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Verteilungskonferenz: Gerecht ist besser !? Hochkarätige Diskussion zu Sozialer Ungleichheit

Die gemeinsame Verteilungskonferenz des WSI und das DGB am 17. Oktober in Berlin zeigte: Steuerpolitik ist die entscheidende Stellschraube, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Von Gunnar Hinck

Die Statistik sagt es deutlich: Die wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über fast zwei Drittel des Vermögens in Deutschland, das reichste eine Prozent allein 30 Prozent – während 30 Prozent der Erwachsenen praktisch kein Vermögen haben oder verschuldet sind. Das sind nur ein paar Zahlen aus dem aktuellen Verteilungsbericht des DGB. Auch der aktuelle Bericht des WSI der Hans-Böckler-Stiftung zur Einkommensverteilung kommt zu alarmierenden Zahlen. Die Einkommensungleichheit steigt weiter an – während die Mitte ausgedünnt wird, gibt es mehr Menschen, die entweder sehr viel oder sehr wenig verdienen. Am Donnerstag luden DGB und WSI zur gemeinsamen Verteilungskonferenz in Berlin: „Gerechter ist besser!? Aktuelle verteilungspolitische Herausforderungen“ war das Motto.

Auf dem Podium diskutierten vor rund 150 Besuchern Bundespolitiker aus Regierung und Opposition. Einig waren sie sich darin, dass mehr in Bildung investiert werden müsse, um eine der Ursachen von Ungleichheit zu bekämpfen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte: „Aufstieg durch Bildung muss wieder möglich sein, so wie es vor 50 Jahren zum Programm der sozialliberalen Koalition von Willy Brandt gehörte.“ FDP-Chef Christian Lindner ergänzte: „Das ist der zentrale Beitrag, um die Einkommensschere zu reduzieren.“ Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, forderte einen besseren sozialen Arbeitsmarkt, um die Dauerarbeitslosigkeit abzubauen. Hier aber hörte der Konsens auch auf.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, die Linken-Vorsitzende Katja Kipping und Klingbeil betonten, dass mehr über die Vermögens- und Einkommensverteilung gesprochen werden müsse. „Wir brauchen bessere Löhne und mehr Tarifbindung. Es kann nicht sein, dass sich die Arbeitnehmer anstrengen, aber mit der Vermögensbildung nicht vorankommen“, sagte Klingbeil. Habeck verwies auf die aktuellen Befunde der Wissenschaft: In den vergangenen Jahren sei trotz der guten Konjunktur die Ungleich nicht zurückgegangen oder sogar gestiegen. Er sagte: „Wann soll die Ungleichheit zurückgehen, wenn nicht in Boomzeiten?“ Habeck forderte eine Steuerreform, die „die unteren Einkommensschichten entlastet und die oberen belastet“.

Katja Kipping wies auf die rasant steigenden Mieten als weitere Ursache für die Vermögensungleichheit hin: Wenn die Miete einen immer größeren Anteil des Einkommens auffrisst, könnten inzwischen selbst große Teile der Mittelschicht kaum noch Geld ansparen. Das sei „eine besonders krasse Form des Lohnraubs“. Sie forderte eine schärfere Mietpreisbremse auf Bundesebene. Christian Lindner dagegen lehnte mehr Umverteilung durch Steuern ab. Stefan Körzell, geschäftsführendes Mitglied im DGB-Bundesvorstand, kommentierte spontan: „Das hätte mich jetzt auch gewundert“. Lindner sprach sich stattdessen dafür aus, die private Vermögensbildung zu stärken.

Ein Streitgespräch zwischen Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und dem Würzburger Ökonomen Peter Bofinger, bis Februar diesen Jahres einer der Wirtschaftsweisen, zeigte, wie unterschiedlich man die Datenlage deuten kann. Während Hüther erklärte, die Soziale Marktwirtschaft „erfülle ihr Aufstiegsversprechen weiterhin“ und in den Daten vor allem „Seitwärtsbewegungen“ erkannte, widersprach Bofinger. Er sagte man müsse sich fragen, warum sich die Ungleichheit seit 2005, einem Jahr mit fünf Millionen Arbeitslosen, kaum verändert habe und warum Haushaltseinkommen einen immer geringeren Teil des BIP ausmachten.

Im Diskussionsforum zu Steuern wurde deutlich, dass Steuerpolitik das zentrale Instrument ist, um Ungleichheit zu verkleinern. Katja Rietzler, Steuerexpertin des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, zeigte auf, dass die Erbschaftsteuer in ihrer jetzigen Ausgestaltung die Vermögenden bevorzugt: „Bei Erbschaften über 20 Millionen Euro liegt der effektive Steuersatz nur bei sechs Prozent:“ Das liegt daran, dass seit der seit vergangenen Erbschaftssteuerreform Betriebsvermögen geschont, kleinere und mittlere Erbschaften dagegen effektiv höher belastet werden. Rietzler schlug vor, die Vermögensteuer wiedereinzuführen, denn eine Reform der Erbschaftsteuer lohne fiskalisch nicht: „Die Vermögenden haben ihre Schäfchen über Schenkungen ins Trockene gebracht.“

Eindringlich veranschaulichte der Düsseldorfer Einkommensmillionär und Immobilienunternehmer Josef Rick, wie sehr Vermögende ihre Steuerlast durch legale Tricks reduzieren können. Er warf per Beamer seine Steuererklärung aus dem Jahr 1994 an die Wand: Er hatte ein zu versteuerndes Einkommen von damals über einer Million Mark und bekam trotzdem eine Steuerrückzahlung von über 65 000 Mark. Heute zahlt Rick, der seit längerem für höhere Steuern für Vermögende wirbt, nach eigener Auskunft effektiv 13,5 Prozent Steuern. „Mein Sohn, der Assistenzarzt ist, zahlt prozentual mehr als ich“, sagte Rick, und fragte: „Wollen wir so etwas?“

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