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Magazin Mitbestimmung

: Böckler-Kollegs machen fit für Europa

Ausgabe 11/2004

Doktoranden sollen in Zukunft in Graduiertenzentren betreut werden, um Überspezialisierungen zu verhindern und Karrierechancen zu verbessern. Die Hans-Böckler-Stiftung hat dazu eigene Promotionskollegs ins Leben gerufen.

Von Werner Fiedler und Eike Hebecker
Die Autoren sind in der Hans-Böckler-Stiftung zuständig für die Promotionsförderung.

Wer sich heute in der Europäischen Union zur Promotion anmeldet, um den begehrten Doktortitel zu erlangen, der muss sich auf sehr unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen einstellen - je nachdem, in welchem Land er sich aufhält: In Norwegen werden Doktoranden zum Zwecke der Promotion als Wissenschaftler angestellt und bekommen für ihre Forschungsleistung ein Gehalt - wer dagegen in Großbritannien "Doctor of Philosophy in the Arts and Sciences" werden will, wird wie ein Student behandelt und muss dafür recht hohe Gebühren zahlen. In Deutschland ist das Bild uneinheitlich. Von den rund 25 000 Nachwuchskräften, die hier jedes Jahr promovieren, sitzen einige auf festen Stellen, andere in Forschungsprojekten. Auch die finanzielle Ausstattung ist sehr unterschiedlich. Während einige mit Stipendien ausgestattet sind, müssen andere ihre Promotion selbst finanzieren.

Auch der arbeits- und sozialrechtliche Status der Doktoranden ist oft prekär. Wer auf einer so genannten Qualifikations- oder Drittmittelstellen promoviert, wird allein durch das Anstellungsverhältnis dem Mittelbau an den Hochschulen zugerechnet. Vergleichbares müsste auch für die Promovierenden mit Stipendium gelten. Doktoranden brauchen eine soziale Sicherung, die die Promotion attraktiv macht. Darüber hinaus brauchen sie eine verlässliche Organisation. Doch die Wirklichkeit an deutschen Hochschulen sieht anders aus. Das hierzulande verbreitete Modell, in dem der wissenschaftliche Betreuer zugleich Mentor, Prüfer und Vorgesetzter nach dem Meister-Lehrlings-Verhältnis ist, steht in krassem Gegensatz zu standardisierten Ausbildungsmodellen, wie sie in anderen Ländern üblich sind.

Ist die Promotion noch Studium oder schon Arbeit?

Der hochschulrechtliche Status von Promovierenden ist heute weder in den Hochschulgesetzen noch in den Promotionsordnungen der Universitäten klar geregelt. Themenvergabe und Betreuungspflichten sind unzureichend definiert. Hierin liegen wesentliche Ursachen für die lange Promotionszeit von durchschnittlich viereinhalb Jahren und scheiternde Promotionsvorhaben. Besonders beklagt wird auch die wissenschaftliche und soziale Isolation vieler Doktoranden, die aus der jahrelangen Bearbeitung eines Dissertationsthemas resultiert. Die Doktoranden sind häufig überspezialisiert, so mancher gleitet in randständige Themen ab und ist nicht in wichtige Forschungszusammenhänge integriert. Fächerübergreifende Fragestellungen kommen zu selten vor.

Es fehlen strukturierte Betreuungsangebote. Oft sind die Betreuer didaktisch kaum ausgebildet. Zugleich verführen die unklaren Berufsperspektiven zu überlangen Promotionszeiten. Proportional zur Dauer sinken jedoch die Chancen am Arbeitsmarkt. Am Ende sind viele frisch gebackene Doktoren nur unzulänglich auf die berufliche Praxis vorbereitet. Viele Promovierte bleiben später der Wissenschaft nicht treu. Sie nehmen eine berufliche Tätigkeit außerhalb der Hochschulen auf. Eine Tatsache, der in den Aus- und Weiterbildungsprofilen für Graduierte - sofern sie überhaupt existieren - bisher kaum Rechung getragen wird. Was hilft das Fachwissen, wenn andere Schlüsselqualifikationen zu kurz gekommen sind?

Eine "Promotion in Einsamkeit und Freiheit", wie der Soziologe Helmut Schelsky sie in den 60er Jahren beschrieben hat, kann heute nicht mehr das Ideal eines Nachwuchswissenschaftlers sein - wenn es denn jemals ein Vorbild war. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Zusammenschluss der deutschen Universitäten und Hochschulen, der Wissenschaftsrat und das Bundesministerium für Bildung und Forschung sind sich einig darin, dass die Bedingungen für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert werden müssen. Sie wollen verstärkt Formen der systematischen, strukturierten Doktorandenausbildung etablieren. Ein Beschluss der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) vom 29. März 2004 sieht nun außerdem die Einrichtung spezieller Graduiertenzentren vor und hat dazu Mittel für einen Wettbewerb in Aussicht gestellt.

Der Druck auf die Doktorandenausbildung wird durch die europaweite Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge, die bis zum Jahr 2010 abgeschlossen werden soll, weiter erhöht. Die gegenseitige Anerkennung der Doktorate in einem europäischen Forschungsraum stellt von daher Anforderungen an die Ausbildung und Qualitätsstandards, die ähnlich den Bachelor- und Masterabschlüssen einer verbindlichen Konvention unterliegen müssen. Strittig ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Promotion eine dritte Stufe des Studiums oder die erste Phase selbständiger wissenschaftlicher Arbeit darstellt. Die Antwort aus gewerkschaftlicher Sicht ist eindeutig: Doktoranden leisten einen Großteil der Arbeit in Forschung und Lehre. Auch wenn die Promotion eine Qualifikationsarbeit ist und mit einer Prüfung abgeschlossen wird, liegt der Schwerpunkt der Anforderungen während des Prozesses eindeutig auf der Ebene der selbständigen wissenschaftlichen Arbeit. Darüber hinaus gilt die Promotion in den meisten Ländern Europas bereits als Eintrittskarte in den erlauchten Kreis der Hochschullehrer. Mit der Einführung der Juniorprofessur ist das Abgehen vom "Sonderweg" der Habilitation auch für die deutschen Universitäten im Ansatz vollzogen.

Graduiertenkollegs bieten Orientierung und Hilfe

Für die Hans-Böckler-Stiftung, eines der größten deutschen Studienförderungswerke, ist dieses Feld kein Neuland. Seit 1993 richtet die Hans-Böckler-Stiftung Promotionskollegs an deutschen Hochschulen ein - meist mit der Unterstützung von Vertrauensdozenten der Stiftung. Jeweils sechs bis acht Doktoranden nehmen daran teil. Die Kollegs erhalten einen Etat von der Stiftung - außerdem werden in der Wochenzeitung "DIE ZEIT" dafür eigens Stipendien ausgeschrieben. Hier werden ganz unterschiedliche Themen beackert, quer durch alle Disziplinen - von "Toxischen Kombinationswirkungen chemischer und physikalischer Stressoren auf Mensch und Umwelt" (Uni Bremen und Uni Oldenburg) bis zur "Europäischen Integration" (Universität Osnabrück). Die Laufzeit ist zunächst auf drei Jahre begrenzt - eine Verlängerung ist aber möglich. Elf solcher Kollegs laufen aktuell, sechs weitere sind bereits abgeschlossen - zusätzlich arbeitet die Stiftung noch mit drei Graduiertenzentren zusammen, darunter die Graduate School of Social Sciences (GSSS) der Uni Bremen. Für diese Zentren stellt die Hans-Böckler-Stiftung ebenfalls Stipendien zur Verfügung.

Seit Beginn der Kollegförderung sind rund 170 Stipendien für Kollegs und Graduiertenzentren vergeben worden. Die Stiftung verfolgt das Ziel, in Zukunft 25 Prozent der Mittel für die Promotionsförderung an Kollegs, 25 Prozent an Graduiertenzentren und 50 Prozent für die freie Förderung einzusetzen. Die bisherigen Erfahrungen sind positiv: Promotionen in Kollegs oder Graduiertenzentren sind deutlich erfolgreicher, die Zahl der Abschlüsse liegt über dem Durchschnitt, und die Bearbeitungszeiten sind ebenfalls erkennbar kürzer. Auch die Chancen für eine Beschäftigung in der Wissenschaft sind höher. Mehrere Böckler-Stipendiaten haben eine Juniorprofessur erlangt - so wie Heinke Röbken, die jetzt am Institut für Pädagogik und Bildungsmanagement der Universität Oldenburg arbeitet. Aber auch für die Promovierten, die außerhalb der Wissenschaft arbeiten wollen, sind die neuen Angebote von Vorteil, da hier wichtige Schlüsselqualifikationen und Teamfähigkeit vermittelt werden.

Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich zentrale Elemente eines Förderkonzeptes für den wissenschaftlichen Nachwuchs ableiten. Alle Ansätze stimmen darin überein, die Doktorandenausbildung stärker zu strukturieren und institutionell zu organisieren. Ziel ist es, sie ein Stück weit aus der individuellen Verantwortung der jeweiligen Hochschullehrer herauszulösen und durch spezielle Zentren der Doktorandenausbildung zu flankieren - angefangen von kleinen Forschungs- und Promotionsverbünden über Promotionskollegs bis hin zu eigenen Graduiertenzentren, die fächer- oder fakultätsübergreifend organisiert sind.

Ausbildungsverträge oder Vereinbarungen über eine gute Praxis der Promotionsförderung können dazu beitragen, eine Klärung der Verantwortlichkeiten sowie der Rechte und Pflichten von wissenschaftlichen Betreuern, den dafür vorgesehenen Hochschuleinrichtungen und den Promovierenden selbst herbeizuführen.

Neben der rein fachlichen Verbesserung sind insbesondere Angebote zur Vermittlung von Forschungsmethoden und berufsrelevanten Schlüsselqualifikationen wichtig. Die Förderung von Selbständigkeit und Eigenverantwortung muss begleitet sein von Formen der professionellen Supervision oder einem Promotions-Coaching - ähnlich den Konzepten eines modernen Personalmanagements oder neueren Ansätzen der didaktischen Fortbildung für Hochschulangehörige. Eine frühzeitige Vorbereitung und Erfahrung in der Lehre, zumindest im fortgeschrittenen Stadium der Dissertation gehört ebenso ins Portfolio der Doktorandenausbildung wie die frühe Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen und Konferenzen im In- und Ausland.

Zum Weiterlesen

Antonia Kupfer/Johannes Moes: Promovieren in Europa - ein internationaler Vergleich von Promotionsbedingungen, Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft [Hrsg.], Frankfurt/Main 2003
Deutsche Forschungsgemeinschaft: Strukturiert promovieren in Deutschland - Dokumentation eines Symposiums. Weinheim, WILEY-VCH Verlag 2004

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