Projektbeschreibung
Kontext
Die Reichweite des gewerkschaftlichen Handelns hängt u. a. von den Beziehungen der Gewerkschaften zu anderen gesellschaftlichen Akteuren ab. Den Kirchen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Das Verhältnis von Protestantismus und Gewerkschaften hat sich nach 1945 aus einer Gegnerschaft zu einer Partnerschaft gewandelt. Gewerkschafter arbeiteten in den Gremien der evangelischen Kirche mit und wurden in die Diskussion kirchlicher Stellungnahmen zu gesellschaftspolitischen Problemen wie etwa zur Mitbestimmung einbezogen. Kirchenvertreter beteiligten sich an den gewerkschaftlichen Diskussionen der 1970er Jahre um die Humanisierung der Arbeit und die Qualität des Lebens und unterstützten die Arbeitnehmerschaft in der Krise der Schwerindustrie in den 1980er Jahren. Zugleich war das Verhältnis von Protestantismus und Gewerkschaften nicht frei von Konflikten, die aus Differenzen hinsichtlich der Tarifverträge und Vertretung der Mitarbeitenden in kirchlichen Einrichtungen resultierten.
Fragestellung
Im Mittelpunkt des Projekts standen drei übergreifende Fragestellungen. Erstens sollten Transferbeziehungen und die gegenseitige Beeinflussung der gewerkschaftlichen und kirchlichen Akteure bei ihren Kontakten, ihrer Zusammenarbeit in den jeweiligen Strukturen und Einrichtungen sowie ihren öffentlichen Stellungnahmen untersucht werden. Zweitens waren die wesentlichen Kooperations- und Konfliktfelder in den Auseinandersetzungen um zentrale Fragen der Arbeitswelt in den 1960er bis 1980er Jahren zu analysieren. Drittens richtete sich das Augenmerk auf die Relevanz der Beziehungen zwischen beiden Organisationen für die gewerkschaftliche Politik.
Untersuchungsmethoden
Das Projekt basierte auf der Auswertung und Analyse eines umfangreichen Quellenmaterials, das sowohl Akten aus dem DGB- und dem EKD-Archiv als auch „graue Literatur“, Periodika und andere gedruckte Quellen einschloss. Als theoretisch-methodischer Ansatz diente dabei das Konzept der Gewerkschaften und Kirche als (Interessen-)Verbände und intermediäre Organisationen.
Darstellung der Ergebnisse
Die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der evangelischen Kirche entwickelten sich in den 1960er bis 1980er Jahren prinzipiell im Zeichen einer Annäherung, gingen aber auch mit Spannungen einher. Die Relevanz dieser Beziehungen für die gewerkschaftliche Politik war von der jeweiligen Ebene und den beteiligten Akteuren abhängig. Differente Beziehungsmuster traten zum einen auf der Ebene der offiziellen Gremien und Kontakte und zum anderen auf der Ebene der evangelischen Industrie- und Sozialarbeit hervor. Kirchliche Stellungnahmen zu Fragen wie Mitbestimmung oder Arbeitslosigkeit erfüllten für die Gewerkschaften eine Unterstützungsfunktion und dienten als legitimatorische Ressource, zeichneten sich jedoch durch Uneindeutigkeit und Ausgewogenheit aus. Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt positionierte sich hingegen an der Seite der Gewerkschaften, bewegte sich aber im Rahmen einer „kritischen Solidarität“. Im Ganzen war das Verhältnis beider Organisationen durch das Spannungsfeld zwischen kirchlicher „Schützenhilfe“ und gewerkschaftlichen Organisationsinteressen bzw. zwischen punktuellen Kooperationen und Forderungen nach einer Parteilichkeit der Kirche geprägt.