken Wissenschaftlern und Gewerkschaftern wurde die These vertreten, dass die Arbeiterschaft 1933 auf ein Zeichen der Gewerkschaftsführung und der SPD wartete, gegen die neue Hitler-Regierung etwas zu unternehmen“, erklärt Andresen. Ein Vorbild, auf dass sie sich berufen konnten, fand sich auch. 1920 hatten der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltengewerkschaften (AfA) mit ihrer Beteiligung am Generalstreik großen Anteil daran, dass der Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik nach nur fünf Tagen scheiterte. Nach 1990, als die politischen Debatten der 1970er Jahre an Bedeutung verloren, änderte sich auch das Erinnern an die Zerschlagung der Gewerkschaften. In den Vordergrund rückte die Opfererzählung, der Bericht einzelner persönlicher Schicksale.

„In den letzten Jahren hat etwa die Forschung Siegfried Mielkes gezeigt, dass der Widerstand unter Gewerkschaftern größer und ihre Netze stabiler waren als angenommen,“ sagt Andresen. Mielke, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, ist Mitherausgeber der Buchreihe „Gewerkschafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Migration“. Im ersten Band porträtieren die Autoren 82 Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV). Sie zeigen auch, dass teilweise dieselben Gewerkschafter, die Anfang 1933 den Anpassungskurs an das nationalsozialistische Regime unterstützt hatten, noch im selben Jahr mit dem Aufbau eines der größten Widerstandsnetzwerke begannen. Heute schätzen viele Historiker, dass ein von den Gewerkschaften ausgerufener Generalstreik 1933 kaum Aussichten auf Erfolg gehabt hätte. Dass die Arbeiterschaft „Gewehr bei Fuß“ gestanden hätte, ist vor allem eine rhetorische Figur. Die Gewerkschaften waren praktisch unbewaffnet. Sie wurden als letzte Bastion der Demokratie abgewickelt.

ZERSPLITTERUNG IN RICHTUNGSGEWERKSCHAFTEN

Bereits lange vor dem 2. Mai war die Arbeiterschaft in Richtungsgewerkschaften zersplittert. Bevor sich Ende des 19. Jahrhunderts die sozialdemokratisch orientierten „freien“ Gewerkschaften gründeten, waren die liberal ausgerichteten „Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine“ entstanden. Um die Jahrhundertwende kamen christliche Gewerkschaften hinzu, und 1902 gründeten in Bochum sogar polnische Bergarbeiter mit der ZZP eine eigene Gewerkschaft. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg stellten zudem viele Arbeiter Forderungen, die radikaler waren als die der Vorstände. Gewerkschaftsmitglieder aus der chemischen Industrie und Bergarbeiter forderten die Verstaatlichung ihrer Betriebe. Sie gründeten daraufhin kommunistische Gewerkschaften wie die Freie Arbeiter-Union.

Auch zwischenzeitliche Erfolge wie die Einführung der Mitbestimmung durch das Betriebsrätegesetz von 1920 führten nicht dazu, die weltanschaulichen Unterschiede innerhalb der Arbeiterbewegung abzumildern. Während der Wirtschaftskrise um 1930 verschärften sich die Konflikte unter den Gewerkschaften. Die kommunistischen Gewerkschaften erhielten Anweisungen aus Moskau, die Sozialdemokratie als Hauptfeind zu bekämpfen. „Die kommunistischen Gewerkschaften saßen zum Teil dem Irrglauben auf, die Nazis sollten ruhig an die Macht kommen. Ihnen würde schnell die Luft ausgehen, und dann würden die Kommunisten die Macht übernehmen“, sagt Institutsdirektor Berger. Es war diese zerstrittene Gewerkschaftslandschaft, mit der die Nazis 1933 so unerwartet leichtes Spiel haben sollten.

DER RUF NACH DER EINHEITSGEWERKSCHAFT

Die Historiker auf der Bochumer Tagung beschäftigte die Frage, wie sich diese Erfahrungen auf den weiteren Verlauf der Geschichte der Gewerkschaften auswirkten. „Für uns Historiker ist es interessant zu fragen, inwieweit Erinnerungen in solchen Fällen aktiviert oder auch funktionalisiert werden, um bestimmte politische Entscheidungen zu rechtfertigen“, sagt Berger. „Die Erinnerung an den 2. Mai und an die Zeit des Naziregimes war ein wichtiger Faktor in der Entwicklung der Gewerkschaften nach 1945.“ Noch während der Nazi-Diktatur und in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg wurde der Ruf nach einer Einheitsgewerkschaft zu einem regelrechten Mantra. Er wurde nicht nur als historisches Lamento erhoben, sondern diente als Wegweiser und Legitimierung in der Phase der Neugründung. Die Organisation der Gewerkschaften unter dem Dach des DGB ist eine direkte Lehre aus der Uneinigkeit der Arbeiterschaft während der Weimarer Republik. Auf der Historikertagung in Bochum wurden ganz unterschiedliche Biografien vorgestellt, die sich in diesem Sinne deuten lassen.

Ursula Bitzegeio vom Referat Public History der Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnete dies anhand der Biografie des Gewerkschafters Hans Gottfurcht nach. Der Gewerkschaftsfunktionär flüchtete 1938 nach London und gründete im Exil die Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien. Dass Gottfurcht in London zum vehementen Befürworter der Einheitsgewerkschaft wurde, deutete Bitzgeio als direkte Folge der Erinnerung an den 2. Mai 1933. Während sich viele Gewerkschafter in der Phase des Wiederaufbaus im Ruf nach der Einheitsgewerkschaft einig waren, kam es dennoch immer wieder zu Richtungskämpfen und Generationenkonflikten. Dass auch diese sich im Licht der Erinnerung an die Zerschlagung der Gewerkschaften interpretieren lassen, zeigte Christoph Jünke, Historiker an der Fernuniversität Hagen, anhand des Beispiels Viktor Agartz. Der Gewerkschafter und sozialistisch ausgerichtete Wirtschaftswissenschaftler beteiligte sich nach dem Krieg am Wiederaufbau der SPD und der Gewerkschaften. Agartz sah im Kapitalismus einen Hauptgrund für das Entstehen des Naziregimes. Er zog aus der Erfahrung der Zerschlagung der Gewerkschaften den Schluss, dass eine komplette Neuordnung der Wirtschaft nötig sei und bezweifelte, dass sich der Kapitalismus in Form einer sozialen Marktwirtschaft so bändigen lassen würde, dass er nicht wieder in eine Katastrophe wie der Naziherrschaft münde.

Wenn die Gewerkschaften nun des 2. Mai 1933 gedenken, geschieht dies in dem Bewusstsein, dass die traumatischen Erfahrungen ihre Entwicklung bis heute prägen. Ulrich Freese, der als stellvertretender Vorsitzender der IG BCE auf der Fachtagung in Bochum sprach, nannte als Beispiele das Engagement der Nachkriegs-Gewerkschaften gegen Extremismus und für Integration und plädierte für starke Gewerkschaften. „Die allgemeine Aussicht auf Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg war ein wesentlicher Faktor für den breiten sozialen Frieden, der lange in Deutschland vorherrschte“, sagte Freese. „Und eine Voraussetzung dafür war und ist immer noch die Geschlossenheit der Gewerkschaftsbewegung.“ 

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