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Vertrauensleute und Beteiligung Service aktuell

Vertrauensleutearbeit im Aufbruch: MOTOR DER BETEILIGUNG, BRÜCKE ZUR GEWERKSCHAFT

Wie organisieren Vertrauensleute Beteiligung und politische Diskurse im Betrieb? Antworten auf diese Frage diskutierte das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Vertrauensleute und Beteiligung“ im Mai 2022 auf einem Workshop in Fulda.

[17.08.2022]

Von Carmen Molitor

  • Vertrauensleute und Beteiligung
    Reger Austausch beim Workshop

Vertrauensleutearbeit braucht einen Neuanfang
Vertrauenskörper sind ein zentrales Instrument der betrieblichen Mitbestimmung: Sie bilden Brücken zwischen Gewerkschaften und Belegschaften, werben neue Gewerkschaftsmitglieder an, fördern die Beteiligung der Beschäftigten, beleben und organisieren die innerbetriebliche Demokratie und nehmen Stellung zu politischen Diskursen in der Gesellschaft. Das ist der Idealfall.

Doch seit einigen Jahren beobachten die Gewerkschaften, dass die Vertrauensleutearbeit vielerorts an Einfluss und Bedeutung verliert: In immer mehr Betrieben fehlen starke Strukturen für eine vom Betriebsrat unabhängige gewerkschaftliche Arbeit. Vertrauenskörper, die eine eigenständige, selbstbewusste Stimme im Mehrklang der betrieblichen Mitbestimmung entwickeln, werden seltener. Klar ist: Im Sinne von mehr Beteiligung und Demokratie im Betrieb bedarf es einer Modernisierung und (Wieder-)Belebung dieses wichtigen Gremiums.

In einigen Betrieben hat dieser Aufbruch der Vertrauensleutearbeit mithilfe von gewerkschaftlichen Entwicklungsprojekten bereits begonnen. Dort haben sich die Vertrauenskörper von überkommenen Traditionen verabschiedet; sie haben neue Methoden ausprobiert, sich partizipativer aufgestellt und die Bedürfnisse der Beschäftigten ernst genommen. Und sie können beachtliche Mitbestimmungserfolge vorweisen.

Zentrale Fragen zum Neubeginn
Wie haben sie das geschafft? Wie kann heute eine lebendige, beteiligungsorientierte gewerkschaftliche Vertrauensleutearbeit aussehen? Was führt zu einer Belebung verkrusteter Organisationsstrukturen? Welche Rolle und Stellung hat der Vertrauenskörper im Beziehungsgeflecht der betrieblichen Mitbestimmung? Und wie organisieren Vertrauensleute Beteiligung und politische Diskurse im Betrieb?

  • Vertrauensleute und Beteiligung
    Das Forscherteam

Antworten auf diese Fragen fand das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Vertrauensleute und Beteiligung: Gewerkschaftliche Vertrauensleute als Förderer von Beteiligung und Demokratie“ des Zentrums für Arbeit und Politik der Universität Bremen (zap). In einem Workshop in Fulda stellten die Wissenschaftler Erhard Tietel, Frank Meng, Olaf Katenkamp und Ingo Singe die zentralen Ergebnisse ihrer dreieinhalbjährigen Forschung in zehn Betrieben den beteiligten Vertrauensleuten sowie Gewerkschafter*innen aus den Mitbestimmungsabteilungen von IG Metall, ver.di und IG BCE und Bildungsexpert*innen vor. Die Tagung entwickelte sich zu einem intensiven, offenen und empowernden Austausch der Praktiker*innen. Sie vermittelte den Wert und die Erfolgsmöglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten innovativer Vertrauenskörper. Die Forschungsergebnisse zeigen die Grundlagen guter Praxis moderner gewerkschaftlicher Vertrauensleutearbeit.

„Mit diesem Forschungsprojekt richten wir in dem großen Feld der Mitbestimmung den Blick auf eine Gruppe von Akteuren, die in der Forschung selten in den Blick genommen werden“, sagte Dr. Saskia Freye, von der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, als sie die Veranstaltung eröffnete. „So ist es möglich, zu schauen: Was braucht es für Vertrauensleutearbeit, damit sie gut gelingen kann? Welche Rahmenbedingungen braucht es, um sie wetterfest für all die Themen zu machen, die in dieser herausfordernden Zeit anstehen?“

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    Saskia Freye

Der neue Vertrauenskörper: „Mehr Jüngere, mehr Frauen – und andere Männer“
Die im Forschungsprojekt untersuchten zehn Betriebe, vier aus dem Vertretungsbereich der IG Metall sowie je drei aus dem der IG BCE und ver.di, haben zwischen 250 und 12.000 Beschäftigte. Der Blick gerade auf ihre Vertrauensleutearbeit stelle eine Positivauswahl dar, sagt Prof. Dr. Erhard Tietel, der gemeinsam mit Dr. Frank Meng das Forschungsprojekt leitete: „Ich vermeide den Begriff Leuchtturm, aber es sind Fälle, wo es den Vertrauensleuten gelungen ist, in ihren Betrieben mit ihrer Arbeit noch einmal ganz anders unterwegs zu sein.“ In Einzelinterviews und Gruppendiskussionen mit Vertrauensleuten, VK-Leitern (im Sprachgebrauch der IG BCE: VK-Vorstand), Betriebsräten, Betriebsratsvorsitzenden und Beschäftigten haben die Wissenschaftler untersucht, was zu der Belebung der Vertrauensleutearbeit in den Beispielbetrieben geführt hat.

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    Erhard Tietel moderiert den Austausch

Danach läuft die Belebung von Vertrauenskörpern stets auf mehreren unterschiedlichen Ebenen ab: „Der VK greift neue Themen auf, spricht stärker neue Zielgruppen an, gewinnt neue Mitglieder“, fasste Erhard Tietel beim Workshop in Fulda zusammen. Das Gremium erprobe außerdem neue Organisationsformen und Arbeitsweisen, binde Vertrauensleute und teilweise auch Beschäftigte mehr in die Arbeit ein als zuvor und arbeite stärker an seiner Kultur und Arbeitsatmosphäre. „Vitalisierungen sind in den Betrieben, die neu anfangen, natürlich einfacher. Da gibt es den Elan des Anfangs. Nach dem Motto: Wir machen es jetzt anders!“, so der Projektleiter. Am schwierigsten sei die Veränderung dagegen da, wo es bereits sehr gute Mitbestimmungsstrukturen gebe. Wo man also eingeübte Routinen aufbrechen muss, um neues zu erreichen.

Zentrale Verbesserung: deutlich mehr Arbeitsteilung und Partizipation der VK-Mitglieder
Besonders auffällig ist, dass die Arbeit und Verantwortung in innovativen VKs besser verteilt wird: „Die heutige VK-Arbeit ist deutlich beteiligungsorientierter innerhalb der VK-Leitung oder auch innerhalb des gesamten VKs als vorher. Die Führung wird flacher und partizipativer“, erläuterte Tietel. „Früher hat der VK-Leiter alles allein gemacht. Da ist man gekommen, hat für ihn abgestimmt und ist wieder gegangen. Da gab es die Riege alter, starker Männer, die ganz viel selbst gemacht haben. Dann kamen mehr Jüngere und mehr Frauen. Es kamen aber auch andere Männer. Das Verhältnis der Geschlechter hat sich in den Gremien verändert.“

Elementare Aufgabe: die Bedürfnisse der Beschäftigten erkennen
Was konkret dazu führte, die VK-Arbeit zu beleben, schildert der Wissenschaftler Tietel anhand des Dreiecks-Verhältnisses dreier Dimensionen: „Ziele, Aufgaben und Themen“, „Organisation und Arbeitsteilung“ und „Sinn, Beziehungen und Emotionen“.

In der Dimension „Ziele, Aufgaben und Themen“ geht es darum, die Ziele des VK zu klären und die Prioritäten zu ordnen. „Der VK muss herausfinden, was die verschiedenen Beschäftigtengruppen wollen und wie man sie spezifisch ansprechen kann. Das ist noch nicht in allen Vertrauenskörpern angekommen“, erklärt Tietel. Für eine Modernisierung sei es insbesondere nötig, eine Haltung des Zuhörens und Lernens einzunehmen und nicht zu denken, dass man ja selbst schon wisse, was für die Beschäftigten gut ist. „Das sagt sich einfach, ist aber richtig schwierig“, weiß Tietel. So sagte der BR-Vorsitzende eines Maschinenbauers selbstkritisch zu den Forschern: „Wir haben zu oft versucht, die Beschäftigten dort abzuholen, wo wir sind.“

Neben der Veränderung der Haltung, verhalfen den untersuchten Gremien zur Vitalisierung die Befragungen der Beschäftigten, das Aufgreifen von Transformationsthemen wie der Digitalisierung, das Anstreben eines Zukunftstarifvertrags, ein verstärktes Aufgreifen von abteilungs- und berufsnahen Themen und die verstärkte Ansprache von jungen Menschen und Frauen.

Sitzungen anlass- und themenbezogen planen und schneller aktiv werden
Auch die Forschungsergebnisse zur Dimension „Organisation und Arbeitsteilung“, also dazu, wie sich Strukturen in modernen Vertrauenskörpern verändern, waren aufschlussreich. So berichteten viele Vertrauensleute, sie besuchten regelmäßige Gremiensitzungen eher aus Pflichtgefühl als aus der Überzeugung heraus, dass sie dort ihre Zeit sinnvoll investieren. In innovativen VKs setzt man deshalb stärker auf anlass- und themenbezogene Sitzungen und Versammlungen, bei denen auf der Hand liegt, welchen konkreten Nutzen sie haben. Manche Vertrauenskörper achten auch stärker darauf, schneller als bisher vom Reden ins Tun zu kommen. So setzt die VK-Leitung eines Pharma-Konzerns einer überbordenden Debattenkultur agiles Arbeiten entgegen – sie diskutiert und plant nicht alles bis zum letzten Komma durch, sondern probiert schneller als zuvor einfach mal etwas aus und testet, ob es funktioniert.

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    Die untersuchten Betriebe stellen sich vor.

Verstetigung des Engagements nach erfolgreichen Kampagnen
Nach gelungenen Aktionen und erfolgreichen Tarifkämpfen stellt sich für die VKs oft die Frage, wie sie die dort erzeugte Bindung der Beschäftigten an die Gewerkschaften verstetigen können. „Wenn es einem Vertrauenskörper für spannende Kampagnen immer mal wieder gelingt, Leute zu mobilisieren, dann heißt das noch lange nicht, dass er auch die starke, alltägliche Vertrauensleutearbeit hinkriegt“, erläuterte Erhard Tietel. Es zeigte sich, dass VK-Leitungen professioneller als früher an dieser Nachhaltigkeit arbeiten – etwa mithilfe einer Organisationsentwicklung im Vertrauenskörper oder in der engen Zusammenarbeit mit Gewerkschaftssekretär*innen. Sie legen mehr Wert auf regionale Vernetzung und praxisnahen Austausch von Vertrauenskörpern unterschiedlicher Betriebe, um voneinander zu lernen: „In Bremen hat die Geschäftsstelle der IG Metall beschlossen, dass sie ein Jahr lang extrakollegiale Beratung nur für die Vertrauenskörpervorsitzenden und ihre Stellvertreter ihrer wichtigsten Betriebe anbietet. Das hat die Betriebe untereinander vernetzt“, nannte Tietel ein Beispiel.

One-Man-Show ist out, flache Hierarchien und partizipative Führung dagegen gefragt
Bei der Aufgabenverteilung in der VK-Leitung gilt als Erfolgsgeheimnis: Je mehr Schultern die Arbeit tragen, desto besser. Partizipation sorgt nicht nur für Entlastung der Führung, sondern auch für mehr Lebendigkeit und Vielfalt im Gremium. In der Praxis übernehmen dabei unterschiedliche Zuständige bestimmte Betriebsteile und Abteilungen; es gibt „Kümmerer“ für spezifische Themen und Aufgaben oder Expert*innen für die Organisation der Onlinekommunikation mit den Beschäftigten, z. B. auf Social Media. Damit Vertrauensleute sich den ihnen übertragenen Aufgaben gewachsen fühlen, sorgen moderne VK-Leitungen für entsprechende Qualifizierungsangebote.

Den § 28a des Betriebsverfassungsgesetzes (Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen) macht sich beispielsweise der von den Forschern untersuchte Vertrauenskörper eines Pharma-Konzerns zunutze: Die Vertrauensleute sind an Arbeitsgruppen des Betriebsrates beteiligt und erhalten dafür Freistellungen und Qualifizierungen während ihrer Arbeitszeit. Hier leiten die Vertrauenskörpervorsitzenden die IG BCE-Fraktionssitzungen des Betriebsrats und machen so ihr Gremium in der betrieblichen Mitbestimmung sichtbarer.

Bei einem Maschinenbauunternehmen hat jedes der neun Mitglieder der Vertrauenskörperleitung fünf der insgesamt 45 Vertrauensleute unter seine Fittiche genommen. Mit ihnen trifft er oder sie sich regelmäßig, informiert sie, spricht sich ab, hört zu. So wird mit einem überschaubaren Aufwand für den einzelnen, ein in die Breite aktiverer VK aufgebaut: „Dadurch ist der Informationsstrom von draußen in die VK-Leitung groß und der Informationsstand für alle relativ gleich“, so Erhard Tietel.

Gruppenmentalität nicht über alles setzen
Bei der dritten Vitalisierungsdimension „Sinn, Beziehungen und Emotionen“ geht es darum, eine anregende Atmosphäre der Vertrauensleutearbeit herzustellen. Veränderungen müssten auch „klimatisch spürbar“ werden, zum Beispiel in einer neuen Diskussions- und Entscheidungskultur. Keine leichte Aufgabe, merkte Erhard Tietel an, denn im Gremium herrsche oft eine undurchsichtige Mixtur aus Arbeitsorientierung, Machtfragen und Emotionen. „Es gibt eine schwierige Dynamik zwischen Arbeitsorientierung und dem, was Gruppenmentalität genannt wird“, sagte der Wissenschaftler. Ist das Gemeinschaftsgefühl im VK zu dominant, gehe das nicht selten auf Kosten der Arbeitsqualität. „Da ist es oft wichtiger, „einer von uns“ zu sein, als qualifiziert“, erklärte der Wissenschaftler. „Es ist eine der psychologischen Hauptaufgaben eines VK-Leiters, herauszufinden, wie man sich dann wieder auf die Sache konzentrieren kann.“

Die Wissenschaftler stellten fest, dass es in der Vertrauensleutearbeit teilweise eine Partizipation gibt, die von oben angeleitet wird. „Das zeigen Begriffe, die uns in Zusammenhang mit der Beteiligung genannt wurden – wie: abholen, mitnehmen, einbeziehen", so die Forscher. „Es ist also in der Regel nicht so, dass die Leute sagen: Kommt, lasst uns mal etwas zusammen machen!“ Der Impuls kommt eher von „oben“. Gleichzeitig habe ein autoritärer Führungsstil ausgedient, denn vor allem viele jüngere und gutqualifizierte Vertrauensleute akzeptierten keine autoritären Direktiven mehr von einer Leitung, die sich ihnen nicht erklärt. „Gute Führung“ werde inzwischen überall erwartet.

Keimzelle einer neuen betrieblich-gewerkschaftlichen Kultur
In der Aufbruchsstimmung, die eine Vitalisierung ihres Gremiums trägt, würden Vertrauensleute und Vertrauenskörper „Kern eines neuen, sowohl betrieblich als auch gewerkschaftlich orientierten Kommunikations- und Handlungsraumes“, beschrieb Erhard Tietel. Diese „Keimzelle einer betrieblich-gewerkschaftlichen Kultur“ unterscheide sich „in Selbstverständnis, Haltung und Kultur vom Betriebsrat, von der (lokalen) Gewerkschaft und den verschiedenen Beschäftigtengruppen“; sie sei aber meist in den wesentlichen Nuancen eng mit diesen verbunden.

Der Wissenschaftler betonte, wie essenziell dabei die Hoffnung bzw. der kämpferische Wille sei, als Faktor der betrieblichen Mitbestimmung ernst genommen zu werden. Denn die Vertrauensleute verändern sich durch ihr Engagement auch persönlich: Sie eignen sich ihren Betrieb neu an, können eigene Ideen und Werte von sozialer Gerechtigkeit einbringen und stärken so ihre Autorität und ihr Selbstbewusstsein, betonte Tietel. Darüber hinaus steige ihr Engagement für eine grundsätzlich partizipative Ordnung im Betrieb und ihr Einsatz für eine soziale Demokratie im Staat. 

Betriebsräte und Vertrauenskörper: Gegner oder Partner?
Wie Vertrauenskörper in ihren betriebspolitischen Beziehungen agieren, schilderte Ingo Singe. Der Forscher vom zap in Bremen erkannte in den untersuchten Betrieben vier unterschiedliche Beziehungsmuster von Betriebsrat und Vertrauenskörper.

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    Ingo Singe zu den organisatorischen Neuerungen

In einem Betrieb waren BR und VK zu Gegnern geworden: Aus der Unzufriedenheit mit der Arbeit des Betriebsrats entstand verstärkte Vertrauensleutearbeit. In der Folge fühlte sich der BR kontrolliert und versuchte, die VK-Arbeit zu lähmen. Beispielsweise, indem er den Vertrauensleuten Informationen vorenthielt. „Auf dieser Basis konnte die VK-Arbeit nicht erfolgreich sein und fiel wieder zusammen“, beschrieb Singe.

In anderen Betrieben übernahm ein gewerkschaftlich orientierter Betriebsrat auch die gewerkschaftliche Arbeit, weil es keine originären Vertrauensleutestrukturen gibt. So erzielte man zwar kurzfristig große Erfolge, zum Beispiel bei Arbeitskämpfen um Tarifverträge. „Aber die Gewerkschaft wächst nicht und verdrahtet sich nicht in den betrieblichen Strukturen“, berichtete Singe.   

Dünne Kommunikation und Abgrenzung kennzeichnet das dritte Beziehungsmuster, die Separation. „Man steht sich nicht feindlich gegenüber, Vertrauensleute sind auch selbst Betriebsratsmitglied. Aber es gibt fast keine gemeinsame Praxis oder Strategieentwicklung“, so Singe. „Der BR denkt den VK sehr eng und versucht, ihn auf enge tarifpolitische Themen zu begrenzen.“

Betriebsrat als Partner: beide Gremien werden stärker
Am häufigsten kam in der Untersuchung ein konstruktiver Partnerbezug vor. „Betriebsräte agieren als Promotoren, als strategische Partner und Förderer der Vertrauensleutearbeit“, erläuterte Ingo Singe.  „Wenn der Betriebsrat eine schützende Hand über die Vertrauensleute hält, hat das im Betrieb eine Bedeutung. Zum Beispiel, wenn er zum Arbeitgeber sagt: Die Vertrauensleute müssen Zeit haben, um sich zu engagieren! Oder: Wenn die wegen Aktivitäten für den Vertrauenskörper diszipliniert werden sollen, kriegt ihr Ärger mit uns!“

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    Vertrauensleute erklären Kennzahlen ihrer Betriebe und Struktur ihrer Arbeit

Auch in der eigenen Öffentlichkeits- und Informationspolitik kann der BR die Vertrauensleute stützen und deren Arbeit bekannter machen. Ein interessantes Beispiel sei ein Hersteller optischer Geräte, erklärt Singe. „Dort hat der Betriebsrat auf Anregung des Vertrauenskörpers einfachen Beschäftigten ermöglicht, sich während Betriebsversammlungen über Videobotschaften an die Belegschaft zu wenden. Eine neue Form, die für die Vertrauensleute ein Riesenerfolg war!“ Um gemeinsam etwas zu erreichen, sei genau diese „dialogische Verschränkung“ von BR und VL sinnvoll, bei der man in einen Austausch kommt.

Keine passive Gefolgschaft, sondern gestaltende Mitglieder
Für die Gewerkschaften ist eine dynamische Vertrauensleutearbeit Herausforderung und Hoffnung zugleich. Man wünsche sich, dass durch „eine stärkere Ausprägung des Bewegungscharakters“ die Krise der gewerkschaftlichen Repräsentanz überwunden werden könne, sagte Ingo Singe.  „Gewerkschaft wird immer weniger als etwas Prädefiniertes zu verstehen sein. Sondern als Organisation, die sich verändert, wenn sich die Kolleg*innen über unterschiedliche Interessen, auch konflikthaft, austauschen, dabei Gemeinsames entdecken und in eine Praxis kommen. Dann ist Gewerkschaft eine aktive Demokratie. Das ist dann keine passive Gefolgschaft mehr. Da geht es um eine aktive demokratische Gestaltung der eigenen Organisation.“

Sehr heterogene Praxis der demokratischen Beteiligung
Die demokratische Beteiligung in der Vertrauensleutearbeit sieht sehr heterogen aus: „Neue Beteiligungsideen treffen auf ganz festsitzende, ältere Orientierung“, fasste Ingo Singe zusammen.

Es sei wichtig, auch Gründe für Probleme der Partizipation klar zu benennen. Lassen sich Vertrauensleute nicht auf Angebote der Beteiligung ein, könne das zum Beispiel daran liegen, dass der VK zuvor als reines „Abnickorgan“ funktioniert habe. In diesen Strukturen gebe es meist wenige Aufopferungsvolle, die sehr viel tun und sehr viele, die sehr wenig tun. „Die Aufopferungsvollen entwickeln ein Modell von Gewerkschaftsaktivität, das hyperaktiv ist und nichts anderes mehr kennt als gewerkschaftliche Aktivität. Es ist zerstörerisch und nicht attraktiv für die Mehrheit der Beschäftigten.“ Bei diesen Aussichten liefen Partizipationsangebote zwangsläufig ins Leere.  Auch andere Gründe, wie Ressourcenmangel und Arbeitsverdichtung hinderten Ehrenamtliche an der Mitarbeit.

„Für mich ist Beteiligung auch eine Haltungsfrage: Wie ernsthaft ist die Haltung desjenigen, der beteiligen möchte? Die Menschen merken sofort, ob das ernst gemeint ist“, betonte Ingo Singe. „Über sowas ins Gespräch zu kommen, ist essenziell, weil es eine Wertschätzung im ganzen Beteiligungsprozess signalisiert. Ohne Wertschätzung und wechselseitiges Vertrauen gibt es auch keine gemeinsame Praxis.“

Kleine, gangbare Schritte zu mehr Beteiligung versuchen
Auch in den untersuchten Betrieben gelang es nicht sprunghaft, die Beteiligungsbereitschaft deutlich zu erhöhen. Es brauchte mühsame, kleine Schritte und eine unterstützende Begleitung und Qualifizierung der Vertrauensleute. „Es macht Sinn, diese Schritte zu identifizieren, die gangbar sind und in Erfolgen münden“, beschrieb es Singe. Er nannte ein Beispiel aus einer Kampagne des Vertrauenskörpers eines Klinikums: Mit zunächst kleinen Aktionen, wie Unterschriftensammlungen, baute man das Selbstbewusstsein der Vertrauensleute und der Beschäftigten allmählich auf. Das legte die Grundlage für ein größeres und kollektiveres Handeln im Betrieb. Zum Schluss war die Belegschaft so weit, sich an einer Demonstration auf dem Betriebsgelände zu beteiligen.

Digitalisierung als neues Feld der Beteiligung
Ganz neue Möglichkeiten der Beteiligung eröffnet den Vertrauensleuten die Digitalisierung. „In einem Feinmechanik-Unternehmen haben wir Formen gefunden, die einerseits eine formale Vertrauensleute-Struktur mit Gewerkschaftsmitgliedern etablieren. Auf der anderen Seite gibt es einen aktiven Kreis, der digital und offen gestaltet ist und wo auch die Nichtgewerkschaftsmitglieder sich beteiligen können. Der wird auch von Gewerkschaftern, von den Gewerkschaftssekretären und von der VL-Führung begleitet. Es sind nicht zwei getrennte Arenen, sondern solche, die verzahnt sind“, berichtete Ingo Singe. So eine niedrigschwellige Beteiligungsform zieht auch Beschäftigte an, die sich zunächst nicht vorstellen können, Vertrauensperson zu werden. Wenn man ihnen einen einfachen Zugang ermöglicht, wachsen sie mitunter aber in eine reguläre Vertrauensleutestruktur hinein. Und: Man habe viele Beispiele gefunden, wo die neue Möglichkeit der demokratischen Beteiligung im Betrieb Menschen „einen ganz neuen Kontinent“ eröffnete, so Singe.  „Gewerkschaften verstehen manchmal nicht, dass sie viel zu bieten haben.“

In der Fishbowl: Blick auf die „Lessons learned“ der Teilnehmenden
Eine der großen Stärken des Workshops war die Möglichkeit, in Arbeitsgruppen und Kaffeepausen als Praktiker*innen miteinander ins Gespräch zu kommen und gegenseitig zu empowern. Ein Fishbowl-Format am Ende der Veranstaltung ließ die Teilnehmenden Bilanz darüber ziehen, wie die Ergebnisse der Forschung auf sie gewirkt haben und was sie davon für die Praxis nutzen können.

„Ich finde es superspannend, dass bundesweit und über alle Gewerkschaften und Betriebe hinweg diese Bewegung entsteht, etwas verändern zu wollen. Das jetzt scheinbar überall Akteure auftauchen, die diese Veränderungen beginnen. Das gibt mir Hoffnung, dass sich da wirklich etwas verändern könnte“, sagte eine stellvertretende Vertrauenskörperleiterin. „Wir möchten, dass unsere Kollegen merken, sie können etwas bewirken. Man kann etwas tun!“

  • Vertrauensleute und Beteiligung
    Diskussion in der Fishbowl

Der Wunsch, Lasten und Verantwortung zu teilen
Für einige Kollegen blieb besonders der Rat hängen, dass die Arbeit im Gremium auf mehr Schultern verteilt werden sollte: „Für uns geht es jetzt darum, die Lasten, die anfallen, breiter zu verteilen - nicht immer nur auf den Vorsitzenden oder den Stellvertreter, sondern auf alle VKL-Mitglieder, aber auch auf normale Vertrauensleute. Es geht darum, Verantwortung abzugeben“, betonte ein leitender Vertrauensmann und Betriebsrat.

„Das, was wir hier mitgenommen haben, hilft mir grade sehr“, ergänzte ein Mitglied der Vertrauenskörperleitung eines Feinmechanik-Unternehmens. „Warum? Ich habe das Gefühl, die letzten vier oder fünf Jahre lang nur funktioniert zu haben. Ich habe irgendwann mal etwas angenommen und es dann betrieben. Mir ist bewusst geworden, dass Vertrauensleutearbeit vielleicht sogar wichtiger ist als Betriebsratsarbeit. (…) Und ich bin mittlerweile stolz darauf, Vertrauensmann zu sein.“ Sein VK-Kollege ergänzt: „Für uns kommt es darauf an, das zu verstetigen und in eine Struktur zu packen, die auch die jetzige Hochphase überlebt, wo das eine große Thema (der Erfolg in einer harten Tarifauseinandersetzung) die Beschäftigten mitgenommen hat. Das in dauerhafte Gewerkschaftsstärke zu übersetzen, da ist bei uns noch ein bisschen was zu tun. Und daran, Beschäftigte zu beteiligen. Nicht nur in dem Sinne, wir fragen mal ab, was ihr wollt, sondern in jedem Schritt die Beteiligung auch durchzuhalten! Da muss man aufpassen, dass man nicht in alte Muster verfällt. Das Forschungsprojekt hat es auf jeden Fall geleistet, Mut zu machen!“

Mit der Gewerkschaft in soziale Diskurse eingreifen
Spürbar war der Wunsch vieler Vertrauensleute, dass die Gewerkschaften sich zu aktuellen sozialen Debatten – Corona, Verschwörungstheorien, Politikverdrossenheit, Rechtsradikalismus – vernehmlicher zu Wort melden. Auch das kann Vertrauenskörper-Arbeit bedeuten: „Wir beobachten ja, wenn wir über unsere Betriebe hinwegschauen, das, was in unserer Gesellschaft seit Jahren passiert. (….) Da gibt es viel, worüber ich mir Sorgen mache. Und ich glaube, dass Gewerkschaften da mehr erreichen können, wenn sie bei den Menschen sind“, sagte eine leitende Vertrauensfrau.  

„Beispiel Corona. In einer Zeit, in der starke gesellschaftliche Diskussionen losgingen, hat die Gewerkschaft sich rausgehalten“, kritisierte ein anderer Teilnehmer. „Wir haben uns aber auch nicht in die Diskussion eingeklinkt. Es hat mir extrem gefehlt, als das losging und die Frage war: Was sind denn angemessene Maßnahmen? Da hat jeder Betriebsrat eigene Ideen gehabt.“

Das Problem der Sättigung: Wofür noch kämpfen?
Kontrovers diskutiert wurde die Frage, wofür Vertrauenskörper heute kämpfen und Beteiligung organisieren sollen. „Wir sind an einer ziemlich hohen Spitze angekommen“, konstatierte ein Vertrauensmann eines Energieunternehmens. „Die ganzen Arbeitsumgebungen bei uns sind so perfektioniert worden, dass die Beschäftigten selber ihre Arbeitsbedingungen verbessern können. Deshalb gibt es wenig Bewegung. Die sind satt. (…) Der Jugend- und Auszubildenden-Vertretung fehlt bereits die Erfahrung, sich für etwas einzusetzen. Unsere Kunst ist es jetzt, die im Boot zu halten und wie am Lagerfeuer die Geschichten der Erfolge zu erzählen: Wo kommt der angepasste Stuhl her, wo kommt der Mindestlohn her? Es gibt so viele Errungenschaften! Daran sieht man, dass Gewerkschaftsarbeit auch über den Betriebsrat hinausgeht. Man kann jetzt keine Verbesserung mehr erreichen, sondern muss sich drauf einstellen, einen Verteidigungskampf zu führen.“

Für diese These erntete der Teilnehmer auch Widerspruch: „Den Leuten in den sozialen Berufen ist die Schlinge um den Hals schon so eng, dass sie keine Möglichkeiten mehr sehen, aktiv zu werden. Und die Unterversorgung wird noch schlimmer“, betonte eine Gewerkschafterin. „Ich habe kaum traurigere Leute gesehen als in Banken und Versicherungen oder Finanzdienstleistungen“, ergänzte Forscher Ingo Singe. Diese seien zwar materiell gut versorgt, erhielten aber keine Anerkennung für ihre Arbeit und müssten ständige Umstrukturierungen aushalten, was auf Kosten ihrer sozialen Beziehungen gehe. „Ausgangspunkt gewerkschaftlicher Aktionen, muss da sein, wo Beschäftigte sich darüber einigen, was sie wirklich stört und was sie ändern wollen“, so Singe. „Das wird in vielen Betrieben materiell sein. Aber auch bei den materiell Versorgten gibt es ganz viel Leid. Von daher ist die Gewerkschaft für alle notwendig.“

  • Vertrauensleute und Beteiligung
    Nachdenkliche Gesichter

Jede Generation an Vertrauensleute muss eigene Ziele definieren und erreichen
„Es gibt dieses Gesättigte“, räumte Projektleiter Erhard Tietel ein. Wenn ein Betrieb zu fast 100 % gewerkschaftlich organisiert sei, fragten sich die Vertrauensleute auch schon mal, was sie eigentlich noch machen könnten. „Es nützt nix, den jungen Leuten dann immer wieder zu sagen: Guckt mal, das haben wir alles erkämpft! Das muss man zwar machen, aber das bewegt niemanden. Auch wenn das paradox ist.“ Die Aufgabe für den Vertrauenskörper ist laut Tietel dann, das, was er vorgefunden hat, anders und für sich stimmig weiterzumachen. „Damit die Leute das Gefühl haben, das haben wir selbst erschaffen und errungen. Dann wächst das.“

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