Projektbeschreibung
Kontext
Klimakatastrophe, Corona-Pandemie und neue Ost-West-Konflikte sind nicht die ersten Probleme, die einen dringenden Bedarf an internationaler Zusammenarbeit anzeigen.
Gleichzeitig vereinbart die EU bilaterale Handelsverträge, die stark auf Liberalisierung ausgerichtet sind und die politische Handlungsfähigkeit zur Bewältigung dieser Herausforderungen eher behindern.
Die vor einigen Jahren geführte gesellschaftliche Auseinandersetzung um CETA und TTIP thematisierte denn auch genau dies, ohne jedoch allzu sehr zu beachten, dass die Abkommen sogar je eigene, rein exekutive Vertragsorgane („Ausschüsse“) mit weitreichenden Kompetenzen zum Treffen verbindlicher Entscheidungen vorsehen.
Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht seine diesbezüglichen Zweifel von 2016 in seiner formal begründeten Ablehnung der CETA-Verfassungsbeschwerden vom 9.2.2022 – Startschuss der Einbringung von CETA in den Bundestag – deutlich bekräftigt.
Fragestellung
Gefährden die neueren EU-Handelsabkommen mit Kanada (CETA), Japan (JEFTA/JEEPA), Singapur (EUSFTA) und Vietnam (EUVFTA) angesichts der darin vorgesehenen, rein exekutiv besetzten „Ausschüsse“ die demokratische und solidarische Gestaltbarkeit der Wirtschaft in der EU und ihren Mitgliedstaaten?
Im Einzelnen:
Welche Kompetenzen werden den Ausschüssen erteilt (einschließlich „weicher“ Kompetenzen) und inwiefern berühren sie inhaltlich wesentliche Fragen, die in einem parlamentarischen System nicht ohne Parlamentsbeteiligung entschieden werden dürften?
Inwiefern entfalten die Ausschussbeschlüsse und -tätigkeiten Rechtswirkungen in der EU und in Deutschland?
Inwiefern ist wenigstens die Beteiligung des Rates bzw. der mitgliedstaatlichen Regierungen sichergestellt bzw. inwiefern bekommen EU-Kommission und EuGH zusätzliche Möglichkeiten an die Hand, weitere Liberalisierungen EU-intern durchzusetzen?
Untersuchungsmethoden
1. Analyse der vier Vertragstexte.
2. Analyse der relevanten juristischen, politikwissenschaftlichen und ökonomischen Literatur.
3. Durchführung und Auswertung von sechs Experteninterviews auf Grundlage selbst erstellter Interviewleitfäden zur Praxis der Ausschüsse.
Darstellung der Ergebnisse
Die in CETA, JEEPA, EUSFTA und EUVFTA vereinbarten, rein exekutiv besetzten Ausschüsse verfügen in wesentlichen Politikfeldern über zahlreiche Kompetenzen, auch zum Fassen für die Vertragsparteien verbindlicher Beschlüsse. Dies gefährdet die demokratische und solidarische Gestaltbarkeit der Wirtschaft in der EU und ihren Mitgliedstaaten, insofern
- die zugrunde liegenden Freihandelsabkommen trotz zweifelhafter ökonomischer Wirkungen klar auf Deregulierung ausgerichtet sind,
- die Parlamente trotz weit reichender Kompetenzen nicht beteiligt sind,
- der Rat zwar eine Vetoposition hat, seine Intransparenz aber ihrerseits problematisch ist,
- eine gewisse Verselbstständigung der die EU in den Ausschüssen vertretenden Kommission nicht ausgeschlossen werden kann,
- die untersuchten Verträge ihre direkte Anwendbarkeit in der EU zwar ausschließen, sie als integraler Bestandteil des EU-Rechts aber wie EU-Primärrecht per Vertragsverletzungsverfahren von Kommission und EuGH gemäß deren eigener Interpretation durchgesetzt werden können (EuGH, 6.10.2020) – eine Konstellation, die die Kommission EU-intern häufig genutzt hat, weitere Liberalisierungen zu beschließen.