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HBS Böckler Impuls

Erbschaftsteuer: Unverdientes Vermögen

Ausgabe 10/2008

Gegenwärtig werden die in den Nachkriegsjahren entstandenen Vermögen vererbt. Das verstärkt die soziale Ungleichheit - und dennoch besteuert der Staat Erbschaften geringer als Arbeitseinkommen.

Seit den 80er-Jahren nimmt in den westlichen Industrieländern die soziale Ungleichheit spürbar zu. Inzwischen besitzt in Deutschland und anderen OECD-Staaten das obere Zehntel der Gesellschaft mehr als 40 Prozent des gesamten Privatvermögens. Jens Beckert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, hat einen wichtigen Grund für die Verfestigung von Reichtumskonzentration über die Generationen hinweg untersucht: Erbschaften. Beckert verweist auf die soziale Problematik, wenn "Ungleichverteilung nicht auf individuell zuzuordnendem Erfolg oder der Leistung der Vermögensbesitzer beruht, sondern durch Erbschaft unverdient erlangt wurde". Das widerspreche der Legitimation sozialer Ungleichheit in Leistungsgesellschaften. Aus diesem Grund hält Beckert eine höhere Erbschaftsteuer für sinnvoll. "Es ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel, zumindest extremen Formen sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken", schreibt der Wirtschaftssoziologe.

Die Erbschaftsteuer reduziert die Progression. Die Erbschaftsteuer sei gut zu rechtfertigen in Gesellschaften, die sich als Leistungsgesellschaft verstehen. "Mit der Erbschaftsteuer wird niemandem etwas entzogen, sondern lediglich ein leistungsfrei entstandener Zugewinn geschmälert", so Beckert. Dennoch ist die Erbschaftsteuer in Deutschland eine schwache Steuer. Nach einer vorsichtigen Schätzung werden jährlich etwa 75 Milliarden Euro vererbt. Die Finanzämter erhalten jedoch nur etwa 4 Milliarden Euro Erbschaft- und Schenkungsteuer. Das entspricht einer effektiven Belastung von fünf Prozent - der Steuer-Anteil überschreitet also kaum die Verzinsung eines Jahres. "Mit der Besteuerung von Tabak nimmt der Staat fast das Vierfache von dem ein, was aus Erbschaften an den Fiskus abgeführt wird", so Beckert. Für Ehepartner, Kinder und Enkel liegt die Progression deutlich niedriger als in der Einkommensteuer: Bei der Erbschaftsteuer beträgt der Spitzensteuersatz 30 Prozent, bei der Einkommensteuer bis zu 45 Prozent plus Solidarzuschlag. Das heißt: "Die Erbschaftsteuer trägt demnach nicht zur Steigerung der Progression im Steuersystem bei, sondern reduziert diese."

Um gezielter nach Leistungsfähigkeit zu besteuern, empfiehlt Beckert, einem Vorschlag des Finanzwissenschaftlers Stefan Homburg zu folgen. Homburg regt an, Erbschaften und Schenkungen bei der Einkommensteuer zu erfassen. Das entspricht der Steuer-Systematik, weil der Nachlass für den Erben ein zusätzliches Einkommen darstellt. Außerdem würde dann der Erbe nicht vor jenem bevorzugt, der sich Einkommen erarbeitet. Beckert schlägt einen Freibetrag von 60.000 Euro vor, ab dieser Schwelle würde sich das Erbe in die Einkommensteuer einfügen und der Steuerprogression unterworfen. Wird dieses Konzept umgesetzt, läge das Erbschaftsteueraufkommen bei ungefähr 7 Milliarden Euro, also knapp dem Doppelten der gegenwärtigen Einnahmen.

Der Umgang mit vererbtem Eigentum ist emotional ­aufgeladen. Darum beleuchtet der Direktor des MPI auch die Gegenargumente. So neigen Gegner der Erbschaftsteuer dazu, Eigentum nicht einem Individuum zuzuordnen, sondern einer Familie oder Sippe, analysiert der Soziologe. Beckert zufolge ist das wenig zeitgemäß: "Diese familienbezogenen Argumente spiegeln teilweise ein vormodernes Familien- und Eigentumsverständnis." Zudem trifft - was viele nicht wissen - die Steuer die meisten Erben nicht. Geht man von zwei Erben bei jedem Todesfall aus, so ist nur eine von 13 Erbschaften steuerpflichtig. In Deutschland kam es 2002 zu etwa 123.000 steuerpflichtigen Erbschaftsfällen.

Schwächt die Erbschaftsteuer das Erwerbsstreben, weil eine Generation für die nächste etwas aufbauen will? Die Empirie für diese These ist nur schwach. Beckert weist auf die Kehrseite des Arguments hin: Vererben führt auch oft zu einem Mangel an Antrieb in der Erbengeneration. "Weshalb sollen sich dauerhaft versorgte Erben selbst noch anstrengen?" fragt der Soziologe. Zudem wird bei der Vererbung von Betriebsvermögen das gesellschaftliche Interesse an der Fortführung des Betriebs vorgebracht. Doch bei Kapitalgesellschaften kann die Steuerlast aus dem Verkauf von Betriebsanteilen erzielt werden. "Die Kreditaufnahme zum Zweck der Begleichung von Erbschaftsteuern ist für die Erben zwar unangenehm, gefährdet den Fortbestand des Unternehmens aber nicht." Es sei kein Unternehmen bekannt, das aufgrund von Erbschaftsteuerforderungen nicht fortgeführt worden wäre, und das dürfte sich kaum ändern, wenn der Vorschlag von Homburg und Beckert umgesetzt würde. Vom Erbschaftsteueraufkommen von 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2002 stammten weniger als 300 Millionen Euro aus der Besteuerung von Betriebsvermögen.

  • Erbschaftsteuer zahlen nur wenige. Zur Grafik

Jens Beckert: Wie viel Erbschaftsteuern? (pdf), Working Paper des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung 2007 

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