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Magazin Mitbestimmung

: Die alarmierende Gesundheitsbilanz der Banken

Ausgabe 03/2008

FINANZBRANCHE Mit halbem Personal das Doppelte bewältigen - das ist Geschäftsmodell. Wegen der zunehmenden psychischen Erkrankungen in der Geldbranche schlagen ver.di und eine DAK-Studie Alarm.

Von MARIO MÜLLER, Journalist in Frankfurt

Neulich, erzählt Hubert Klein (Name geändert), sei eine Kollegin in Tränen aufgelöst zu ihm gekommen. Seit ihre Abteilung trotz unveränderter Aufgaben von zehn auf vier Leute reduziert wurde, wisse sie nicht mehr, wo ihr der Kopf stehe: Man "müsse doch die Arbeit schaffen können". Er selbst, sagt Klein, habe viele schlaflose Nächte vor dem Fernseher verbracht, zermürbt von "Beschimpfungen, Beleidigungen und dem Zerfleischungskrieg" tagsüber im Büro.

Es gehört zum Versicherungskonzern Allianz, der nach eigenen Angaben auf "Vertrauen, Fairness, Integrität und eine klare und offene Kommunikation" setzt, zuletzt aber vor allem durch den Abbau von 7500 Stellen und eine tief greifenden Umstrukturierung von sich reden machte. Auch Martin Bittner (Name geändert) berichtet von Schlafstörungen.

Der "psychische Druck", unter dem er stehe, sei "gewaltig". Sein Arbeitgeber, die SEB-Bank, hat ihn als "low performer", Minderleister, eingestuft und macht nicht nur ihm die Hölle heiß. "Selbst jüngere Kollegen sind verzweifelt, dass sie die hochgesteckten Zielvorgaben im Vertrieb nicht erreichen", sagt Bittner. Im Hause herrsche miese Stimmung, das Verhalten der Vorgesetzten gehe "teilweise unter die Gürtellinie".

DRESDNER: KOLLEGEN VOR DEM ZUSAMMENBRUCH_ Jahrzehntelang galten Banken und Versicherungen als solide Arbeitgeber. Doch die Zeiten sind vorbei. Das "Betriebsklima" in der Finanzbranche wird zunehmend eisiger. Um die überzogenen Rendite-Erwartungen der Aktionäre zu erfüllen, kappten Unternehmen allenthalben Kosten, strichen Stellen und bauten ihre Organisation um. Gleichzeitig sollen die schrumpfenden Belegschaften mit einem rapide angeschwollenen Sortiment an Produkten immer höhere Leistungen abliefern.

Die Folgen der Doppelstrategie: Während ihre Arbeitsbelastung stetig steigt, geht es mit der Gesundheit der Beschäftigten ebenso bergab. Dieser Entwicklung will die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit der Kampagne "Faire Arbeit" entgegenwirken. Sie zielt zunächst darauf, das "Tabu-Thema" publik zu machen und den Beteiligten vor Augen zu führen, dass gesundheitsgefährdender Stress im Job keine Ausnahme, sondern - als Konsequenz moderner Management-Methoden - längst die Regel ist. Dabei kann sich die Initiative auf neueste Untersuchungsergebnisse stützen.

Sie zeigen, dass die Arbeitsbedingungen in Finanzinstituten deutlich schlechter geworden sind und bei der Vorbeugung gegen Krankheiten vieles im Argen liegt. Die Ursprünge des ver.di-Projekts finden sich in Dortmund, bei der Dresdner Bank. In Beratungsgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sei den Betriebsräten aufgefallen, dass "einige Leute kurz vor dem Zusammenbruch stehen", berichtet Petra Eberle, die Vorsitzende der Belegschaftsvertretung. Aus dem "unbestimmten Gefühl", es könne sich um mehr als nur Einzelfälle handeln, wurde bald Gewissheit.

Wie eine gemeinsam mit ver.di gestartete Befragungsaktion per Postkarten ergab, sorgen sich zahlreiche Beschäftigte wegen der zunehmenden Arbeitsbelastung um ihre Gesundheit.  "Unserer Befürchtungen wurden übertroffen", sagt Eberle. Selbst Banker unter 30 klagten über Tinnitus oder andere stressbedingte Erkrankungen. Die Leute fühlten sich wegen der immer höheren Anforderungen schlicht "ausgepowert" und klagten vermehrt über den schlechten Führungsstil im Hause.

COMMERZBANK: "ANSCHISSGESPRÄCHE"_ Nicht viel anders sieht es bei der Commerzbank aus. Es gebe, sagt Betriebsratsmitglied Markus Freyaldenhoven, "immer mehr Beschäftigte, die fertig sind". Eine Kollegin, Anfang 40 und seit 19 Jahren im Filialgeschäft tätig, sei an den "Veränderungen kaputtgegangen", ein Berater habe nach einer langwierigen Verletzung "gerade noch die Kurve gekriegt". Freyaldenhoven führt die Malaise auf den "radikalen Wandel der Vertriebswelt" zurück.

Bis in die 1990er Jahre seien die meisten Commerzbanker mit den damals regelmäßig besprochenen Absatzzielen klargekommen, zumal ausreichend Personal vorhanden war, um im Notfall als Vertretung einzuspringen. Inzwischen bestimmt der "Performance-Manager" das Geschehen: Anhand dieses Computer-Programms sieht jeder Berater, wo er aktuell steht, also wie viel er verkauft hat, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Geschäftssparten und verglichen mit den anderen Kollegen in der Commerzbank. Wer unter dem Durchschnitt liegt, muss mit Druck durch die Vorgesetzten rechnen.

 "Das Benchmarking hat die Zielerreichung abgelöst", beschreibt Freyaldenhoven das neue Regime, mit dem auch ein rüder Umgangston einzog. Die "Anschissgespräche", die früher montags die Woche einleiteten, fänden nun täglich statt. Kollegen, die um 15 Uhr ihr Soll nicht erreicht hätten, würden vom Chef aufgefordert, abends zwei Stunden länger zu arbeiten. Zudem sei die Personaldecke so dünn, dass der Ausfall eines Beschäftigten sofort zu großen Problemen führe.

Das Windhundrennen zehrt an der Psyche. Selbst wer sein Ziel erreiche, werde mit dem Hinweis getadelt, andere hätten mehr geleistet, sagt Freyaldenhoven. Zudem stellten Vorgesetzte die "schlechten" Ergebnisse heraus, unterließen es aber, Erfolge zu würdigen. Der Frust darüber mache "vielen Kollegen richtig zu schaffen" und könne allein schon die Gesundheit beeinträchtigen. Von den körperlichen und seelischen Folgen, in "einem ständigen Klima der Angst" (Freyaldenhoven) zu arbeiten, ganz zu schweigen.

SEB: MINDERLEISTER IM VISIER_ Die Angst, als Versager abgestempelt zu werden, geht auch in der SEB-Bank um. Dort wurden 2006 die Zielvorgaben für die Filialen durch individuelle Richtwerte ersetzt, die das Management zudem unabhängig von der jeweiligen Kundenstruktur vorgibt. Die Betriebsvereinbarung, der zufolge Ziele als realistisch und erreichbar zu gelten haben, werde ignoriert, sagt Martin Bittner, der zu den fünf bis zehn Prozent jener Beschäftigten gehört, die als "low performer" eingestuft wurden.

Sie müssen, wie aus einer internen Anweisung hervorgeht, nach drei Monaten "Minderleistung" mit einem "ersten Trennungsgespräch durch den Vorgesetzten" rechnen. Damit nicht genug. Die neueste Masche bei der SEB, erzählt Bittner, sei die Aufforderung an die Vertriebsleute, sich selbst Ziele zu setzen. Wer dies ablehne, werde kurzerhand aufgefordert, sich eine andere Stelle zu suchen.

KRANKENKASSEN-STUDIE ALARMIEREND_ "Es besteht drängender Handlungsbedarf", meint selbst Herbert Rebscher, der Vorsitzende des DAK-Vorstands. Die Krankenkasse hat mehr als 2000 Angestellte über ihre Arbeitsbedingungen in Banken und Finanzinstituten befragt. Die im Dezember vorgelegte Studie "bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen", sagt Uwe Spitzbarth, Bundesfachgruppenleiter Banken bei ver.di. Die Beschäftigten, heißt es in der "Gesundheits-Bilanz" der DAK, seien "hohen organisationsbedingten Belastungen ausgesetzt.

Die Ergebnisse zeigen einen engen Zusammenhang zwischen den Belastungen wie "Zeitdruck", "Personalmangel", "Überforderung" und psychosomatischen Beschwerden, die sich in der Krankenstandsstatistik vielfach als psychische Diagnosen niederschlagen." Auch deuteten die Daten darauf hin, "dass der Strukturwandel zu einem größeren Leistungsdruck und zu einer Intensivierung der Arbeit führt".

Zwar behauptet die DAK in einer Pressemitteilung, Bankangestellte seien "überdurchschnittlich fit", und begründet dies mit dem relativ niedrigen Krankenstand in der Branche. Ausschlaggebend für geringe Fehlzeiten kann aber auch die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder anderen Repressalien sein. Erst kürzlich hat eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung auf das Problem der Krankheitsverleugnung aufmerksam gemacht. "Gruppendruck und falsch verstandene Kollegialität können Beschäftigte verleiten, krank zur Arbeit zu gehen", meint der Soziologe Hermann Kocyba.

 "Dramatisch höher" liegt jedenfalls der "Anteil psychischer Erkrankungen: Gab es 1998 noch 79 Fehltage pro 100 Versicherte, so waren es 2006 bereits 110." Auffallend häufig litten die Befragten unter "Mattigkeit, Schlafstörungen und rascher Erschöpfbarkeit", heißt es in der Studie. Weitere interessante Ergebnisse: Fast jede(r) Befragte sah sich in den vorangegangenen drei Jahren mit Personalabbau, Out- oder Insourcing, Fusionen und Umstrukturierungen konfrontiert. Als stärkste Veränderung wird die Zunahme der geforderten Arbeitsleistung gesehen. Die "Arbeitsplatzun-sicherheit", die ein "hohes Stresspotenzial" berge, wächst ebenfalls, das Vertrauen in die Führung nimmt deutlich ab.

MEHR MITBESTIMMUNG ALS LÖSUNG_ Was tun? Die DAK schlägt Stressprävention auf zwei Ebenen vor. Zum einen gelte es, die organisationsbedingten psychischen Belastungen zu verringern. Diese seien oftmals das "Ergebnis von defizitär organisierten Arbeitsabläufen und -inhalten, unklaren Zuständigkeiten und suboptimalen Informationsflüssen". Neben der "Beachtung eines aufgabengerechten Personaleinsatzes" bestehe "Verbesserungspotenzial in der Überprüfung von Zielvorgaben in Bezug auf Umsetzbarkeit bzw. Erreichbarkeit".

Zum anderen sollten nach Meinung der Autoren die "Einflussmöglichkeiten am Arbeitsplatz durch mehr Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten" erweitert und die "Aufgabenvielfalt erhöht werden. Gesundheit, schreibt DAK-Chef Rebscher, dürfe "nicht länger ausschließlich" als Kostenfaktor verstanden werden. Wird sie aber. Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement sind für Manager in Banken und Versicherungen meist Fremdwörter.

Das zeigt eine Untersuchung, die die Abteilung Medizinische Soziologie an der Uni Köln im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung durchführte. Das Ergebnis: Wenn sich Finanzinstitute überhaupt um das Thema kümmern, beschränken sie sich meist auf die "gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen". Aber selbst diese werden "nicht flächendeckend umgesetzt". Noch "weitaus seltener" sind "freiwillige Maßnahmen", die sich zudem oft in der Förderung von Sport-aktivitäten erschöpfen.

MEDIZINER FORDERN BURN-OUT-KENNZAHLEN_ Untersuchungsleiter Professor Holger Pfaff hält denn auch die Branche für "generell entwicklungsbedürftig". Schon beim Arbeitsschutz, der, wie der Wissenschaftler betont, nicht Gegenstand seiner Studie war, gibt es erhebliche Defizite. Mit dem aus der Industrieproduktion stammenden Begriff wüssten Dienstleister deshalb wenig anzufangen, weil sie die psychischen Gefährdungen unterschätzten. Geht es nach Pfaff, ist "gesundes Führen" angesagt. Dazu gehöre, dass Beschäftigte bei ihren Vorgesetzten ein offenes Ohr und emotionale Unterstützung finden. Oder dass Burn-out-Erscheinungen gemessen und als "weiche Kennzahlen" in die Unternehmenssteuerung eingehen.

Der Kölner Soziologe ist jedenfalls optimistisch, dass Gesundheitsförderung und -management mehr Aufmerksamkeit erhalten. Denn "die Firmen, die das beherzigen, werden besser dastehen". Von dieser Erkenntnis sind die Manager von Banken und Versicherungen noch meilenweit entfernt. Es hapert bereits an den Grundlagen: Obwohl der Gesetzgeber bereits 1996 vorgeschrieben hat, die jeweiligen Bedingungen am Arbeitsplatz zu überprüfen, scheuen die Firmenleitungen diese so genannte Gefährdungsanalyse "wie der Teufel das Weihwasser", weiß Dresdner-Betriebsrätin Petra Eberle.

Herbert Bludau-Hoffmann, bei ver.di in Nordrhein-Westfalen mit dem Projekt "Faire Arbeit" betraut, sieht in den Unternehmen denn auch ein "System der Maßlosigkeit" am Werk, bei dem bewusst bis an die Grenzen gegangen werde. Als Hebel dient die so genannte indirekte Steuerung. Diese Management-Technik versucht, die Beschäftigten vor allem im Vertrieb zu Höchstleistungen anzustacheln, indem sie ihnen weitgehende Autonomie für die Erreichung der Ziele einräumt, sie also zu einer Art "Mitunternehmer" macht.

"Der neue Geist des Kapitalismus", wie die französischen Soziologen Luc Boltanski und Eve Chiapello diese Produktionsform nennen, ist allerdings in den Abwicklungsabteilungen nicht zu erkennen. Allianz-Mann Hubert Klein sieht in den Büros des Versicherungskonzerns vielmehr die Rückkehr eintöniger Fließband-Arbeit am Computer und spricht von einer "Fabrik à la Henry Ford". Doch der Widerstand wächst.

Die Kampagne "Faire Arbeit" findet immer mehr Resonanz. Bei der Commerzbank beschäftigt sich der Ausschuss Indirekte Steuerung (ComiSt) - gebildet von Betriebsräten, ver.di und dem Berater Klaus Peters vom cogito-Institut - mit der zunehmenden Arbeitsbelastung. Nun soll eine gemeinsame Kommission aus Vertretern des Managements und der Belegschaft das Thema Stress und Gesundheit vorantreiben. Bei der Postbank wurden inzwischen Gefährdungsanalysen vereinbart, die die psychische Belastung am Arbeitsplatz untersuchen sollen.

Von einem Durchbruch kann allerdings keine Rede sein. Noch verhalten sich die Arbeitgeber hartleibig und haben die Aufforderung der Gewerkschaft, in Tarifverhandlungen über den Gesundheitsschutz zu sprechen, rundweg abgelehnt. Nun will ver.di das Thema erneut auf den Tisch bringen. Das wird nicht einfach angesichts des Drucks, den die Akteure an den Kapitalmärkten auf die Manager von Unternehmen ausüben und den diese einfach nach unten weitergeben.

Möglicherweise erhalten die Beschäftigten aber einflussreiche Verbündete. Denn das rigide Vertriebssystem zwingt die Berater, ihren Kunden Produkte zu verkaufen, "die die gar nicht gebrauchen können", klagt SEB-Mann Martin Bittner. Mit derartigen von Call-Centern abgeschauten "Struki-Methoden" riskiert die Branche, massenweise Kunden zu verprellen - damit könnte sich in Banken noch ganz anderer Stress breitmachen.


MEHR INFORMATIONEN

zum Projekt "Faire Arbeit" von ver.di NRW über das Internet: www.fidi.nrw.verdi.de/faire_arbeit

 


 

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