Forschungsprojekt: Grundsicherungsniveau: Ergebnis der Verteilungsentwicklung und normativer Setzungen

Das Grundsicherungsniveau: Ergebnis der Verteilungsentwicklung und normativer Setzungen

Projektziel

Die Bemessung der Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeleistungen in Deutschland erfolgt auf der Basis von Daten über die Ausgaben unterer Einkommensgruppen. Das derzeitige Verfahren ist sowohl aus methodischer Perspektive als auch hinsichtlich der normativen Setzungen umstritten. Mit dem Projekt wurden wesentliche Kritikpunkte aufgegriffen und anhand der dem Gesetz zugrunde liegenden Daten geprüft.

Veröffentlichungen

Schüssler, Reinhard, 2015. Sozialrechtliche Regelbedarfsleistungen - Kritik und Reformbedarf, Wirtschaftsdienst, 95(01/2015), S. 63-67.

Becker, Irene und Reinhard Schüssler, 2014. Das Grundsicherungsniveau: Ergebnis der Verteilungsentwickung und normativer Setzungen. Eine empirische Analyse auf Basis der EVS 2003 und 2008, Arbeitspapier 298, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 138 Seiten.

Becker, Irene, 2014. Wie die Hartz-IV-Sätze klein gerechnet wurden. Das Grundsicherungsniveau als Ergebnis von normativen Setzungen und Empirie, Soziale Sicherheit, 3/2014, S. 93-109.

Böckler Impuls, 2014. Hartz-IV-Satz bleibt zurück, Böckler Impuls, 06/2014, S. 7.

Schüssler, Reinhard und Irene Becker, 2014. Wie ein gesetzlicher Mindestlohn den Regelbedarf erhöht. Wirkungen eines Mindest-Stundenlohns von 8,50 Euro auf das Grundsicherungsniveau, Soziale Sicherheit, 3/2014, S. 102-109.

Weitere Informationen

Regelsatz-Berechnung weiter fragwürdig.- In: Böcklerimpuls, 11/2013.- S. 1
http://www.boeckler.de/43377_43382.htm

Projektbeschreibung

Kontext

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 betont, dass die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums ein allgemeines Grundrecht ist und eine Reform der Bedarfsbemessung erzwungen. Dabei geht die Bedeutung der Mindestsicherung über den Rahmen des SGB II und SGB XII noch hinaus, da mittelbar die Entwicklung der Einkommensverteilung, z. B. über die Lohnfindungsprozesse sowie die Grund- und Kinderfreibeträge im Steuerrecht, berührt wird. Somit kommt dem Verfahren der Berechnung des Grundsicherungsniveaus ein zentraler Stellenwert zu. Von Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften, aber auch in der wissenschaftlichen Literatur sind vielfach Zweifel vorgebracht worden, dass die Reform der Regelbedarfsbemessung verfassungsgemäß erfolgt ist; vielfach wird eine systematische Bedarfsunterschätzung befürchtet. Zudem verstärken sich angesichts zunehmender Verteilungsungleichheit grundsätzliche Zweifel an der Eignung der Methode (Statistikmodell).

Fragestellung

Die Kritik am Verfahren zur Bemessung der Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeleistungen reißt auch nach der jüngsten Reform nicht ab. Vor diesem Hintergrund wurde zunächst der Grundsatzfrage nachgegangen, ob der methodische Ansatz (Statistikmodell) weiterhin geeignet ist, um das soziokulturelle Existenzminimum zu ermitteln oder ob die zunehmende Ungleichheit dem entgegensteht. Darüber hinaus wurde der Einfluss fiktiver Szenarien auf das Grundsicherungsniveau untersucht. Zum einen ging es um die Frage, wie stark die unteren Einkommensgruppen von der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns profitieren würden und inwieweit daraus ein höheres Grundsicherungsniveau folgen würde. Zum anderen wurden die Effekte der normativen Neuausrichtung, die mit dem reformierten Verfahren der Bedarfsermittlung erfolgt ist, quantifiziert: Die zentrale Frage, inwieweit die vielfachen Veränderungen zu einer Absenkung des Leistungsniveaus geführt haben, wurde mit mehreren Alternativrechnungen geprüft.

Untersuchungsmethoden

Die Projektbearbeitung erforderte Mikrodatenauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) auf dem Wege des "Fernrechnens" beim Statistischen Bundesamt, da nur so der Zugang zu den bei der Regelbedarfsbemessung herangezogenen Gesamtdatensätzen möglich ist. Zunächst erfolgte eine Analyse der Entwicklung der Einkommensverteilung von 2003 bis 2008 mit Fokus auf die vom Gesetzgeber - vormals und jetzt - definierten Referenzgruppen. Hinsichtlich der weiteren Fragestellungen wurden Mikrosimulationen durchgeführt. Zum einen erfolgte eine Berechnung fiktiver Haushaltseinkommen 2008 unter der Annahme eines gesetzlichen Mindestlohns, sodass sich eine "neue" Referenzgruppe mit entsprechend anderen Ergebnissen der Regelbedarfsermittlung ergaben. Zum anderen wurden nach den früheren Vorgaben für die Regelsatzberechnung sowie nach deren Änderung nur gemäß der Vorgaben des BVerfG fiktive Regelbedarfe 2008 simuliert und mit dem Ergebnis nach aktueller Gesetzeslage verglichen.

Darstellung der Ergebnisse

- Die Verteilungsanalysen haben gezeigt, dass laut EVS 2003 und 2008 die Entwicklung nicht zu Lasten des unteren Einkommensbereichs gegangen ist, wenn die Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsbeziehenden ausgeklammert werden. Die Eignung des Statistikmodells zur Regelbedarfsberechnung hat sich also nicht verschlechtert.

- Die Einführung eines gesetzlichen Mindeststundenlohns von 8,50 Euro würde zu einer Erhöhung der Regelbedarfsstufe 1 um nur etwa 14 Euro führen, weil der Anteil der Erwerbstätigen im unteren Einkommensbereich gering ist.

- Nach Änderung nur der vom BVerfG beanstandeten früheren Berechnungsregeln (ohne Ausschluss verdeckter Armut) hätte sich für 2008 ein Regelbedarf von 393 Euro ergeben, der den per Gesetz ermittelten Betrag um 31 Euro übersteigt. Derzeit (2014) würde das Grundsicherungsniveau bei 424 Euro statt bei 391 Euro liegen. Dies wurde durch verschärfte normative Setzungen (Verkleinerung der Referenzgruppe, Streichung weiterer Güter, z. B. Alkohol, Tabak, Schnittblumen) verhindert.

Nach den Projektergebnissen ist nicht das Statistikmodell an sich ungeeignet als vielmehr dessen konkrete Ausgestaltung, die geprüft und zielgerichtet reformiert werden sollte.

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