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Automobilzuliefererkonferenz: Autozulieferer suchen neuen Kurs

Digitalisierung, E-Mobilität, Klimaneutralität. In kaum einer anderen Industrie ist der Transformationsdruck so groß und so vielfältig wie in der Automotivbranche. Wie dieser Wandel fair gestaltet werden kann, wurde auf der Konferenz diskutiert.

[03.11.2021]

Von Andreas Schulte

Die Erfindung des Autos sorgt seit 135 Jahren für Mobilität. Doch ausgerechnet zur “Automobilzuliefererkonferenz” konnten die Besucherinnen und Besucher nicht mit dem Pkw anreisen. Die Regeln der Pandemie verschonen eben auch diese bedeutende Branche nicht. Die Hans-Böckler-Stiftung und die IG Metall veranstalteten die Konferenz mit knapp 200 Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Branchenvertretern online.

Kai Bliesener beschrieb den Status Quo der Branche: Die Unternehmen seien zwar vergleichsweise gut aus der Krise gekommen, doch der Halbleitermangel setze die Firmen unter Druck, sagte der Ressortchef Fahrzeugindustrie der IG Metall. Die unterschiedliche Versorgung mit Chips bei deutschen Autobauern zeige, dass auch Managementfehler gemacht wurden. Die Produktion bricht ein. Statt 5,5 Millionen Autos wie 2019 werden in Deutschland 2021 wohl nur 3,5, Millionen gebaut. Das dicke Minus dürfte wohl auch die Beschäftigten treffen.

“Wie können wir den Wandel so gestalten, dass er uns sozial nicht um die Ohren fliegt”, knüpfte Andreas Boes, vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München in seinem Vortrag an. Der Wissenschaftler sieht die Autoindustrie und mit ihr die Zulieferer unabhängig von Corona und Halbleitermangel in einer strukturellen Krise. Denn das Geschäftsmodell liegt nicht mehr nur im Verkauf von Autos und Fertigungsteilen, sondern in den Möglichkeiten der Digitalisierung.

Tesla habe gezeigt, dass durch Autos erhobene Daten ein Geschäftsmodell darstellen können. Der US-Elektroautobauer handelt damit. Zulieferer sollten ähnlich denken.  Für sie ergäben sich neue Geschäftsfelder und Vertriebsmöglichkeiten, weil Datenanbieter - wie Google mit Waymo - in die Autoproduktion drängten.

Transformation verändert Beschäftigtenstruktur

Achim Kampker von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule warf ein Schlaglicht auf die E-Mobilität. Er rechnet mit einer schnelleren Marktentwicklung. Der Grund: E-Autos werden deutlich früher billiger als zunächst vermutet und sind Verbrennern schon bald ebenbürtig. Kampker sieht bei E-Autos sehr hohes Wertschöpfungspotenzial für Zulieferer. Zum Beispiel bei der nun hochlaufenden Batterieproduktion:  Das Alleinstellungsmerkmal deutscher Hersteller könne in der nachhaltigen Produktion von Zellen liegen.

In vielen Betrieben verändert die Transformation die Beschäftigtenstruktur bereits, befand Martin Schwarz-Kocher vom Forschungs- und Beratungsinstitut IMU in Berlin. Vor allem in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen seien Arbeitsplätze bedroht.

Was können Betriebsräte unternehmen, um Beschäftigung zu sichern und Betriebe zukunftsfähig zu machen, fragte der Berater. Das Problem: Auf hoher Strategieebene habe der Betriebsrat in der Praxis wenig Mitbestimmungsrechte.  Dennoch gebe es Beispiele für erfolgreiche Betriebsratsarbeit.  So hätten Betriebsräte in einem Zulieferbetrieb, der ausschließlich vom Verbrenner lebt, gemeinsam mit dem Management für Führungs- und Entwicklungskräfte sogenannte Zukunftsprojekte entwerfen lassen. Der geplante Personalabbau konnte von 250 auf 50 Beschäftigte reduziert werden.

Großes Potenzial durch Wasserstoff

Auch Berater Thomas Schlomski von Kemper und Schlomski betonte, dass Betriebsräte mehr als sonst die Zusammenarbeit mit dem Management suchen müssen, um Transformationen entscheidend beeinflussen zu können.  Er empfiehlt Betriebsräten zudem, auf die Kernkompetenzen des Unternehmens zu achten “Keiner kennt sie besser als der Betriebsrat, denn er ist in der in der Regel länger in der Firma als das Management.” Wichtig sei der Blick dafür, wo die Kernkompetenzen auch in angrenzenden Branchen oder für neue Produkte genutzt werden könnten.

Mit diesem Schritt könnte so mancher Zulieferer in der boomenden Wasserstoffbranche zum Zuge kommen. “Der Stoff, aus dem die Träume sind”, lautete der Titel eines der neun parallel gehaltenen Workshops. Studien sagen bis zu einer Million neue Jobs in Europa bis 2030 voraus. Wasserstoff könne vor allem im Schwerlast- und Schienenverkehr eine große Zukunft haben, berichtete Daniela Jansen von der IG Metall. Zuliefererbetriebe könnten künftig Motorteile für Wasserstoffmotoren fertigen. Denn der Motor besteht aus 1500 Teilen, gegenüber 200 beim E-Motor.

Die IG Metall sieht in der Industrie rund um den Wasserstoff großes Potenzial. Die Gewerkschaft fordert von der neuen Bundesregierung, die bisherige Wasserstoffstrategie auszuweiten und für die Produktion von grünem Wasserstoff eine Quote festzulegen, um den zu erwartenden Bedarf zu decken. 

Der Wandel der Automotive-Branche kostet viel Geld. Einiges kommt vom Staat. Wie Betriebsräte auch mithilfe öffentlicher Förderungen Wandel gestalten können, deutete Ernst Stöckl-Pukall an. Noch seien nicht alle Budgets abgeschöpft, sagte der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums. So werden zum Beispiel interdisziplinäre Transformationsnetzwerke gefördert – etwa zwischen Universitäten, Unternehmen und Kommunen. Die Netzwerke sollen gemeinsam ermitteln, wie die Transformation gestaltet werden kann. So sollen Arbeitsplätze in Regionen gesichert werden, die stark von der traditionellen Autoindustrie geprägt sind.

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